Die DIN 18008, Glas im Bauwesen – Bemessungs- und Konstruktionsregeln, deren Teile 1 – 5 in allen Bundesländern baurechtlich eingeführt sind und Teil 6 bald folgt, hat die bisherigen Regelwerke ersetzt. Im Wesentlichen wurden die Inhalte der bisherigen „Technischen Regeln“ übernommen und an die aktuellen Anforderungen an das Bauen mit Glas und den aktuellen Stand der Technik in Bezug auf Bemessung und Konstruktion angepasst. Obwohl sich die neue Norm in der Praxis etabliert hat, gibt es immer wieder Aufregung um ihre Auswirkungen.
Die Mythen und die Wahrheit
Mythos 1: Früher musste man doch Isoliergläser auch nicht dimensionieren.
Doch, das musste man auch nach den „Technischen Regeln“ schon – außer für die kleinen Scheiben, die damals wie heute unter die „Nachweiserleichterung“ fielen (vgl. Mythos 3).
Mythos 2: Aber früher waren es nur technische Regeln, jetzt ist es eine Norm – das wiegt rechtlich viel schwerer.
Das stimmt nicht. Auch die bisherigen technischen Regeln waren sowohl nach dem Bauordnungsrecht als auch nach dem Werkvertragsrecht des BGB und der VOB/B einzuhalten. Durch das Fortschreiben der anerkannten Regeln der Technik nach dem Stand des technischen Fortschritts hat sich für den Fachbetrieb nichts geändert.
Mythos 3: Jetzt muss man auf einmal jede Scheibe dimensionieren.
Wie bisher gilt die „Nachweiserleichterung“, und sie besagt, dass man Scheiben bis 1,6 m² Fläche ohne weiteren Nachweis verwenden darf, wenn bestimmte Voraussetzung erfüllt sind (Siehe Abb. 1 – Auszug aus DIN 18008-2). Demnach ist – wie bisher – zumindest nachzuprüfen, ob die genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Zunächst gilt: Der Fachbetrieb ist seinem Kunden gegenüber immer dafür verantwortlich, dass sein Produkt den anerkannten Regeln der Technik entspricht, hier also: nach der Norm bemessen wurde.
Die Verantwortlichkeit kann natürlich bei einem konkreten Vertragsabschluss dahin geregelt werden, dass der Kunde selbst für die Dimensionierung verantwortlich ist (indem er z. B. einen Statiker beauftragt).
Mythos 5: Die Isolierglasindustrie hat – ohne Rücksicht auf die Verarbeiter und das Handwerk – die Norm extra so gestaltet, dass alle Gläser dicker werden als früher.
Stimmt nicht: Für großformatige Isoliergläser ergeben sich im Gegenteil in zahlreichen Fällen sogar geringere Glasdicken. Für sonst nicht nachweisbare kleinformatige Isoliergläser sind dickere Gläser auch eine „bedenkliche Lösung“, weil die Scheiben zum Nachteil des Randverbundes entlastet werden (siehe auch Mythos 6).
Die konstruktiven Randbedingungen sind den bisherigen sehr ähnlich, weitgehend sogar identisch. Lediglich die Durchbiegungsbeschränkungen sind nun einheitlich auf „1/100 der Stützweite in Scheibenmitte“ festgelegt, wobei aber bei Vertikalverglasungen auch gewisse Überschreitungen zulässig sind.
Mythos 6: Es muss jetzt überall ESG verwendet werden.
ESG macht Sinn: Neben bestimmten 3-fach-Aufbauten zeigen sich bei kleineren Scheiben in Lastfällen, in denen die Klimalast maßgebend ist, unzulässig hohe Spannungsausnutzungen. Das geeignete Gegenmittel sind hier nicht dickere Gläser (die führen zu höherer Belastung des Randverbundes, weil sie steifer sind), sondern der Einsatz von ESG.
Dass kleine Scheiben, insbesondere mit ungünstigem Seitenverhältnis, problematisch zu dimensionieren sind, ist lange bekannt. Durch das Bemessungskonzept der DIN 18008 und das damit verbundene Sicherheitsniveau haben sich allerdings diese Fälle auf mehr Scheibenformate als früher ausgedehnt, so dass ein beträchtlicher Teil der marktgängigen Formate betroffen ist und in der gewohnten Ausführung „2 x 4 mm Float“ nicht mehr nachgewiesen werden kann.
Wenn die Scheiben kleiner als 1,6 m² sind, gilt derzeit die Nachweiserleichterung (vgl. Mythos 3). Dennoch gibt es hier ein Problem, das tatsächlich während der ganzen, zehn Jahre lang dauernden Arbeit an der Norm nicht aufgefallen ist oder nicht angegangen wurde.Der zuständige Normenausschuss hat das erkannt und diskutiert derzeit eine Reform der Glasbemessung für kleinformatige Isoliergläser mit einer Fläche bis zu 2 m². Die Begründung dafür ist, dass die möglichen Schadensfolgen bei einem Versagen allseitig gelagerter, normaler Verglasungen bis zur Größe von 2 m² als überschaubar angesehen werden – eine Gefahr für Leib und Leben wird von diesen Scheiben nicht ausgehen.
Das Ergebnis dieser Reform wird voraussichtlich sein, dass der Nachweis der Spannungen für solche kleinformatigen Isoliergläser auf dem Sicherheitsniveau der Gebrauchstauglichkeit geführt werden darf und damit unter dem Niveau der alten TRLV liegt. Diese Reform soll dann auch für alle kleinformatigen Isoliergläser gelten und nicht nur für Vertikalverglasungen mit weiteren Einschränkungen (vergleiche Mythos 3). Deshalb soll dann allerdings nach heutigem Stand sozusagen „im Gegenzug“ die bisherige Nachweiserleichterung entfallen.
Die Änderung der Anforderungen bei kleineren Scheiben wie unter „Mythos 6“ beschrieben kann nach heutigem Stand frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2017 in Kraft treten. Bis dahin gilt die Norm so, wie sie ist, und man ist gut beraten, sich mit ihr zu befassen und sie einzuhalten.
Tipp der Redaktion: Im nächsten Newsletter im zweiten Teil folgen Ratschläge, wie sich der Fachbetrieb (Fensterbauer, Glaser, Tischler u.a.) verhalten sollte, um die DIN 18008 regelkonform anzuwenden.
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Die Autoren
Jochen Grönegräs, Geschäftsführer des Bundesverbands Flachglas (BF), und Markus Broich, Technischer Leiter des BF.