Glaswelt – Herr Dr. Greiner, die Baubranche zeigt eigene Effekte, die die COVID-19-Krise abschwächen. Welche sind das? Besteht die Gefahr, dass sich die Krisenauswirkungen zeitverzögert auswirken?
Dr. Greiner – Es wird auch in der Baubranche zu einer Abkühlung kommen, wenn Einkommen sinken und Investitionen zurückgestellt werden. Dennoch bin ich für 2020 optimistisch. Die Auslastung in der Branche war 2019 enorm und die Auftragsbücher waren Anfang dieses Jahres gut gefüllt. Mit Blick auf Ende des Jahres bzw. 2021 muss sich zeigen, wie gut die einzelnen Unternehmen in der Lage sind, neue Aufträge zu generieren. Gleichzeitig haben viele Herausforderungen, die es bereits vor COVID-19 gab, auch nach der Krise Bestand. Man denke ganz konkret an den Wohnungsmangel, an den Investitionsstau bei Infrastrukturprojekten oder die Notwendigkeit der energetischen Sanierung der Substanzbauten. Daher blicke ich optimistisch auf die langfristige Nachfrage. Zudem stabilisiert die aktuelle Zinssituation die Branche.
Glaswelt – Was sind die konkreten Auswirkungen der COVID-19-Krise auf das Wettbewerbsumfeld in der Fensterbranche und welche Gewinner- und Verliererpositionen ergeben sich?
Dr. Greiner – Die Fensterindustrie wird gerade in die Zange genommen: Die seit einigen Jahren anhaltende Verlagerung der Produktionskapazitäten in Niedriglohnländer trifft in der Krise auf eine sinkende lokale Nachfrage. Das setzt das Preisniveau und damit die Widerstandsfähigkeit der deutschen Fensterindustrie weiter unter Druck. Diejenigen Unternehmen, die auf die Herausforderungen der letzten Jahre keine echte Antwort gefunden haben, stehen nun großen Problemen gegenüber. Dabei geht es nicht nur um mangelnde Auslastung und Gewinnausfälle sondern konkret um Möglichkeiten der kurzfristigen Finanzierung. Zudem haben vergangene Krisen gezeigt, dass starke Unternehmen in diesen Situationen ihre Schlagzahl erhöhen und von der Schwäche anderer Marktteilnehmer profitieren können.
Glaswelt – Sie haben Leuchttürme formuliert, also Unternehmen, die besonders gut auf die Krise vorbereitet sind. Sind das vor allem Unternehmen mit überdurchschnittlichem Umsatzvolumen, oder können auch kleinere Unternehmen als Leuchttürme krisenfest verankert sein?
Dr. Greiner – Unsere Analysen zeigen: Größe ist nicht zwingend ein Vorteil. Konkret finden sich unter den performancestarken Leuchttürmen ebenso Unternehmen mit > 500 Mio. Euro Umsatz wie Unternehmen mit < 50 Mio. Euro Umsatz. Auch kleine Unternehmen sind in der Lage, Nischen für sich zu belegen und abzuschirmen. Im Kern geht es um strategische Positionierung im Wettbewerbsfeld. Dass man aber auch in einem starken Wettbewerb hervorragend aufgestellt sein kann, zeigt u. a. Verschattungsspezialist Roma.
Glaswelt – Die Sonnenschutzbranche sehen Sie in einer gefestigten Position, warum?
Dr. Greiner – Die Verschiebung der Marktkräfte, die man im Fensterbereich in den letzten Jahren beobachten konnte, ist im Sonnenschutz nur in abgemilderter Form zu erkennen. Aufgrund des Nachholbedarfs aus den letzten Jahren erwarte ich weniger starke Volumenrückgänge. Der auf der Branche lastende Preisdruck ist geringer.
Glaswelt – Sie sagen, die Fensterbranche steht jetzt vor einer flächendeckenden Konsolidierungswelle. Ist die Branche nicht schon mittendrin, oder wird sich diese Marktbereinigung jetzt noch beschleunigen?
Dr. Greiner – Die Konsolidierung der Branche wird schon seit Jahren prognostiziert. Die Phase der Hochkonjunktur hat dies jedoch verschleiert. Nun erwarte ich sowohl Insolvenzen von Marktteilnehmern, die schon länger auf Kante genäht haben, als auch eine steigende Zahl von Übernahmen durch kaufkräftige Leuchtturmunternehmen. Im Umfeld der Handwerksbetriebe wird es zudem schlicht Schließungen geben, deren Nachfolge unbesetzt bleibt.
Glaswelt – Welche Unternehmen werden mit welcher Strategie gestärkt aus der Krise kommen?
Dr. Greiner – Fast jedes Unternehmen hat die Chance, die Krise zu überstehen. Leuchtturm- und Kompaktklasseunternehmen sind in einer guten Ausgangslage. Gleichzeitig gilt: Wer jetzt zu sehr auf Defensive setzt, wird möglicherweise selbst aus gewissen Segmenten verdrängt und Kunden und Fachkräfte an Wettbewerber verlieren. Für Low Performer hingegen können die jetzigen Dynamiken den Handlungsspielraum existenzbedrohlich eng machen. Erstes Ziel für diese Unternehmen muss die Absicherung der Bestandskunden, die Reduktion der Kosten sowie die Sicherstellung der Liquidität sein. Es gilt, den strategischen Kern aufrecht zu halten. Zudem erwarte ich, dass die Digitalisierung einen Schub erleben und die Anbieterlandschaft weiter dividieren wird. Am Ende geht es aber für alle darum, besser und schneller als der direkte Wettbewerb zu sein. Insofern kann ich in jeder Leistungsklasse Gewinnergeschäftsmodelle erkennen.
Die Fragen stellte Chefredakeur Daniel Mund.