Matthias Rehberger – Was meinen Sie Herr Schmidt, ist die vollautomatisierte, komplett vernetzte Produktion das Allheilmittel, um sich als Unternehmen für die Zukunft fit zu machen?
Dr. Thomas Schmidt – Es ist absolut notwendig sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, das gilt gleichermaßen für Fensterbauer und für Glasverarbeiter. Ein Allheilmittel stellt die Vernetzung pauschal betrachtet jedoch sicherlich nicht dar. Um fit für die Zukunft zu werden, sind noch eine ganze Reihe weiterer Aspekte relevant, insbesondere auch solche, die nicht technischer Natur sind.
Rehberger – Dann geht es also in erster Linie nicht um die Technik, sondern vielmehr um das eigene Geschäftsmodell beziehungsweise wie sich ein Betrieb in Zukunft und mit welchen Produkten aufstellen will?
Schmidt – Das würde ich so sehen. Zuerst muss man sich die Frage stellen, kann oder will ich mein aktuelles Geschäftsmodell überhaupt weiterführen. Davon ausgehend gilt es zu überlegen, welche Produkte und insbesondere auch welche Neuprodukte will ich künftig herstellen und vermarkten. Dazu muss dann das passende Geschäftsmodell entwickelt werden, wobei es gleichzeitig zu klären gilt, ob dieses Modell auch 4.0 tauglich ist oder wie es das werden kann.
Rehberger – Parallel dazu gilt es zu sondieren, welche Märkte in diesem Rahmen zumindest mittelfristig relevant sind. Der Unternehmer muss abschätzen, woher im gewählten Marktsegment, trotz digitaler Produktion, Konkurrenten auftauchen könnten. Denn wenn dieses Segment auch für große und/oder branchenfremde Player interessant sein könnte – hier denke ich an Verkaufs- und Vermarktungsplattformen à la Amazon, Google und Co., denn diese Unternehmen sind aktuell auf der Suche nach Bereichen, die noch wenig digitalsiert sind, um hier zu investieren. Diese Player sind mit einer vollen Kriegskasse ausgestattet. So macht es vielleicht weniger Sinn, sich in solchen Bereichen zu positionieren. Doch zurück zur Technik, was sollte man als Verarbeiter, der in die Digitalisierung investieren will, auf dem Schirm haben?
Schmidt – Der Verarbeiter muss prüfen, wie sich eine Vernetzung im Rahmen von Industrie 4.0 im eigenen Betrieb implementieren lässt. Mit Anlagen, die 10 bis 15 Jahre alt sind, wird das nicht einfach werden. In diesem Fall muss man sich schon etwas einfallen lassen. Neben dem Hauptproduktionsprozess (Bestellung, Auftrag, Produktion, Lieferung) kann man ebenso die Nebenprozesse der Produktion betrachten und digitalisieren. Selbst mit alten Anlagen lässt sich z. B. die Wartung verbessern, wenn damit der Anwender über leicht zu integrierende Sensoren ein besseres Bild vom Zustand der Maschine erhält.
Rehberger – Die Digitalisierung und die Vernetzung der kompletten Produktion wird einiges kosten und die meisten Verarbeiter bei uns werden nicht die Mittel haben, eine neue Produktion auf der grünen Wiese aufzustellen. Muss man sich nicht alleine aus Kostengründen fragen, ob bei der 4.0 Umstellung wirklich alles vollautomatisiert werden muss?
Schmidt – Das ist richtig. Zudem muss nicht alles auf einmal vollautomatisch funktionieren, auch hier gilt es Schritt für Schritt voranzugehen und den Nutzen der jeweiligen Maßnahmen vorab genau zu evaluieren. Auch händische Arbeitsschritte können Teil einer vernetzten Produktion sein. Und wie schon angesprochen, vielfach sind ja bei den Verarbeitern auch schon Teilbereiche automatisiert.
Rehberger – Die Technik anzuschaffen und bereitzustellen ist die eine Seite, aber wer bedient die neuen und komplexeren Anlagen dann letztendlich. Geht das mit der bestehenden Belegschaft oder braucht es hier neue Fachkräfte?
Schmidt – Künftige Mitarbeiter müssen mit den Ansprüchen zurechtkommen, die eine digitalisierte Produktion stellt. Was nützt die beste Maschine, wenn der Bediener nicht in der Lage ist, ein Update der Software selbstständig aufzuspielen und so die gesamte Produktion für viele Stunden stillsteht bis der Service-Mann dann endlich vor Ort ist. Bei einem leer gefegten Arbeitsmarkt in Deutschland ist es heute aber eine echte Herausforderung, gut qualifiziertes Personal zu bekommen und auch zu halten.
Rehberger – Kosten hochqualifizierte Mitarbeiter denn nicht eine Menge Geld? Will man das als Unternehmer investieren?
Schmidt – Reine Stundenlöhne zu vergleichen ist hier der falsche Ansatz. Als Unternehmer muss ich zuerst einmal dafür sorgen, dass mein Geschäftsmodell auch Rendite abwirft. Und wenn ich dazu besser ausgebildete und besser bezahlte Fachkräfte brauche, ist das halt so. Zudem lassen sich mit kurz angelernten Mitarbeitern komplexere Anlagen nicht mehr (effektiv) bedienen. Es braucht schon gut geschulte Fachleute, um die Investitionen in neueste Maschinen auch optimal zu nutzen.
Rehberger – Garantiert in Ihren Augen eine digitalisierte Produktion und die optimale Vernetzung die Zukunft des Unternehmens?
Schmidt – Die eingesetzte Technik ist nur ein Baustein in Sachen Zukunftssicherung. Gerade im Mittelstand habe ich als Unternehmer die Möglichkeit, Nischen zu besetzen, also Produkte zu fertigen, die kein anderer herstellt. Im Rahmen der eigenen Zukunftssicherung kann die Entwicklung neuer Produkte und Anwendungen ein Ansatz sein, um zukünftig weiterhin erfolgreich zu bleiben. Dazu muss man gar nicht alle Kosten selber stemmen, es gibt in Deutschland aktuell auch gute Fördermöglichkeiten, auf die man als Unternehmer zugreifen sollte. Und unser Mittelstand ist ja innovativ. Ich denke, das wird auch weiterhin so bleiben.
Rehberger – Wie würden Sie nochmals kurz zusammenfassen, welches sind die wichtigsten Punkte in Bezug auf Digitalsierung und Vernetzung.
Schmidt – Um künftig erfolgreich am Markt zu agieren, geht es nicht ohne Einbindung der Kunden in die automatisierten und digitalen Prozesse. Dies setzt zudem eine gute und umfassende Kommunikation mit Kunden und Zulieferern voraus sowie natürlich gute Qualität.—
Zur Person von Dr. Thomas Schmidt
Glasberater Dr. Thomas Schmidt betreut und unterstützt Verarbeiter und Veredler aus der Flachglasbranche bei Abläufen und Strukturen im Unternehmen. Seine Beratungs-Schwerpunkte richten sich auf Technik und Produktionsoptimierung.