Hinzufügen statt wegnehmen: Unter Additive Manufacturing (AM) versteht man das schichtweise Herstellen von Prototypen, Werkzeugen und Serienteilen
Die Herstellung erfolgt ohne den Einsatz von Werkzeugen oder Formen. Bei den herkömmlichen Verfahren, wie Fräsen, Schneiden, Hobeln und Drehen, wird Material abgetragen (subtrahiert) und es entsteht „Verschnitt“. Demgegenüber wird beim additiven Verfahren nur Material zugefügt und ein Bauteil Schicht für Schicht aufgebaut. Dabei sind auch Hinterschneidungen, integrierte Verbindungen, konturbegleitende Kanäle möglich.
Heute gibt es über 20 AM-Verfahren, das Prinzip ist bei allen das gleiche: Computerprogramme zerlegen ein mit CAD erstelltes 3D-Modell eines Bauteils in Schichten (Layer). Diese sind vertikale Lagen des Modells. Das AM-Ausgabegerät (auch „3D-Drucker“ genannt) bearbeitet nacheinander jeden Layer des Modells, je nach Verfahren durch Belichten, Verschmelzen oder Bedrucken. Ein Modell kann je nach Größe aus mehreren hundert Layern bestehen. Ihre Dicke wird durch die Auflösung des jeweiligen AM-Systems bestimmt. Das fertige Produkt ist eine physische, dreidimensionale Abbildung des virtuellen Computermodells.
Mit den AM-Technologien ist es möglich, Bauteile in allen erdenklichen Geometrien aus dem virtuell erstellten Datenmodell in ein funktionales Bauteil zu überführen. Die hierbei verwendeten Materialien decken heute die gesamte Bandbreite der Kunststoffe und einen Großteil der konstruktiv verwendeten Metalle ab.
Das „Funktionale Konstruieren“ ermöglicht den Entwicklern heute von den gewünschten Funktionen und Produktbeschaffenheiten auszugehen, und nicht mehr, wie bisher, die Idee mit den zur Verfügung stehenden Produkten umsetzen zu müssen. Dies stellt die Herangehensweise an eine Produktentwicklung auf den Kopf und ermöglicht eine funktionale Konstruktion in aller Konsequenz zu realisieren.
AM-Technik für die Gebäudehülle
Das Projekt „Einfluss additiver Verfahren auf die Entwicklung von Fassadenkonstruktionen“ wurde als Kooperation zwischen der Hochschule Ostwestfalen-Lippe und der Firma Kawneer-Alcoa vor dem Hintergrund der zu erwartenden Veränderungen in der Bautechnik durch AM durchgeführt
Die Fassade ist eine neuralgische Schnittstelle des Gebäudes und bietet daher eine Vielzahl von Entwicklungsansätzen. Mit dem Projekt wurden erste Schritte zur industriellen Anwendung der additiven Verfahren in einem Fassaden-System gemacht. Physische Ergebnisse sind realisierte Prototypen im Maßstab 1:1, welche die bestehenden Fassadensysteme von Kawneer ergänzen.
Das Ziel der Entwicklungsarbeit war ein Fassadenknoten, der den Stand der Technik im Bereich des „Direct Metal Fabrication“ (DMF) zeigt – der Verwendung der additiven Verfahren zur direkten Herstellung von Bauteilen aus Metall.
Als Projektansatz diente die Optimierung von Verbindungsteilen, die selten verkauft wurden und daher ein großes Potenzial für die „on-demand-production“ (Produktion bei Bedarf) bieten. Betrachtet wurden Veränderungspotenziale bei der Herstellung, Lagerhaltung, Leistungsfähigkeit und Montagefreundlichkeit der Bauteile.
Erstes Ergebnis ist ein verbesserter, „digitaler“ Fassadenverbinder, der in Verbindung mit den digitalen Planungs-Werkzeugen eine Individualisierung der Fassadengeometrie ermöglicht und eine strukturelle Verbesserung im System bietet. Der Verbinder wurde für das Standard Pfosten-Riegel-Fassadensystem AA-100 von Kawneer entwickelt.
Alle notwendigen Winkel und Bohrungen werden digital in den AM-Entwurf integriert, somit können exakt passende Verbindungen für jeden Knotenpunkt der Fassade geplant und hergestellt werden. Zusätzlich können auch schon für solche kleinen Bauteile Materialeinsparungen und Kraftverlauf optimierte Formen einen weiteren Mehrwert bieten. Die Montage erfolgt analog zur orthogonalen Verbindung mit Standard Pfosten-Riegel-Komponenten.
Die praktische Umsetzung
Aus diesen ersten optimierten Bauteilen hat sich der Ansatz für die Erfüllung des zweiten Projektzieles ergeben: die Entwicklung und Realisierung eines digital geplanten und additiv hergestellten Fassadenknotens – dem Nematox II.
In diesem Bauteil wurden nun alle Vorteile des zuvor entwickelten Verbinders einen Schritt weiter gedacht. Das Ergebnis zeigt einen individualisierten, weiter verbesserten Knotenpunkt, der in seinen Abmessungen direkt herstellbar ist. Durch die Verschmelzung von Pfosten und Riegelprofil sind für die Montage der Fassade nur noch rechtwinklige Sägeschnitte notwendig. Dies optimiert den Verschnitt am Profil und erleichtert die Montage. Zudem wird der kritische Punkt der Wasserführung, die Übergabe vom Riegel in die Kanäle des Pfostens entschärft und so das System technisch verbessert. Weiter können auch für eine verformte Fassade alle Zubehörteile aus dem existierenden System verwendet werden.
Mit dem Additive Manufacturing werden Informationen aus dem digitalen Entwurfsprozess direkt in das Bauteil übertragen. Dies kann bei einer Bauaufgabe im Bestand ein verformungsgerechtes digitales Bauaufmaß sein, bei einer Neuplanung aber auch eine freie Geometrie, die vom orthogonalen System abweicht. Bei einer direkten, d.h. automatisierten Übertragung könnten Freiformbauteile mit allen Winkeln und den notwendigen Verbindungselementen in der Qualität eines orthogonalen Systems erstellt werden. Im aufgenommenen Fall der „AA-100 Fassade“ würde der digital angepasste Verbinder alle Lasten optimal vom Riegel in den Pfosten übertragen, und gleichzeitig alle Dichtungen und Verbindungsmittel im Standard des orthogonalen Systems aufnehmen. Ebenso könnten bei Verwendung des Nematox-Knotens geschwungene Fassaden verschnittoptimiert und systemsicher realisiert werden. Das Risiko von fehlerhaften Verbindungen und Dichtungsebenen würde minimiert. Digitale Planung und handwerkliche Umsetzung gehen hier eine neue Verbindung ein.
Zunächst geht es nicht darum, die bewährten Fassadensysteme abzulösen und AM als Allheilmittel zu verstehen, um Fassaden – und im nächsten Schritt Gebäude – in „3D zu drucken“. Es macht derzeit keinen Sinn, ganze Profilgeometrien einer Pfosten-Riegel-Fassade zu drucken, aber das entscheidende Verbindungsstück für eine Zusammenführung komplizierter Geometrien lässt sich mit AM durchaus produzieren.
Auch wenn die Baubranche der neuen Technologie gegenüber große Zweifel äußert steht es außer Frage, dass die AM eine klare Zukunft in der Bautechnik hat.
Die Ansätze in der Forschungsarbeit sind hierfür eine gute Grundlage, die Entwicklung weiter voranzutreiben. Mit der vorgestellten Technik könnte aus dem reinem Raumabschluss „Fassade“ eine „aktive Gebäudehülle“ werden. Sie bietet große Potenziale auch oder gerade im eher konservativen Bausektor —
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Der Autor
Holger Strauß ist Mitglied der Facade Research Group der TU Delft, Niederlande, und Projektleiter im Forschungsschwerpunkt ConstructionLab an der Hochschule OWL in Detmold unter Prof. Dr. Ulrich Knaack.