GLASWELT – Herr Drinkuth, Hand aufs Herz, ist die Politik in Berlin auf dem richtigen Weg, um Gebäude zielführend zu sanieren?
Thomas Drinkuth – Aktuell haben wir als RTG zusammen mit 14 führenden Verbänden in einem Brandbrief an die Regierung Besorgnis über die aktuellen Einbrüche bei der Gebäudesanierungsrate zum Ausdruck gebracht. Die Aufträge für energetische Modernisierungsmaßnahmen, sowohl bei Gebäudehülle als auch -technik, sind massiv zurückgegangen oder sogar zum Erliegen gekommen. Die Klimaziele drohen noch stärker verfehlt zu werden als bereits absehbar. Im Vertrauen auf die Politik aufgebaute Kapazitäten werden bei fehlender Nachfrage nicht gehalten werden können. Die Verbände fordern die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag darum auf, noch in diesem Sommer als ersten Schritt ein Klimakonjunkturpaket für den gesamten Gebäudebestand aufzulegen. Die Förderbedingungen für umfassende energetische Modernisierungen müssen wieder hergestellt (mind. 20 % zzgl. Boni) werden. Gebäudehülle und –technik müssen dabei gleichgestellt, die Genehmigung von Anträgen beschleunigt und zusätzlich steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten geschaffen werden.
GW – Herr Kohlmann, wie sieht es denn auf der technischen Seite aus? Was kann Sonnenschutz und hat er den richtigen Stellenwert bei der Sanierung?
Hans-Albrecht Kohlmann – Für die Klimawende sind klare Fakten erforderlich, und die Reihenfolge in der Sanierungskette muss stimmen. Dies gilt für Planer ebenso wie für Projektentwickler und Bauherren. Vor diesem Hintergrund haben wir bei Warema den CO2-Fußabdruck unserer drei gängigsten Produkte genau analysiert. Und das Ergebnis zeigt sehr deutlich, dass ein außenliegender Sonnenschutz in der Nutzungsphase bis zu 28 Mal mehr CO2 einspart, als im Zuge des kompletten Lebenszyklus anfällt – also von der Rohstoffbeschaffung sowie der Produktion und Logistik über die Nutzung bis zur Entsorgung. Für das Gebäudekonzept und die entsprechende Sanierung besitzen wir also relevante Daten, wie viel solare Energie wir im Sommer verhindern können, und damit zu hohe Temperaturen im Gebäude verhindern, ohne mit externer Energie zu kühlen. Aber auch im Winter können wir mit Sonnenschutz die solare Energie sinnvoll nutzen, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Blendung und gewollter Aufheizung über das Glas an der Gebäudehülle zu erreichen.
GW – Dann ist die jetzige Reihenfolge bei der Bewertung der Sanierungschritte nicht optimal?
Drinkuth – Sie ist natürlich stark verbesserungsfähig. Alleine nach der „Heizung“ zu rufen ist zu kurz gesprungen. Die Gebäudehülle muss hier deutlich mehr in den Fokus gestellt werden, und das Wechselspiel von Glas, Fenster und Sonnenschutz mit all seinen Möglichkeiten besser genutzt werden. Erst wenn ich die Parameter der Gebäudehülle kenne, macht es Sinn über die dann notwendige Heizleistung nachzudenken. Das ist im Übrigen auch die Hauptarbeit der RTG, wir setzen uns für Gebäude ein, in denen wir klimafreundlich, gesund und bezahlbar leben können. Und da spielen auch Faktoren wie Tageslichttechnik, Lüftung und Kunstlicht eine wichtige Rolle, um für die Menschen in den Gebäuden den besten thermischen und visuellen Komfort zu erreichen.
GW – Smart Home ist momentan so ein geflügeltes Wort und in aller Munde. Wie wichtig ist es bei der Energieeinsparung?
Kohlmann – Mit dem bereits jetzt stattfindenden Klimawandel steigt der Energiebedarf für Gebäudekühlung gefährlich an, wenn wir die solaren Einträge nicht deutlich reduzieren. Auf zunehmende Hitzeperioden und steigende Temperaturen in Gebäuden reagieren Verbraucher vermehrt mit dem Kauf von Kühlgeräten, weil es so am einfachsten ist. Der hohe Stromverbrauch wird dabei zumindest aktuell billigend in Kauf genommen. Aber damit werden nur die Symptome und nicht die Ursachen bekämpft, denn die Sonne liefert auch die nächsten Jahrtausende stetig Energie in Richtung Gebäudehülle. Und genau hier kommt das Thema Smart Home oder Gebäudeautomation ins Spiel, denn gerade bei der Erreichung der Klimaziele sollte der automatisierte bauliche sommerliche Wärmeschutz immer den Vorrang gegenüber der Kühlung durch Klimaanlagen haben. Er minimiert den Bedarf an zusätzlicher Kühlung und kann ihn in vielen Fällen komplett vermeiden, weil das Gebäude auch dann gesteuert wird, wenn der Mensch nicht zuhause ist.
GW – Wie bringt die RTG diese wichtigen Botschaften näher an die Politik heran?
Drinkuth – Das Ingenieurbüro Hauser hat für uns gerade eine Studie abgeschlossen, mit der wir nun klar zeigen können: Bauen wir weiter wie bisher, werden viele Räume in Zukunft entweder überhitzen oder sie müssen aktiv gekühlt werden – mit den von Hans Kohlmann beschriebenen Folgen. Aber: Die verschiedenen Sonnenschutzlösungen, Automation und Nachtlüftung können in den allermeisten Fällen für ein sehr gutes Temperaturniveau sorgen. Das kommunizieren wir im Sommer an die Politik - mit entsprechenden Forderungen für das Gebäudeenergiegesetz und die Normung.
GW – Am Anfang unseres Gesprächs wurden die Förderbedingungen angeführt. Was gilt es hier zu tun?
Drinkuth – Zunächst: Die Förderung von Einzelmaßnahmen muss wieder ins Lot gebracht werden. Für Maßnahmen an der Gebäudehülle bekommt man derzeit 15%, für den Einbau einer Wärmepumpe 35%. Gebäudehülle und Technik müssen gleich hoch gefördert werden. Mittelfristig schlagen wir ein Fördermodell vor, das sich am politischen Ziel orientiert: der Klimaneutralität. Statt der veralteten „Effizienzhaus-Standards“ sollten ein klimaneutrales Gebäude und seine Komponenten und Vorstufen definiert und gefördert werden. Natürlich inklusive Sonnenschutz. So könnten sich sowohl die Politik als auch die Fördernehmer sicher sein, dass sie das Richtige tun. Das ist heute beim Effizienzhaus nicht der Fall.
GW – Das ist eine große Menge an Informationen. Wie kommen die handelnden Akteure wie z.B. das ausführende Handwerk damit klar?
Kohlmann – Hier gilt es über die RTG, die Verbände aber auch durch die Hersteller immer wieder zu informieren bzw. auszubilden. Gerade aktuell gibt es seit dem 01.07.2023 in der Bundesförderung für Energieberatungen für Wohngebäude (EBW) eine neue Förderrichtlinie. Die Antragstellung erfolgt jetzt direkt durch die Beratungsempfangenden und das Zulassungsverfahren für Energieberatende geht auf die Deutsche Energie-Agentur (dena) über. Für die Handwerksbetriebe, die zusätzlich unter einem Fachkräftemangel leiden, ist es eine schwierige Aufgabe, den Spagat zwischen „Weiterbildung“ und der täglichen Arbeit zu schaffen. Das führt dazu, dass das Thema Förderung aktuell noch viel zu wenig genutzt wird. Um den bürokratischen Aufwand zu senken, gibt es mittlerweile gut funktionierende digitale Fördermittelrechner, die einen einfachen Umgang mit dem Thema ermöglichen.
GW – Nochmal zurück zum CO2 Fußabdruck. Kann man das mit ein paar Zahlen belegen?
Kohlmann – Wie schon gesagt, das Einsparpotenzial während der Nutzungsphase ist bis zu 28 Mal höher als der CO2-Ausstoß. Eine Fenstermarkise kann hier bis zu 7297 kg CO2e einsparen, ein Raffstore bis zu 5834 kg CO2e und ein Rollladen immerhin noch bis zu 3931 kg CO2e. Damit liegt das Potenzial für die CO2-Einsparung selbst beim Rollladen noch 13 Mal höher als der CO2-Ausstoß im gesamten Lebensweg.
GW – Im Juli gab es ein Webinar der RTG, das sich mit einem Update und Ausblick zu politischen Prozessen befasst hat. Wie werden solche Themen von wem angenommen?
Drinkuth – Im Juli war es ein internes Webinar für Branchenvertreter – quasi ein Sommerbericht aus Berlin. Zu ähnlichen Runden laden wir aber auch gelegentlich Gäste aus der Politik und den Ministerien ein. Wir werden ein ähnliches Format anbieten, um mit Ministerien die Ergebnisse der IBH-Studie zu diskutieren.
Das Gespräch führte der Ressortleiter Sonnenschutz Olaf Vögele