Für den Ladenbauer lag es auf der Hand: Die Bohrungen der Gläser haben eine derartig geringe Toleranz aufgewiesen, dass sie nicht exakt auf die Aufnahmebolzen gepasst hätten - da könne nur ein Fertigungsfehler seitens des Glasherstellers vorgelegen haben.
Der Lieferant war aber ganz anderer Meinung: Die Bohrungen hätten sämtlich die gleiche Anordnung und die gleichen Abmessungen aufgewiesen, die Maßabweichungen hätten bei den einzelnen Gitterträgern vorgelegen. Daneben sei es auch bei der Montage der einzelnen Gitterträger untereinander zu Maßabweichungen gekommen, da die Abstände zwischen den Gitterträgern nicht gleich gewesen seien. Wegen der vorgenannten Maßabweichungen sei es zu sogenannten Muschelausbildungen an den Glasscheiben gekommen.
Zur Beurteilung des Sachverhaltes und um Feststellungen zu treffen, war ein Ortstermin notwendig, bei dem folgendes festgestellt werden konnte: Das Glasdach besteht aus Gitterträgern, die abgesehen von den äußeren Bereichen von oben nach unten zueinander einen gleichmäßigen Abstand von 1000mm haben sollen (siehe Bild 1 und 2). Die Gitterträger haben 8 Auflagerpunkte, an denen die mit Bohrungen versehenen Glasscheiben hängend mittels einer Klemmscheibe verschraubt sind (siehe Bild 3)
Nach einer detaillierten stichprobenweisen Vermessung von vier Gitterträgern, der Abstände der Gitterträger untereinander, der drei hieran befestigten Glasscheiben, der Spalte zwischen den Glasscheiben, der Durchmesser der Lochbohrungen in den Glasscheiben, sowie der Abstände der Lochbohrungen in den Glasscheiben konnte der Gutachter feststellen, dass der Abstand der Gitterträger zueinander von oben nach unten bis zu 15mm variiert, was zu den unterschiedlichen Spalten zwischen den Glasscheiben führte.
Ein Mitarbeiter der Ladenbaufirma wies bei dem Ortstermin darauf hin, dass sich die Scheiben in den letzten Jahren konstruktionsbedingt in den Auflagern verschieben konnten, was dann auch zu unterschiedlichen Spalten führen könne.
Erläuterungen
Materialien dehnen sich bei Erwärmung aus und ziehen sich (mit Ausnahme von Wasser) bei Erkaltung zusammen. Ein einfaches Beispiel hierfür sind Brücken, die an einem Ende ein sogenanntes Festlager haben und am anderen Ende ein Loslager. Vom Festlager ausgehend kann sich die Brücke zum Loslager hin ausdehnen oder wieder zusammenziehen. Würde man ihr diese Möglichkeit versagen, indem man sie mit zwei Festlagern baut, könnte dies zur Zerstörung der Brücke führen. Dieser physikalische Effekt muss erst recht bei Konstruktionen mit Materialien berücksichtigt werden, die einen unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten haben.
Im vorliegenden Fall sind Glasscheiben mit einem sehr niedrigen Wärmeausdehnungskoeffizienten an acht Auflagerpunkten hängend an Stahlträgern mit einem höheren Wärmeausdehnungskoeffizienten befestigt.
Ein Querschnitt eines Auflagerspunktes ist in Bild 6 zu ent-nehmen. Die Glasscheiben haben an den Auflagerpunkten Bohrungen, durch die hindurch eine Klemmscheibe an den Stahlträger verschraubt wird. Die beiden oberen Befestigungen sind als Festlager konstruiert. Eine Bohrung hat einen Durchmesser, der so gering ist, dass alle Bewegungen von hier ausgehen. Die gegenüberliegende zweite Bohrung ist als horizontal verlaufendes Langloch ausgelegt. Alle übrigen sechs Bohrungen müssen im Durchmesser so groß sein, dass sie nicht an die Verschraubung anschlagen und der Scheibe genügend Freiraum bieten, sich auszudehnen.
Wenn nun der Abstand der Stahlträger von oben nach unten verlaufend nicht parallel gleichmäßig ist, so sind zwei benachbarte Scheiben oben an den Festlagern im Abstand zueinander fixiert und nach unten hin werden sie sich, wenn die Ausgleichsmöglichkeit in den Bohrungen ausgeschöpft ist, dem kleineren oder größeren Abstand der Träger anpassen. Genau dies hat der Gutachter bei der Vermessung festgestellt. Der Abstand zwischen zwei Festpunkten betrug oben 1940mm und unten nur 1925mm. Das heißt, die Gitterträger hatten einen derart großen ungleichmäßig verlaufenden Abstand mit einer Differenz von 15 mm, der sich in den unterschiedlichen Spalten zwischen den beiden Scheiben bemerkbar machte.
Beantwortung der Fragestellung
Zu der von der Klägerin behaupteten Mangelhaftigkeit der von der Beklagten gelieferten und anlässlich des durch die Klägerin vorgenommenen Einbaus gesprungenen Glasscheiben konnten keine Feststellungen getroffen werden, weil diese Scheiben nach Aussage der Klägerin nicht mehr vorhanden sind. Zu der Behauptung der Beklagten, der Kläger hätte bei der Montage der zwanzig Glasscheiben an dem Bauvorhaben Kaufcenter in Duisburg fünf Glasscheiben beschädigt, konnten aus oben genannten Gründen ebenfalls keine Feststellungen getroffen werden.
Schließlich lässt sich nur die Behauptung bestätigen, dass es bei der Montage der einzelnen Gitterträger untereinander zu Maßabweichungen gekommen ist. Es konnte festgestellt werden, dass der Abstand der Gitterträger zueinander von oben nach unten bis zu 15mm variiert, was zu den unterschiedlichen Spalten zwischen den Glasscheiben führte. Aber die vermessenen einzelnen Gitterträger und die an den Gitterträgern angebrachten Aufnahmebolzen hatten die auf der Produktionszeichnung angegebenen Abmessungen. Sie haben sich innerhalb der zulässigen Toleranzen bewegt, die nicht überschritten wurden.|
Autor
Wolf-Dietrich Chmieleck ist von der IHK Bochum öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Glastechnik und Glasanwendung.
IGA Institut für Glasanwendung
Dipl.Ing. Wolf-Dietrich Chmieleck, 58456 WittenTel. (0 23 02) 7 53 83, Fax (0 23 02) 7 51 33iga@chmieleck.de, https://www.iga-chmieleck.de/