Ein „Dominant Design“ ist ein nahezu einheitliches Aussehen, dessen wesentliche Merkmale sich innerhalb einer Branche oder Industrie als De-Facto-Standard etablieren. Es bedeutet nicht, dass jedes Unternehmen per se die gleiche Technologie verwendet, sondern definiert die erwarteten Normen zur Erfüllung der Bedürfnisse der Benutzer.
Ein Beispiel für das Aufkommen eines Dominant Designs ist das iPhone. Nach zwei Dekaden unglaublicher Innovation mit Flip-Phones, Candy-Bar-Telefonen, Slidern, runden Telefonen oder quadratischen Telefonen änderte sich dies 2007 schlagartig. Steve Jobs zog das iPhone aus der Tasche und das schwarze Rechteck mit Touchscreen wurde zum dominierenden Design in der gesamten Branche. Grundlegende Produkt- und Prozessveränderungen gibt es nun kaum noch. Der Innovationsgrad ist sehr gering. Die Hersteller feilen an der Qualität ihrer Produkte und versuchen an der Kostenschraube zu drehen. Die Produkte selbst sehen alle sehr ähnlich aus.
Dieses Phänomen ist auch an der Entwicklung von Haustüren zu erkennen. Seit Jahrhunderten sind wir an Haustüren gewöhnt, die über einen Griff verfügen. Dieses Dominant Design ist tief in uns eingebrannt und einer der Gründe, warum hier wenig Innovation geschieht. Zwar bieten smarte Lösungen für Haustüren überzeugende Vorteile, dennoch wird es nur wenigen Konsumenten in den Sinn kommen, auf ihren Türgriff zu verzichten.
Dominant Design hinkt Technologie hinterher
Interessant in diesem Zusammenhang ist das Gefälle an Bequemlichkeit zwischen Auto- und Haustür. Die Autotüren der Vergangenheit waren aus der Übertragung der von Haustüren bekannten Technik auf den motorisierten Zweitwohnsitz entstanden. Blechtür, Schloss, Schlüssel. Als die Elektronik ins Fahrzeug einzog, emanzipierte sich die Schließtechnik des Automobils vom Vorbild Immobilie. Heute sind Keyless Entry, Keyless Go und Handy-Apps die jüngsten Nachfahren der Funkschließsysteme. Im Vergleich dazu werden Technologien dieser Art zur Öffnung der Haustür noch recht wenig genutzt.
Oft ist das dominierende Design eben nicht unbedingt die technologisch überlegene Lösung. Es ist auch immer mit Kompromissen verbunden, weil es so konzipiert ist, dass es ein breites Spektrum von Benutzern anspricht. Damit eine Innovation massentauglich wird, muss die Mehrheit der Kunden auch den Umgang damit lernen. Das kann nur gelingen, wenn sich alle Hersteller auf ein Dominant Design einigen, das Konsumenten akzeptieren und verstehen. Beim Auto sind Sensoren, Display und digitale Steuerung völlig normal, im Bereich der Haustür hingegen beginnen sich diese Technologien erst langsam durchzusetzen.
Menschen wollen Redundanzen – auch an der Haustür
„Doppelt hält besser“ ist eine gängige Redensart, die recht gut umschreibt, was sich hinter dem Begriff Redundanz verbirgt. Im Wesentlichen geht es darum, dass identische oder miteinander vergleichbare Funktionen parallel mindestens zweimal vorhanden sind. Bleiben wir bei der Analogie des Autos: Selbst das modernste Fahrzeug lässt sich mechanisch mit einem Schlüssel öffnen, sollte die Fernsteuerung oder das Smartphone ausfallen. Auch im Inneren eines Autos finden sich Funktionen, die mehrfach angesteuert werden können. So ist die Lautstärke des Autoradios über Drehknopf, Taste am Lenkrad und Beifahrersitz sowie Sprach- und Gestensteuerung bedienbar.
Dasselbe Prinzip ist auf Haustüren anwendbar: Wer automatisierte Zutrittssysteme verwendet, will sicherstellen, dass der Wohnungszutritt auch möglich ist, wenn der Strom ausfällt oder der Akku des Smartphones leer ist. Das Thema Einbruchsicherheit spielt hier natürlich auch eine Rolle. Die Möglichkeit sowohl digital als auch mechanisch die Haustür zu sichern, dürfte für viele Menschen ein wichtiger Aspekt sein. Redundanzen sind somit vom Konsumenten gewünscht, um sich für den Fall der Fälle abzusichern. Deshalb haben selbst modernste Türen auch heute noch Schloss und Griff.
Die Haustür wird komplexer
Innovation folgt einem Kreislauf, in der Phasen der Komplexität und Simplizität in einem fortlaufenden Wechselspiel stehen. Was genau ist damit gemeint? Denken Sie an die ersten Mobiltelefone auf dem Markt. Sie waren sehr einfach gefertigt und lediglich mit einer begrenzten Anzahl an Tasten ausgestattet. Die folgende Generation verfügte dann schon über eine Taste für die Kamera, Taschenlampe und vieles mehr. Hersteller bauten die höchste Komplexität auf, die ein Tastentelefon zuließ. Der nächste Entwicklungsschritt führte wieder zu einer Vereinfachung der Bedienung. Das Smartphone mit Touch-Display war geboren.
Wo befindet sich nun die Haustür in diesem Kreislauf der Innovation? Lange war die Funktion vieler Haustüren auf das Wesentliche reduziert. Mit der Elektrifizierung und digitalen Zutrittssystemen befindet sich die Branche nun im Aufschwung zur Komplexität. Ein Beispiel dafür ist das smarte Türschloss Nuki, welches seit 2016 als intelligentes, nachrüstbares Schließsystem auf dem Markt ist. Mittlerweile öffnet Nuki nicht nur Türen über Bluetooth, sondern lässt sich in die Smart-Home-Plattformen integrieren und über Sprachbefehle steuern. Der Griff bleibt zwar nach wie vor, der Schlüssel ist mit diesem System aber obsolet.
Mit der Elektrifizierung eröffnen sich zahlreiche neue Anwendungsmöglichkeiten, deren Ausschöpfung erst begonnen hat. Jede Branche wird digitaler und damit auch komplexer in seinen Anwendungen und Funktionen. Was spricht etwa dagegen, in der Haustür eine Beleuchtung, einen digitalen Briefkasten oder ein multifunktionales Display zu integrieren? Denkbar ist auch die Steuerung der Haustür über ein intelligentes System, welches den Wohnungsbesitzer an seinen Bewegungsmustern erkennt. Oder weshalb sind Eingangstüren eigentlich nicht wie in Einkaufshäusern als Schiebetüren konzipiert? Dort gibt es schon lange keine Türgriffe mehr und niemand stößt sich daran.
Mit steigender Komplexität der Haustür wird der Türgriff in Zukunft möglicherweise nicht mehr so relevant sein wie heute. Voraussetzung dafür ist jedoch eine simple Bedienung: Wenn eine Haustür im Innenleben an Komplexität gewinnt und sich gleichzeitig einfach wie ein Smartphone bedienen lässt, dann wird der Türgriff früher oder später für viele Anwendungen entfallen.
Innovation von Haustüren mit Design Thinking
Viele Dinge des Alltags sind so konzipiert, dass der Mensch zuerst die Technik dahinter verstehen muss, um sie bedienen zu können. Inwieweit sich Innovationen durchsetzen, ist somit in hohem Maße davon abhängig, wie anwendungsfreundlich das Design gestaltet ist. Das Konzept Human Centered Design setzt genau an diesem Punkt an und definiert die Vorgangsweise zur Entwicklung anwendungsfreundlicher Produkte bei interaktiven Systemen. Dazu gehören auch Türen. Als Design Thinking feiert es gerade wieder ein Comeback.
Das Ziel von Human Centered Design ist es, eine hohe Usability und User Experience eines Produkts zu gewährleisten. Design Thinking hingegen hat einen deutlich breiteren Anwendungsbereich: Damit will man innovative und kreative Lösungen für komplexe Probleme entwickeln, die den Nutzer zufriedenstellen, technisch machbar und wirtschaftlich tragfähig sind. Der Design Thinking Prozess besteht aus 6 Phasen:
Mit dem Testen schließt sich der Kreis dieser Methode. Vielleicht muss aufgrund neuer Erkenntnisse der Prozess nochmals durchlaufen oder der Prototyp variiert werden. Erst wenn der Prototyp bei einer ausreichend großen Anzahl von Nutzern auf positive Resonanz stößt, wird mit der Umsetzung der Lösung begonnen.
Fazit: Die Haustür wird komplexer
Was heute noch unvorstellbar ist, kann in wenigen Jahren zum neuen Standard avancieren. Welche Anforderungen die Haustür der Zukunft noch erfüllen wird, entscheiden der Nutzer und die zur Verfügung stehende Technologie. Um auf diesem Weg zu mehr Komplexität wettbewerbsfähig zu bleiben, sind Innovationen gefragt, die Bedürfnisse der Menschen auf technologisch machbare und strategisch sinnvolle Weise erfüllen. Die Design Thinking Methode bietet hier ein effektives Instrument.
Der Autor
„Nicht der Zufall schafft Innovationen, sondern ein gelebter Managementansatz“ – als erfahrener Innovationsmanagement-Experte steht Daniel Zapfl für Fortschritt durch kunden- und mitarbeiterzentrierte Innovation. Daniel Zapfl ist CEO von LEAD Innovation Management GmbH.