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Im Interview mit Reinhold Jessel

“Gute Sicherheitstechnik kostet ihren Preis“

GLASWELT – Herr Jessel, welche Einbruchschutzklasse sollte ein Häuslebauer mindestens berücksichtigen, wenn er neu baut?

Reinhold Jessel – Ich empfehle, wie auch die Präventionsstellen der Kriminalpolizei, Fenster und Türen nach der Sicherheitsstufe RC2 auszurüsten, als Minimalanforderung bei Dreifachverglasung nach RC2N nach DIN EN 1627-1630.

GLASWELT – Und wie sieht diese Empfehlung bei der Sanierung aus?

Jessel – In der Nachrüstung ist die Sache wesentlich problematischer. Festzustellen ist, um welches Fenster es sich handelt, Holz, PVC oder Alu, ferner spielt das Alter und das Fensterprofil eine wichtige Rolle. Es wird von Fall zu Fall immer beim Kunden entschieden. Bei Fenstern und Türen, die älter als ca. 35 – 40 Jahre sind ist häufig eine Nachrüstung nicht empfehlenswert. Holzfenster mit einem Profil IV 56 sollten nur mit aufliegenden Sicherheitselementen nachgerüstet werden. Allgemein gesagt, alle übrigen Fenster-Türprofile (Holz ab IV 68,PVC und ALU) lassen sich sowohl innen liegend nach DIN 18104-2 und aufliegend nach DIN 18104-1 nachrüsten. Leider werden Nachrüstprodukte für aufliegende Nachrüstung nicht nur im Fachhandel vertrieben sondern auch in Baumärkten und im Internet. Das ruft viele Selbermacher und Heimwerker auf den Plan, die sich häufig bei der fachgerechten Montage überschätzen.

GLASWELT – Stimmt der Eindruck, dass der Einbruchschutz etwas aus dem Fokus der Menschen gerückt ist, nachdem die Einbruchsdelikte zurückgegangen sind?

Jessel – Nach den guten Zahlen der Kriminalstatistik gewinnt man sehr schnell den Eindruck. Betrachtet man die Zahlen der letzten 10 Jahre stellt man ein Auf und Ab in den Einbruchszahlen fest. Eingebrochen wird immer! Auch in der Vergangenheit war es so, dass bei Opfern von Einbruchsdelikten und deren Nachbarschaft der Fokus auf mehr Sicherheitstechnik, mehr Nachrüstung gelegt wurde.

GLASWELT – Wie viele Fenster in Deutschland bieten dem Einbrecher einen gewissen Widerstand? Wie viele Fenster stellen für den Einbrecher keine Hürde dar?

Jessel – Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Zunächst stellen wir fest, wie viel Fenster im Bestand sind. Wenn wir um 1970 beginnen und bis zur Wiedervereinigung 1989 pro Jahr ca. 7,5 Mio. Fenster produziert und eingebaut haben, entspricht das einer Gesamtzahl von ca. 140 Mio. Fenstern. Nach der Wiedervereinigung wurden deutlich mehr Fenster produziert. Im Durchschnitt pro Jahr 13,5 Mio. Fenster. Das ergibt eine Gesamtzahl von mehr als 500 Mio. Fenster im Bestand. Bis 2005 wurden geschätzte 10 % der Fenster mit Sicherheitstechnik ausgerüstet. Bis 2010 ca. 20 %, bis 2015 ca. 30 %, ab 2016 mehr als 30 %. Wir sehen an diesen Zahlen, dass der Trend zu mehr Sicherheit anhält. Für Nachrüstbetriebe immer noch ein riesiger Markt!

GLASWELT – Favorisieren Sie beim Nachrüstgeschäft eher einen Beschlagstausch oder die Aufrüstung mit sichtbaren Aufsatzelementen.

Jessel – Zunächst unterscheiden wir in der Nachrüstung die aufliegende Nachrüstung nach DIN 18104-Teil 1 und die innen liegende Nachrüstung nach DIN 18104-Teil2. Dort wo es möglich ist, ist eine innen liegende Nachrüstung empfehlenswert. Die komfortable Einhandbedienung am Fenster bleibt erhalten. Hierbei ist ein Kompletttausch des innen liegenden Fensterbeschlages nötig. Beim Austausch aller Beschlagteile ist die Frage der Gewährleistung für den Errichterbetrieb einfacher. Letztlich entscheidet der Kunde, was er haben möchte. Auch die aufliegende Nachrüstung mit geprüften und zertifizierten Sicherheitselementen ist im Sinne der polizeilichen Beratungsstellen.

GLASWELT – Und wie steht es mit der Nachrüstung von Isoliergläsern, wenn dort noch kein Einbruchschutz vorhanden ist?

Jessel – Im Nachrüstgeschäft ist das Ersetzen der normalen Isolierglasscheibe in eine Sicherheitsglasscheibe (P4A) optional, also dem Kunden überlassen. In der Beratung des Kunden durch den Errichterbetrieb gehört der Hinweis auf das Glas oder eine Ertüchtigung der Scheibe durch eine Sicherheitsfolie ( P2A oder P3A) zwingend dazu.

GLASWELT – Können Sie ungefähr beziffern, was ein Endkunde für einen Beschlagstausch bei gut erhaltenen Fenstern investieren muss?

Jessel – Gute Sicherheitstechnik geprüft und zertifiziert kostet ihren Preis. Ich möchte hier aber den vielen Nachrüstbetrieben und deren persönlicher Kalkulation nicht ins Handwerk pfuschen und mich auf Preise festlegen. Für die komplette Nachrüstung eines Einfamilienhauses mit ca. 15 Elementen sind einige tausend Euro in die Hand zu nehmen. Die KfW-Bank fördert mit einem Zuschuss bis zu 1600 Euro Maßnahmen zum Einbruchschutz.

GLASWELT – Wie kommt ein Fensterbauer auf eine Errichterliste der Polizei? Was muss der Fensterbauer dafür tun?

Jessel – Voraussetzung ist ein Seminar bei einem Schulungsanbieter. Im Anhang 3 zum bundeseinheitlichen Pflichtenkatalog für mechanische Errichter sind alle Schulungsanbieter für Grundschulung nach DIN 18104-1 und Aufbauschulung nach DIN 18104-2 gelistet. Im Anhang 1 zum bundeseinheitlichen Pflichtenkatalog befindet sich ein Antragsformular für Mechanik-Errichter. Nach absolviertem Seminar ist dieser Antrag an die zuständige Polizeibehörde zu richten, die leitet den Antrag weiter an das zuständige LKA. Mit dem Antrag wird ein polizeiliches Führungszeugnis zur Vorlage bei einer Behörde beim zuständigen Ordnungsamt oder Stadtverwaltung beantragt. Ebenso ein Nachweis über ausgeführte Arbeiten in Sachen Nachrüstung (2 – 3 Rechnungen). Den Antrag stellen darf, wer die Meisterprüfung in den Gewerken Tischler/Schreiner, Glaser, Metallbauer und Rollladen- und Jalousiebauer abgelegt hat. Für Antragsteller ohne Meistertitel ist es möglich, bei der zuständigen Handwerkskammer eine Ausnahmebewilligung nach § 8 HWO zu beantragen. Diese setzt im Regelfall eine theoretische und praktische Überprüfung von insgesamt einem Tag voraus.

GLASWELT – Gibt es eine Liste, in der verfügbare Einbruchschutzelemente – also Fenster und Türen – aufgeführt sind?

Jessel – Ja, die Anlage 2 des Pflichtenkataloges ist das Verzeichnis der Regelwerke Normen und Richtlinien aller Produkte, die an Türen und Fenstern verbaut werden sollten nach Vorgaben der polizeilichen Beratungsstellen. Leider werden oft in Eigenleistung nicht geprüfte und zertifizierte Produkte verbaut, diese erfüllen nicht die Anforderungen eines wirksamen Einbruchschutzes.

GLASWELT – Eine ganz andere Frage: Sie sind zugleich Sachverständiger zum Thema Meisterqualifikation eines Betriebes. Was halten Sie von den jüngsten Bestrebungen der Politik, den Meisterbrief wieder flächendeckend einzuführen?

Jessel – Ich befürworte die Einführung der Meisterqualifikation für eine Vielzahl von Berufen (Anlage B der Handwerksordnung). In der Praxis verzeichnen wir eine Zunahme von selbstständigen Kleinbetrieben aus dem Bereich der zulassungsfreien Berufe. Gleichwohl ist durch fehlende Ausbildung, beginnt mit der Gesellenausbildung, eine Dequalifizierung erkennbar. Nicht selten werden von zulassungsfreien Gewerken Arbeiten ausgeführt, die ausnahmslos in den Bereich der bestehenden oder zulassungspflichtigen Berufe gehören.

Glaswelt – Vielen Dank für die interessanten Antworten!—

Die Fragen stellte Chefredakteur Daniel Mund.

Redaktionshinweis: Das Bayr. Landeskriminalamt gibt im Auftrag der Zentralen Geschäftsstelle der Kommission Polizeiliche Kriminalprävention (KPK) „Herstellerverzeichnisse“ über geprüfte und zertifizierte einbruchhemmende Produkte heraus: www.polizei.bayern.de/schuetzenvorbeugen/beratung/technik/index.html/449

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