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Interview mit Wolfgang Jehl

“Uns ist bewusst, dass mit diesen Neuerungen die Montage nicht einfacher wird“

Glaswelt – Herr Jehl, warum sind Änderungen bei den Befestigungsregeln notwendig geworden?

Wolfgang Jehl – In den letzten Jahren haben sich sowohl die Belastungssituation als auch die Einbausituation zunehmend verändert. Damit ist die Belastung der Befestigung zum Baukörper deutlich größer geworden. Die wesentlichen Gründe hierfür sind das höhere Gewicht von 3-fach-Isolierglas, größere Fensterabmessungen und andere Fensterformate (liegende Fenster mit B> H) sowie geringere Tragfähigkeiten hochwärmedämmender Außenwände und neue Wandkonstruktionen (Sandwich-/Leichtbauwände, WDVS). Aber auch gestiegene Komfortansprüche an die Bedienkräfte haben Einfluss auf die Montage und Befestigung. Eine steigende Anzahl von Schadensfällen zeigt, dass hier erheblicher Handlungsbedarf besteht. Dabei ist es nicht das Schreckensbild von herausfallenden Fenstern, sondern der typische Schaden besteht in der Lockerung der Befestigung und des Fensters, die dann zum Abreißen und Versagen der Abdichtungssysteme mit nachfolgenden Feuchte- und Bauschäden führen kann.

Glaswelt – Was war der Anlass im Leitfaden im Bild 5.2. die Befestigung in unterschiedliche Anwendungsfälle zu unterscheiden?

Jehl – Grundlegende Anforderungen an die Befestigung von Bauelementen bestanden nach der Bauordnung schon immer und gelten auch heute noch. In den Landesbauordnungen (z. B. LBO Bayern) heißt es in Art. 3 (1). „1. Anlagen sind unter Berücksichtigung der Belange der Baukultur, insbesondere der anerkannten Regeln der Baukunst, so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instandzuhalten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden. 2. Sie müssen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung die allgemeinen Anforderungen des Satzes 1 ihrem Zweck entsprechend angemessen dauerhaft erfüllen und ohne Missstände benutzbar sein.“ Damit ist die Frage nach der Notwendigkeit einer Bemessung schon einmal grundlegend geklärt. Die Unterscheidung wurde notwendig, da es neben dem Standardfall viele Montagesituationen gibt, für die die bisherigen Handwerks- und Befestigungsregeln (z. B. Anordnung von Trag- und Distanzklötzen, Lage und Anzahl mechanischer Befestigungspunkte) nicht mehr ausreichend sind (s. Frage 1).

Glaswelt – Sind Sie davon überzeugt, dass mit der Abgrenzung in verschiedene Anwendungsfälle die Unklarheiten für den Montageverantwortlichen beseitigt wurden?

Jehl – Damit nicht für jede Fenstermontage eine objektspezifische Bemessung durchgeführt werden muss und die bestehenden Handwerks- und Befestigungsregeln für bestimmte Einsatzgebiete bestehen bleiben können, wurde die Montage im neuen Leitfaden hinsichtlich der Befestigung in drei Anwendungsfälle unterteilt (Bild 5.2). Die Aufteilung basiert auf technisch wissenschaftlichen Grundlagen, baurechtlichen Anforderungen und pragmatischen Unterscheidungskriterien. Insbesondere die Definition des Standardfalls ist eindeutig und klar beschrieben. Den gewählten Grenzen, beispielsweise den Abmessungen, liegen umfangreiche Berechnungen und Untersuchungen zugrunde, sodass der Monteur auf der sicheren Seite steht, wenn er wie bisher übliche Befestigungsmittel wie Rahmendübel in den empfohlenen Abständen montiert. Auch die Begrenzung auf zwei Fensterflügel ist notwendig, da bei einem Fenster mit drei öffenbaren Flügeln die Lastabtragung des mittleren Flügels nur durch oben oder unten positionierte Befestigungspunkte erfolgen kann.

Auch der Sonderfall 2 ist klar definiert und basiert auf eindeutigen baurechtlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise die Befestigung von absturzsichernden Fenstern, Fenstern und Türen mit Brandschutzanforderungen oder einbruchhemmenden Eigenschaften.

Beim Sonderfall 1 führt insbesondere die Beschreibung „liegen keine Erfahrungen vor, ist eine statische Bemessung zu empfehlen“ zu Diskussionen. Mit dem Begriff „Erfahrungen“ sind Bauvorhaben gemeint, die von Abmessungen, Lastfällen, Gewichten und Einbaubedingungen vergleichbar sind und für die schon eine Bemessung vorliegt. Allgemein gilt, dass außer beim Standardfall immer plausible Berechnungen vorliegen sollten. Diese sind zunächst erst einmal Teil der internen Projektdokumentation wie Materialbestellungen etc., können aber auf gezielte Nachfrage seitens des Bauherren oder Planers vorgelegt werden. Mit „statische Bemessung“ ist deshalb kein statischer Nachweis durch einen Ingenieur oder Statiker gemeint, sondern die Bemessung der notwendigen Befestigungsmittel auf Basis des Montageleitfadens. Hierzu reichen die Grundrechenarten und ein einfacher Taschenrechner.

Damit ist eine ausreichende, leicht verständliche Abgrenzung geschaffen, die eine wesentliche Vereinfachung und Rechtssicherheit bietet. An der Einteilung wurden auch die relevanten technischen Kreise und Verbände beteiligt. Natürlich muss sich nun jeder Montageverantwortliche mit dieser Thematik auseinandersetzen. Hierzu enthält der Montageleitfaden ausreichende Erklärungen und Musterbeispiele, die durch Schulungen und Seminare begleitet werden.

Glaswelt – Der Sonderfall 1 beschreibt die Grenzsituationen, ab der die Montage nicht mehr nur nach den bisherigen Handwerks- und Befestigungsregeln durchzuführen ist. Hier wird jetzt eine statische Bemessung empfohlen. Wird dadurch der zeitliche Aufwand für Montagebetriebe ausgeweitet?

Jehl – Ja, für den Sonderfall 1 ist ein gewisser zeitlicher Aufwand notwendig. Meine Erfahrung mit den vielen Teilnehmern in den Seminaren zeigt, dass auch ein Monteur mit einer bautechnischen Facharbeiterausbildung nach einer Einarbeitungsphase die Bemessung mit überschaubarem Aufwand durchführen kann. Das ift Rosenheim hat einen großen Aufwand betrieben, um die Erklärung und Bemessung mittels Diagrammen und Tabellen so einfach wie möglich zu machen. Wenn man sich auf die Bemessung für den Lastfall Flügelgewicht und vertikale Nutzlasten beschränkt, braucht man zur Bemessung lediglich das Flügelgewicht, das Breiten-/ Höhenverhältnis des Flügels sowie die Nutzlast. Hier hat sich nach meiner Erfahrung als Lastannahme für private Bauten die Klasse 2 (400 N) der EN 13115 und für öffentliche Bauten die Klasse 3 (600 N) bewährt. Die Klasse 3 müssen im Übrigen auch die Fenster der RAL-Gütegemeinschaft mindestens erfüllen. Deshalb empfehlen wir, die vereinfachten Regeln des Montageleitfadens zu nutzen. Die Formeln und statischen Berechnungen von Schnittgrößen und Kräften sind eher für Ingenieure und Architekten gedacht und dienen auch als technisch/wissenschaftliche Grundlage für die Diagramme und Tabellen. Die Alternative zum hier gewählten Verfahren wäre eine statische und ingenieurmäßige Berechnung, die auch ein Prüfstatiker akzeptiert. Damit würden die Kosten für den Ausführenden erheblich steigen.

Glaswelt – Lässt nicht die Formulierung im Standardfall 1, dass entweder statische Bemessungen zu erfolgen haben oder man sich auf die eigenen Erfahrungen berufen kann, zu viel Raum für Interpretationen, die im Streitfall dann Juristen beschäftigen werden?

Jehl – Mit der Formulierung „Erfahrungen“ sind Bauvorhaben und Fenstermontagen gemeint, die von Abmessungen, Lastfällen, Gewichten und Einbaubedingungen her vergleichbar sind und für die schon eine Bemessung vorliegt. Allgemein gilt, dass außer beim Standardfall immer eine plausible Berechnung vorliegen sollte. Professionelle Montagebetriebe werden sich sicher eine eigene Sammlung an Musterbemessungen anlegen, die dann einfach zu nutzen ist. Eigene Erfahrungswerte im Sinne von „das haben wir schon immer so gemacht“ oder „das hält schon“ sind für Bauherren, Planer, Gutachter oder Juristen im Zweifel wenig überzeugend. Die Haftung und Verantwortung bleibt rechtlich sowieso meistens beim Unternehmen und Montageverantwortlichen.

Glaswelt – Gibt es mit den Nachweisempfehlungen in der Praxis Probleme, weil von manchen Befestigungsmittelherstellern keine Daten vorliegen?

Jehl – Angaben zur Tragfähigkeit der Befestigungsmittel waren baurechtlich schon immer notwendig und sind beispielsweise im Holz- und Fertigbau, aber auch im Fassadenbau, üblich. Deshalb gibt es genügend Hersteller mit Angaben und Informationen zur Tragfähigkeit der Befestigungsmittel. Montagebetriebe sind daher gut beraten, beim Einkauf der notwendigen Schrauben, Dübel, Krallen etc. auf entsprechende Kennwerte und Nachweise zu achten. Hersteller die noch keine belastbaren Kennwerte haben, sollten hier deshalb zügig für Abhilfe sorgen. Für mich ist es eigentlich unverständlich, Produkte auf den Markt zu bringen, ohne deren Leistungsfähigkeit zu kennen.

Glaswelt – Der Leitfaden gibt in weiten Teilen die allgemein anerkannten Regeln der Technik wieder. Zählen Sie die Unterscheidung in der Befestigung und insbesondere die Deklaration des Sonderfalls 1 mit dazu?

Jehl – Der Leitfaden zur Montage ist, wie der Name schon sagt ein Leitfaden, der regelmäßig aktualisiert wird und den Stand der Technik sowie auch a.a.R.d.T. wiedergibt. Von daher liegt es in der Natur der Sache, dass der Leitfaden in seiner Gesamtheit nicht als a.a.R.d.T. gesehen werden kann (unabhängig von der Ausgabe). Wie im Montageleitfaden Ausgabe März 2014 beschrieben, wird mit Bild 5.2 erstmals eine Orientierungshilfe gegeben, in welchen Fällen eine intensivere Auseinandersetzung mit der Befestigung im Rahmen der Werkstatt- und Montageplanung empfohlen wird. Die Unterscheidung in unterschiedliche Montagefälle ist also neu und beschreibt zurzeit den Stand der Technik, weil die Annahmen durch umfangreiche Untersuchungen und Prüfungen technisch sauber belegt sind. Es handelt sich also um eine neue Empfehlung, die definitionsgemäß bislang keine a.a.R.d.T. darstellt.

Uns ist bewusst, dass mit diesen Neuerungen die Montage nicht einfacher wird. Wir haben jedoch versucht, diese aus unserer Sicht erforderlichen Neuerungen so einfach wie möglich zu gestalten und entsprechende Orientierungshilfen und Hilfsmittel zu geben, um die Problemfälle im Vorfeld im Griff zu haben, bevor man mit Reklamationsfällen konfrontiert wird. Meine Empfehlung ist, sich mit dieser neuen Thematik auseinanderzusetzen, denn bekanntlich schützt im Zweifel „Unwissenheit nicht vor Strafe“. —

Die Fragen stellte GLASWELT Chefredakteur Daniel Mund.

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