Die Tätigkeit der Bauunternehmen ist u.a. davon geprägt, das in den Wintermonaten die Arbeit witterungsbedingt ruht. Dies bedingt, dass die beschäftigten Mitarbeitern in der Bauwirtschaft in der Zeit der Jahreswende – je nach Witterung – 2 bis 3 Monate ohne Arbeit sind. Aus diesem Grund werden diese Beschäftigungsverhältnisse u.a. staatlicherseits durch die Gewährung von Saison-Kurzarbeitergeld unterstützt.
Andererseits war dies der Grund, dass wegen der Nichtverdienste in den Wintermonaten durch Tarifvertrag die Sozialkasse des Baus geschaffen wurde, um diese witterungsbedingten Nachteile abzufedern durch:
- Abrechnung des Urlaubs und Urlaubsgeldes durch Inkassoregelung
- Ausgleich geringerer Rentenleistungen durch weniger Beitragszahlungen (keine SV Beiträge in den Wintermonaten, damit nur 9 -10 SV Beiträge pro Jahr)
- Lohnausgleichszahlungen
Hinzu gekommen ist die
- Bezahlung der Auszubildenden durch alle Betriebe der Bauwirtschaft (Baugewerbe und Bauindustrie) im Umlageverfahren.
Da letztlich alle Bau-Betriebe auf die Beschäftigung ausgebildeter Bau-Auszubildender zurückgreifen, soll hierdurch ein gewisses Maß an Wettbewerbsverzerrung vermieden werden. Die Ausbildung betrifft aber ausschließlich Bauberufe wie Mauer, Betonbauer (Hochbau), Estrich- oder Fliesenleger (Ausbau) oder Gleis- oder Straßenbauer (Tiefbau), vgl. www.Bauberufe.net.
Anders ist die Situation im Tischlerhandwerk, da dort seit „Menschengedenken“ die Mitarbeiter ganzjährig beschäftigt werden und kein witterungsbedingter Arbeitsausfall zu verzeichnen ist. So arbeiten z.B. selbst die Bautischler ohne witterungsbedingten Ausfall ganzjährig über die Wintermonate hindurch.
Bautechnische oder bauphysikalische Behinderungen sind im Tischlerhandwerk nicht anzutreffen, anders als im Baugewerbe, wo z.B. ab gewisser Minusgrade nicht mehr gemauert oder betoniert werden kann, bzw. der Straßenbau wegen Schnee und Eis am Boden liegt.
Problemlage:
Die Tätigkeitsabgrenzung des Tischlerhandwerks zur Bautätigkeit wird an vielen Stellen unscharf, bedingt durch eine
- sprachliche Überschneidung von Tätigkeitsdefinitionen (z.B. Trockenbau)
- tatsächliche Ausführungen unter dem gleichen Globalbegriff (z.B. Montage)
Diese sprachlichen und tatsächlichen Überschneidungen werden in rechtlicher Hinsicht zudem in der Definition der Gerichte verwässert, da diese oft fachlich nicht begründet sind.
Der Holztreppenbau wird zu mindestens 80% ausschließlich von Betrieben des Tischlerhandwerks ausgeführt, zu etwa 20% von Betrieben des Zimmerhandwerks. Da der Holztreppenbau aber in den Meisterprüfungsverordnungen beider Gewerke erwähnt ist, unterstellt die Rechtsprechung eine sog. „Sowohl-als-auch“ Tätigkeit, also eine allgemeine Bautätigkeit. Demgegenüber handelt es sich beim Holztreppenbau um eine statisch und holztechnisch sehr anspruchsvolle Tätigkeit des Tischlerhandwerks, deren Kenntnisse auch nur dort – und nicht in den Bauberufen vermittelt werden.
Ein weiteres Beispiel ist der Fensterbau, eine handwerksrechtlich wesentliche Tätigkeit des Tischlerhandwerks. Auch hier spielt neben statischen und bauphysikalischen Kenntnissen ein qualifiziertes Wissen eine besondere Rolle, z.B. hinsichtlich der Vorgaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) oder Konformitätsübereinstimmungen einschlägiger DIN / EN Normen. Vom Aufmaß der Fenster über die Auswahlkriterien der Bauphysik bis zur qualifizierten Kenntnis von Einbauvorgaben erlernt und arbeitet der Bautischler im Bereich des Fensterbaus mit spezifischen Kenntnissen und Qualifikationen.
Die Zunahme von unterschiedlichen Fertigungstiefen (z.B. Zukauf von Fenstern und deren Montage) führt damit zu Abgrenzungsproblemen, nicht zuletzt da mit diesen (wesentlichen) Tätigkeiten die irrtümliche Annahme verbunden ist, es handele sich "nur noch um einfache Einbau- und Montagetätigkeiten" des Baugewerbes.
Zur Verwirrung trägt des weiteren bei, dass der fachliche Geltungsbereich in Bautarifverträgen oder der BaubetriebeVO so allgemein und weit gefasst ist, dass schon sprachlich Abgrenzungsprobleme entstehen. Die Definitionen des BRTV bzw. VTV und der BB-VO zu den Trocken- und Montagebau-arbeiten (z.B. Wand- und Deckeneinbau bzw. –verkleidungen, Montage von Baufertigteilen) beinhalten eine sprachliche Schieflage, da sie als Definition zu ungenau sind und keine rechtlich klare Abgrenzung ermöglichen.
„Übergriffe“ der SOKA Bau auf das Tischlerhandwerk
Diese sprachlichen Doppeldeutungen der wörtlichen Auslegung der Bau-Tarifverträge und die unscharfen Definitionen und Abgrenzungen zur Tätigkeit des Tischlerhandwerks führen im Einzelfall zu einer Beitrags-Veranlagung von Betrieben des Tischlerhandwerks zur SOKA Bau.
Dies ist einerseits nur möglich aufgrund der unklaren Definitionen im fachlichen Geltungsbereich der Bau-Tarifverträge, führt aber andererseits zu untragbaren und ungerechten Ergebnissen.
An erster Stelle zu nennen ist die Veranlagung zum Umlageverfahren der Berufsausbildung. Der Betrieb finanziert damit die Ausbildung für Maurer mit, ohne die Möglichkeit einer Erstattung, da der Beruf des Tischlers nicht zu den Bauberufen zählt.
Aber auch hinsichtlich des „Löwenanteils“ des SOKA Bau Beitrags, dem Urlaubskassenbeitrag, hat der Betrieb des Tischlerhandwerks bereits den Urlaub seiner Mitarbeiter gewährt und gezahlt und wird nachträglich dennoch zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen – rückwirkend für 4 Jahre - herangezogen in Höhe von 14.3 % der (bereits gezahlten) Lohnsumme. In dieser „seiner“ Lohnsumme ist die Urlaubszahlung in Höhe des mit dem Tischlergesellen vereinbarten Stundenlohns enthalten, die nicht deckungsgleich ist mit den Tariflöhnen und dem Urlaubsgeld des Baugewerbes und die zur Erstattung der Urlaubsgelder herangezogen wird.
Finanziell verschärft wird diese Beitragszahlung für bereits erledigten Urlaub durch die Tatsache, dass der erfasste Betrieb die Urlaubsvergütung für 4 Jahre erst komplett zahlen muss. Eine Aufrechnung ist ausdrücklich wegen des in § 18 Abs. 5 VTV tariflich geregelten Aufrechnungsverbotes untersagt, so dass selbst in Erstattungsfällen die Liquidität des Betriebes bis hin zur Insolvenzgefahr angegriffen wird. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass dem Betrieb zudem für alle Zahlungszeiträume erhebliche Zinsen berechnet werden, was die Gefahr der Illiquidität und Insolvenz erhöht.
Bereits die unterschiedlichen tarifvertraglichen Ansätze sind nicht „kompatibel“ und führen weiterhin zu unhaltbaren Ungerechtigkeiten.
Diese Ungerechtigkeit wird komplettiert durch die Tatsache, dass der Mitarbeiter im Tischlerhandwerk ganzjährig beschäftigt wird, also Sozialversicherungsbeiträge aus 12 monatlichen Lohnabrechnungen auch an die Rentenversicherung zahlt und weder ein Lohnausgleichsverfahren noch eine Zusatzversorgung erforderlich ist.
Aufgrund der nicht deckungsgleichen Tarifregelungen – Verfahrenstarifverträge Bau und Tarifverträge Tischlerhandwerk - kommt es zu erheblichen Verwerfungen, da der Betrieb des Tischlerhandwerks (als Außenstehender durch die Allgemeinverbindlichkeiterklärung AVE) zu zusätzlichen Zahlungen herangezogen wird, die er bereits geleistet hat (Urlaub) oder deren Erstattung von vornherein ausscheidet (Berufsausbildung).
Diese erhebliche, in der Sache wegen der ganzjährigen, witterungsunabhängigen Beschäftigung zudem ungerechtfertigte Kostenbelastung kann durch die pauschale Erfassung durch die AVE der Bautarifregelungen aber nicht gutgeheißen werden.
Dortmund, 02.02.2011, gez. RA Heinz-Josef Kemmerling
Fachverband des Tischlerhandwerks NRW