_ Mit der Einführung beschichteter Isoliergläser in den 70er Jahren kamen neue Bruchrisiken auf, die auch heute zu beachten sind. Aufgrund der Beschichtung steigt in der Scheibenfläche die Absorption von Solar- und Heizenergie an (Bild 01).
So hat beispielsweise ein unbeschichtetes 4 mm dickes Floatglas eine Energieabsorption von ca. 9 %, während ein beschichtetes Floatglas eine Absorption von ca. 15 % und mehr aufweist. Das bedeut, die Scheibenfläche erwärmt sich stärker, der im Fensterrahmen „eingebettete“ Glasrand bleibt hingegen „kühler“ (Bild 02). Durch die Wärmedämmeigenschaft des Isolierglases ist der Verlust von Wärme der raumseitigen Glaseinheit verringert.
Ist nun mit einer erhöhten Glasbruchgefahr der raumseitigen Glaseinheit zu rechnen?
Wärmedämm-Isoliergläser bestehen heute zum überwiegenden Teil aus zwei oder drei Einzelscheiben aus Floatglas. Aber gerade bei Float kann die Temperaturwechselfestigkeit kritisch sein und sollte vor dem Einbau überprüft werden. Die Frage ist, mit welcher Prüfmethode?
Eine genormte Prüfmethode gab es nicht und gibt es bis heute nicht. Die Prüflabore arbeiteten mit einem Verfahren, bei dem eine Scheibe in der Fläche punktuell erwärmt wird und die Temperaturdifferenz zum kalten Bereich aufgezeichnet wird, bei der es zu einem Glassprung kommt. Im Ergebnis wurden durchschnittlich 40 Kelvin erzielt.
Dies ist allerdings bezogen auf die Glasfläche, nicht auf den Glasrand. Dieser Wert wurde in die DIN 1249, Teil 10, Flachglas im Bauwesen, Chemische und Physikalische Eigenschaften, in Tabelle 3 „Thermische Eigenschaften (Richtwerte)“ als „Beständigkeit gegen Temperaturdifferenzen über die Scheibenfläche“ übernommen.
In der dazugehörigen Anmerkung 2) heißt es: „Diese Zahlenwerte resultieren aus praktischen Erfahrungen. Ein allgemein anerkanntes, praxisgerechtes Prüfverfahren ist zur Zeit nicht bekannt.“ Dieser Hinweis fehlt in der derzeit gültigen DIN EN 572-1.
Es sei noch erwähnt, dass der gefundene Wert von 40 Kelvin kein absoluter Wert ist, sondern einen Mittelwert darstellt, da Glas als spröder Werkstoff immer innerhalb von Grenzbereichen und nie bei exakt dem gleichen Wert bricht.
Warum kommt es überhaupt zum thermischen Sprung?
Ein durch Temperaturdifferenzen erzeugter Sprung wird als „Thermischer Glassprung“ bezeichnet. Vereinfacht gesagt passiert dabei folgendes: Wenn sich eine Glasscheibe teilflächig erwärmt, dehnt sich dieser Bereich aus. Über Wärmeleitung will die Wärme in den „kälteren“ Bereich „wandern“ um einen Temperaturausgleich über die gesamte Scheibe herbeizuführen. Wenn dies nicht schnell genug erfolgt, können Zugspannungen zwischen „Warm“ und „Kalt“ auftreten, die zu einem Glasbruch führen.
Solange die Erwärmung punktuell auf einer kleinen Fläche weitab vom Glasrand erfolgt, wirkt sie sich erst oberhalb einer Temperaturdifferenz von 40 Kelvin bruchauslösend aus.
Wenn die Erwärmung jedoch unmittelbar an die „kalte“ Glasrand-Zone angrenzt, kann es durch Zugspannungen ausgelöst bereits bei deutlich geringeren Temperaturdifferenzen als 40 Kelvin zu Glasbruch kommen.
Ursachen für den Glasbruch
Mehrere Faktoren können einen thermischen Sprung begünstigen: An erster Stelle ist die Kantenbearbeitung zu nennen. Die Qualität des Glasschnittes spielt eine entscheidende Rolle.Je größer und tiefer die Mikroeinläufe an der Schnittkante der Scheibe sind, desto schwächer ist die Kante. Die bei der Konfektionierung von Glas unvermeidbaren Mikroeinläufe führen bereits bei Temperaturdifferenzen, die weit unter dem in der DIN genannten Wert von 40 Kelvin liegen zum Bruch. Aber wie viel weniger?
Die Beständigkeit gegen Temperaturdifferenzen im Randbereich von Floatglas wird aus der Erfahrung seit Jahren in den Fachkreisen mit etwa 20 Kelvin oder auch niedriger angenommen.
Und was bedeutet dies für die Praxis?
Bei einem Glassprung, will der Kunde dies in der Regel nicht hinnehmen und fordert vom Lieferanten der Glasscheibe einen Ersatz. Häufig lehnt der Lieferant jedoch einen kostenlosen Ersatz ab. Um die Ursache des Glasbruches zu klären ist die Überprüfung der Glaskante und der Einbaubedingungen erforderlich.
Daran erkennt man den thermischen Sprung
Thermische Glassprünge lassen sich an zwei typischen Eigenschaften festmachen. Der Sprung verläuft zunächst immer in einem 90 Grad-Winkel vom Glasrand ausgehend in die Scheibenfläche hinein. Weiter verläuft der Sprung auf der Glaskante selbst ebenfalls immer in einem Winkel von 90 Grad quer herüber von einer Glasoberfläche zur anderen.
Da die Anfälligkeit für einen thermischen Glassprung mit entscheidend von der Qualität der Kante beeinflusst wird, reicht es nicht, wenn der Sachverständige den Sprung nur äußerlich auf der Glasoberfläche begutachtet, er muss sich auch die Glaskante der Scheibe im ausgebauten Zustand am Ausgangspunkt des Bruches ansehenNeben einem Schnitt mit zu großen und tiefen Mikroeinläufen kann auch eine Vorschädigung beim Transport und/oder beim Einbaus zu einer Schwächung der Glaskante führen und einen Sprung begünstigen.
Die folgende Einflüsse begünstigen bei eingebauten Scheiben einen thermischen Glassprung:
- Schlagschatten, z.B. durch vorstehende Bauteile
- Folienverklebung (Dunkelfarbig oder beschichtet, teil- oder ganzflächig)Vorhänge und Jalousien (Dunkelfarbig und/oder ohne Hinterlüftung)
- Gegenstände (z.B. Kissen oder Möbel vor die Scheibe)
- Heizkörper (Zu nah vor der Scheibe aufgestellt)
So lassen sich thermische Glasbrüche vermeiden
Abhängig von den künftigen Einbaubedingungen und den zu erwartenden äußeren Einflüssen auf Isoliergläsern/Fenstern sollten bereits bei der Planung die Risiken thermischer Glassprünge berücksichtigt werden. Davon abgeleitet lassen sich durch geschliffene Glaskanten und/oder den Einsatz thermisch teilvorgespannter Gläser (TVG) oder vorgespannter Glasscheiben (ESG) thermische Glasbrüche vermeiden.
Die Autoren
SAK Glas
Sachverständigen Arbeitskreis Glas
öBuV Dieter Balkow
öBuV Wolf-Dietrich Chmieleck
öBuV Dr. Reinhold Marquardt
öBuV Elmar Jochheim
öBuV Hans-Herbert Zimmermann
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