Stellen wir uns zwei unterschiedliche Szenarien vor, die man von der täglichen Arbeit auf der Baustelle kennt:
Szenario 1: Das Haus ist im Bau. Die Fenster werden geliefert und eingebaut. Die Scheiben weisen im Scheibenzwischenraum nun Schmutz und sichtbare Saugerabdrücke auf. Hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Mangel, der dann vorliegt, wenn der Käufer nicht erhalten hat, was vereinbart wurde oder was er erwarten konnte.
Szenario 2: Das Haus ist zum Bezug fertig. Die Endreinigung ist durchgeführt. Die Scheiben weisen Kratzer auf. In diesem Fall handelt es sich vermutlich um einen durch Sachverständige zu beurteilenden Schaden.
Was muss ein Fensterglas leisten?
Transparente Verglasungen von Fenstern und Fassaden haben neben der Erfüllung der technischen Anforderungen primär die Aufgabe, Licht in den Raum zu lassen und eine ungehinderte Durchsicht von innen nach außen zu ermöglichen.
Eine Bewertung von Auffälligkeiten und optischen Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel Kratzern, sollte nach dem Gesichtspunkt erfolgen, inwieweit die Funktion der Gläser, etwa die Durchsicht, bei normaler Nutzung behindert oder beeinflusst wird.
Entscheidend bei der Beurteilung ist die Durchsicht durch die Scheibe und nicht die Aufsicht. Die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen“ ist [ ... ] eine Anwendungsrichtlinie innerhalb der Beziehung zwischen Hersteller und Verarbeiter von Glasprodukten.
Ist die Richtlinie eine anerkannte Regel der Technik?
Aber was gilt nun gegenüber dem Endkunden? Die Richtlinie ist kein Regelwerk für die Beziehung zwischen Lieferanten und Endabnehmern. Anderes gilt nur, wenn die Beurteilung von Mängeln und Schäden an Verglasungen nach dieser Richtlinie vertraglich vereinbart wurde.
Die Anwendung der Richtlinie
In der Richtlinie ist vorgegeben, dass die Beurteilung zum Beispiel nur bei diffusem Licht, das heißt bei Bewölkung erfolgen darf. Aus Sachverständigensicht kann jedoch nicht ignoriert werden, dass über das Jahr gesehen sehr häufig die Sonne scheint und mögliche Beeinträchtigungen nur dann deutlich sichtbar sind. Die Beurteilung kann aus diesem Grund sehr wohl auch bei Sonnenschein erfolgen.
Sind z.B. Saugerabdrücke auf dem Glas vorhanden, die nur auf einer regenfeuchten Glasoberfläche sichtbar werden (Foto 01), heißt es in einer Urteilsbegründung des Amtsgericht Iserlohn u.a.:
„… Unmittelbarer Zweck einer Fensterscheibe ist es zu isolieren und die Durchsicht zu gestatten. Dem Einbau einer Fensterscheibe liegen jedoch letztlich auch ästhetische Erwägungen zugrunde. … Auch Kreise in einer geringen Anzahl begründen einen Mangel. … Bei der Beurteilung eines Sachmangels legt das Gericht die Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas nicht zugrunde. … “ [ ... ]
Bei Fällen, in denen nicht auf objektive Beurteilungskriterien zurückgegriffen werden kann, bleibt es dem Sachverständigen vorbehalten eine Beurteilung der Zumutbarkeit, unter Umständen auch unter dem Gesichtspunkt des Üblichen vorzunehmen. [ ... ]
Tipp der GLASWELT Redaktion: Lesen Sie das Fazit der Sachverständigen in der aktuellen Januar-Ausgabe der GLASWELT, die am 9. Januar erscheint. www.glaswelt.de/abo
Die Autoren vom SAK Glas
Der Sachverständigen Arbeitskreis Glas (SAK Glas), besteht aus neutralen, öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen auf dem Fachgebiet Glas und Glasanwendungen. Die Autoren des Beitrags sind:
- öBuV Dieter Balkow, Aachen
- öBuV Wolf-Dietrich Chmieleck, Witten
- öBuV Dr. Reinhold Marquardt, Vöhl
- öBuV Hans-Herbert Zimmermann, Mülheim/Ruhr