Glaswelt – Immer wieder fällt im Bezug auf Fassade und Bauen das Schlagwort BIM, was versteht man darunter?
Andreas Bittis – BIM steht für „Building Information Model“ und ist der neue Standard aller CAD Software. Damit gibt es für ein Gebäude nur einen gemeinsamen 3D-Plan als Planungsbasis, an dem alle Beteiligten dann arbeiten und aus dem sie ihre (Werk-)Pläne generieren, auch die Handwerker. BIM ist aber weit mehr als nur die Plandarstellung in 3D. Um es gleich vorwegzunehmen: Alle am Bau aktiven Firmen kommen um BIM nicht mehr herum, sie müssen sich damit auseinandersetzen, denn es ist schon da!
Glaswelt – Wie das?
Bittis – Alle Studenten von Bauberufen lernen aktuell damit zu zeichnen, zu simulieren, die Informationen zu verwalten – und nicht nur die geometrischen. Spätestens hier müssen wir BIM auch als neue Planungs- und Baumethode (Building Information Method) begreifen. Das heißt, mit dem gemeinsamen Entwurfsmodell können sämtliche Planer miteinander „am Objekt“ kommunizieren, auf Neudeutsch „simultaneous engineering“. In der Planungspraxis klappt das noch nicht hundertprozentig reibungsfrei. Wir stehen hier ja auch erst am Anfang. Nehmen Sie die Meyer Werft in Papenburg, die plant sämtlich Kreuzfahrtschiffe in BIM. Das sind schwimmende Wohnungen auf Zeit – mit den gleichen Baumaterialien, die wir an Land verwenden.
Der dritte Aspekt bei BIM ist das Building Information Modeling. Damit ist die Möglichkeit umschrieben, die Informationen, die den (grafischen) BIM Objekten hinterlegt ist, mit anderer Software zu nutzen. So lässt sich vorab ein Bauteil analysieren und ggfs. optimieren. Das, was also heute per copy/paste-Verfahren vom Planer aus den Unterlagen der Industrie dem Fassadenplaner übermittelt wird, kann bereits in der Planung eines Gebäudes effizienter simuliert und die späteren Prozesse einfacher gesteuert werden. Letztlich wird BIM so zum Building Information Management, das neben den grafischen auch die technischen Informationen weiterreicht bis hin zur Ausschreibung, zum Produktions-Forecast, zum 3D-Drucker etc.
Glaswelt – Ab wann wird BIM für die Verarbeiter aus der Glas, Fenster-, Fassaden- und Sonnenschutzbranche relevant?
Bittis – Ab sofort! In Großbritannien ist BIM ab dem 1. Januar 2016 Pflicht bei allen öffentlichen Bauvorhaben, und das unabhängig von der Branche. Gleiches gilt für alle Projekte in Norwegen, in Dänemark für alle Projekte über 5 Mio. DKK und den Niederlanden für alle Projekte über 10 Mio. Euro. In weiteren EU-Ländern gibt es ebenfalls standardisierte BIM-Prozesse bzw. Richtlinien. Und auch in Deutschland sind DIN, vdi, buildingsmart, die planen und bauen 4.0 GmbH und Minister Alexander Dobrindt sehr aktiv, um das Projekt „Digitalisierung des Bauens“ voranzubringen. Es wird sicher keine 10 Jahre mehr dauern, bis BIM auch bei uns bei allen öffentlichen Bauvorhaben gesetzt ist.
Glaswelt – Wo bringt BIM Chancen für Verarbeiter?
Bittis – BIM richtig angewandt heißt bessere und einfachere Kostenermittlung und damit Planungssicherheit für alle Beteiligten. Brauchen wir noch andere Gründe? Dabei ist mir vollkommen klar, dass das gerade am Anfang nicht reibungslos läuft. Kinderkrankheiten halt.
Umso wichtiger ist es, dass sich jetzt auch alle Handwerker einmischen und ihre Anforderungen definieren: Wie lassen sich die BIM-Planungsdaten weiterverarbeiten und zur Qualitätssicherung nutzen, wie lässt sich damit der Schneidtisch steuern oder die interne und externe Logistik nachverfolgen? Das ist zwar heute schon möglich ist, aber eben immer nur „von Hand“ und immer verbunden mit dem Risiko, dass an einer Stelle im Prozess die Informationen eben nicht richtig oder lückenhaft weitergegeben werden. Wir wollen Prozesse und nicht einzelne Maschinen steuern. Deshalb sind Planung und bald auch Bearbeitung, Logistik und Montage ohne BIM nicht mehr denkbar. BIM ist einfach die Vorstufe, das virtuelle Gebäude/Bauteil, das ab einem gewissen Punkt dann eben physisch wird, spricht gebaut ist.
Glaswelt – Und wo sehen Sie Risiken?
Bittis – Es gibt Firmen, die in Großbritannien bereits Aufträge verloren haben: Der Preis stimmte, aber sie konnten den Planern und Verarbeitern keine BIM Objekte zur Verfügung stellen.
Die Informationen, die wir als Saint-Gobain aktuell mit unseren BIM Objekten liefern, stehen in den Prospekten oder müssen von uns aufgrund der Bauproduktenverordnung geliefert werden. Wir machen hier lediglich das Beschaffen der Informationen einfacher. Das heißt auch künftig muss niemand Betriebsgeheimnisse verraten.
Glaswelt – Es geht also nicht mehr ohne BIM?
Bittis – Exakt, genau so ist es!—
Die Fragen stellte Matthias Rehberger.