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Interview mit Architekt Dr. Alexander Beck

Wer bedient die Zukunftsmärkte?

Glaswelt – Sie haben beim BF-Glaskongress über die weltweite Bauentwicklung referiert, wo sehen Sie besonders große Wachstumsmärkte?

Dr. Alexander Beck – In 2008 haben wir im weltweiten Durchschnitt die Urbanisierungsquote von 50 % überschritten. Seitdem lebt über die Hälfte aller Menschen in Städten. Da sind die Zukunftsmärkte. 2014 waren lag die Urbanisierungsquote bei 53,6 %, in höher entwickelten Gebieten bei 78 %. Die Vereinten Nationen erheben diese Zahlen regelmäßig für die gesamte Welt und stützen so die Prognose, dass alle Länder eine Quote in der Größenordnung der höher entwickelten Regionen erreichen werden, also über 70 %. Weltweit werden bis 2050 noch ca. 2,5 Mrd. Menschen, vor allem in Asien und Afrika urbanisiert. Allein in China rechnet man in den nächsten 20 Jahren mit rund 250 Mio. Menschen.

Glaswelt – Sehen Sie das als eine gute oder als eine schlechte Entwicklung?

Dr. Beck – Das ist absolut positiv und die bedeutendste Entwicklung, um unseren Planeten eventuell doch noch vor dem Kollaps zu retten. Das Problem liegt eher darin, dass diese Entwicklung von vielen Menschen, leider auch von den verantwortlichen Politikern, häufig missverstanden wird, insbesondere aufgrund der Probleme, die sie lokal aufwirft. Missverständnisse bei den Migrationsprozessen führen zu Fehlsteuerungen des ansonsten positiven Prozesses. Das wiederum kann zur Instabilität ganzer Staaten führen. Positiv ist es für den Einzelnen, dass in Städten weniger Menschen verhungern und sterben, als auf dem Land. Somit ist selbst das schlechteste Leben in der Stadt für die meisten Menschen besser, als ein durchschnittliches Leben auf dem Land, das in den meisten Ländern nichts gemein hat mit unseren romantischen Dörfern. Global gesehen ist die Urbanisierung positiv, da alle städtischen Kulturen eine Geburtenrate deutlich unter zwei Kindern pro Frau aufweisen. Damit wird die Weltbevölkerung ab 2050 von einem Niveau von 9,5 Mrd. Menschen wieder schrumpfen.

Glaswelt – Welche Qualitäten werden in den Wachstumsmärkten von den Gebäuden und von Fenstern und Isoliergläsern verlangt?

Dr. Beck – Wenn wir von Wachstumsmärkten sprechen, sind das meist die wachsenden Städte. Ein großer Teil der Menschen wird sich in städtischen Gebieten aufhalten, die wir als „Slum“ bezeichnen. Diese „Ankunftsstädte“ sind aber nicht Bereiche eines sozialen Abstiegs, sondern eines sozialen Aufstiegs. Wir Europäer sehen meist „Blechhütten“ und deuten diese völlig falsch. Auch die Mittelschicht wird sich in diesen Gesellschaften nicht in Hightech-Appartementhäusern, sondern eher in Wohnungsbauten mit über 20 Geschossen aufhalten. Und diese sind auf einem bautechnischen Niveau wie bei uns in den 1960er Jahren. Die Masse der weltweit benötigten Glasprodukte wird also deutlich unter unserem aktuellen Technikstand liegen. Natürlich erzeugen diese wachsenden städtischen Gesellschaften auch Wohlstand. Dieser wird sich in sehr repräsentativen Gebäuden ausdrücken, wo nur das Beste verbaut wird. Viele unserer Ingenieure und Hersteller zählen heute bereits zur entsprechenden weltweiten Lieferkette.

Glaswelt – Wie können sich hiesige Anbieter mit ihren Qualitätsprodukten dort einbringen?

Dr. Beck – Dazu mein rein persönlicher Eindruck aus China und dem Iran: Dort werden Kooperationen bei Produkten gesucht, die dort als hochwertig gelten, bei uns aber durchschnittlich sind. Es geht um den Aufbau von lokalen Produktionen, weniger um den Import von deutschen Fenstern. Im Hightech-Bereich wird fundiertes Ingenieur-Know-how gesucht und es werden unsere Produkte importiert. Es ist sehr beeindruckend, wo deutsche Planer und Baufirmen weltweit tätig sind, wobei die Ingenieure hier sehr deutlich vorne liegen in ihren Exportleistungen. Im Vergleich mit allen anderen deutschen Branchen sind unsere Architekten weltweit unterrepräsentiert. Und das ist für die deutschen Fensterbauer von Nachteil, da hiesige Architekten immer Produkte aus ihrer Heimat mit exportieren.

Glaswelt – Ist es für unseren Mittelstand ein Geschäft, Fenster international zu exportieren?

Dr. Beck – Ja, die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Produkten wird weltweit steigen. Deutsche Produkte und Hersteller haben einen hervorragenden Ruf und wir haben im Preiswettbewerb so einen Vorteil.

Aber Fenster ist nicht gleich Fenster. Für den Massenmarkt der 2,5 Mrd. noch zu urbanisierenden Menschen kann ich keine Aussage treffen. Interessant ist, dass derzeit vermutlich kein etablierter Hersteller diesen Markt versteht. Ich denke, dass sich allein vom Volumen dort ungeahnte Potenziale verbergen, die aber mit nichts zu vergleichen sind, was wir bislang als Baustoff- oder Fenstermarkt verstehen.—

www.architekt-beck.de

Die Fragen stellte Matthias Rehberger

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