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Im Interview mit Meinhard Berger

Wir müssen uns ganz schön warm anziehen

Glaswelt – Herr Berger, die BAU ist gerade zu Ende gegangen, was haben Sie an Neuerungen und Innovationen mitgenommen?

Meinhard Berger – Die Anzahl der wahren Innovationen im reinen R+S Bereich auf der BAU waren vollkommen überschaubar. Im Grunde genommen gab es hier außer einer neuentwickelten Variante von Raffstoren für Ganzglasecken eigentlich nur Evolution, das heißt Produkte werden verfeinert und weiterentwickelt.

Glaswelt – Wie hat es denn in anderen Bereichen der Messe ausgesehen?

Berger – Die gleichen Kriterien gelten eigentlich auch für den Torbereich, viele Weiterentwicklungen, aber nichts grundlegend Neues. Andererseits ist ein deutlicher Trend zu erkennen, dass die Industrie ihre Produkte immer mehr dahingehend entwickelt, um vor allem die Montage bzw. den Einbau auf der Baustelle zu vereinfachen und damit auch die Montagekosten zu senken.

Glaswelt – Können Sie das an einem praktischen Beispiel festmachen?

Berger – Natürlich. Ein auf der BAU erstmalig vorgestelltes Komplett-System eines Herstellers ermöglicht den Zusammenbau von Rollladen oder Raffstorekasten inkl. Produkt und Führungsschienen, mit Montagerahmen und Fenster in der eigenen Werkstatt. Und das Ganze unter optimalen Arbeitsbedingungen. Danach wird die ganze Einheit auf der Baustelle angeliefert, mit dem Kran an die Einbaustelle verbracht und eingemauert. Der Anteil Montage für unseren Bereich auf der Baustelle geht so gegen nahezu 0 %. Sicher ist das auch eine Reaktion der Industrie auf den sich immer stärker abzeichnenden Fachkräftemangel, um so vor allem sicherzustellen, dass die einzelnen Produkte fachgerecht eingebaut werden können, ohne über qualifizierte Mitarbeiter zu verfügen. Und genau hier beginnt das Dilemma des Fachhandwerks, was auch eine Neuausrichtung des Handwerks erfordert.

Glaswelt – Wenn man auf die Ausbildungszahlen schaut, sind diese aber nicht gerade üppig. Woran liegt es denn?

Berger – Das hat vielfältige Gründe. Unser Beruf des Rollladen- und Sonnenschutzmechatronikers gehört sicher mit seiner Vielfältigkeit zu einem der interessantesten Berufe im Handwerk. Unsere Branchenaktivitäten zur Gewinnung von neuen Auszubildenden, wie z. B. die der Innung Südbayern, sind sehr ausgeprägt. Daran sollte es also nicht liegen. Probleme sehe ich zuerst einmal in dem Wunsch, dass zu viele studieren wollen. Hier stimmt einfach das Verhältnis nicht mehr und die Anzahl der Studienabbrecher zeigt auch den Fehler im System. Auch der Meisterbrief in der Anlage B ist ein Problem. Es ist im Sinne der Qualifikation sehr gut, wenn man ihn hat, aber formal juristisch hat er keine Vorteile, denn jeder kann sich in unserem Gewerk selbstständig machen. Um es auf den Punkt zu bringen: Es fehlt einfach an dem Unterscheidungsmerkmal zum Gesellen oder Ungelernten, wenn man den Vergleich zu einem Studiengang wie dem Bachelor ziehen will. Es fehlt also an der Wertigkeit des Titels. Angesichts der jetzigen Diskussionen darf man also gespannt sein, ob unser Gewerk wieder in die Anlage A zurückkehren wird.

Glaswelt – Aber was ist die Lösung bei der soeben beschriebenen Misere?

Berger – Das ist eigentlich relativ einfach, denn gerade in der großen Anzahl der Studienabbrecher liegt auch eine große Chance. Gerade dieser Personenkreis verfügt mit Fachabitur oder Abitur über ein gute Schulbildung und hat erste Erfahrungen dazu gemacht, was ihm liegt und was nicht. Und genau hier gilt es für uns anzusetzen und attraktive Ausbildungs- und Weiterbildungsbedingungen zu schaffen, um neue Auszubildende zu gewinnen. Da sind wir auch schnell wieder beim Meister, denn gerade dieser Personenkreis wird sich weiterbilden wollen und möchte nicht nur einen Titel, der gut klingt, sondern auch die Möglichkeit, sich gegenüber anderen abzuheben.

Glaswelt – Wie sieht denn die Tendenz bei der Ausbildungsquote zukünftig aus?

Berger – Das Dilemma ist doch genau die Qualifikation der im Moment agierenden Betriebe, die seit 2004 als Ein-Mann-Unternehmen wie Pilze aus dem Boden wachsen. Ausbildung ist hier eine komplette Fehlanzeige. Es fehlt an Zeitkapazitäten und meist auch an dem notwendigen Wissen, Auszubildende zu unterweisen. Die Berufsschule und die überbetriebliche Ausbildung können es alleine nicht richten, denn das Lernen in der Praxis und damit im Unternehmen ist die wichtigste Säule der Ausbildung. Leider bilden nicht alle Betriebe aus, die es könnten.

Glaswelt – Kommen wir auf die vorher beschriebenen Hersteller- bzw. Komplettlösungen zurück. Kein Produkt für Fachbetriebe?

Berger – Doch, auf jeden Fall. Man muss sich halt überlegen, wo man seine Arbeitskapazitäten gewinnbringend einsetzen kann. Ich sehe uns da in erster Linie als Experten für Planung und Beratung. Und genau diesen Punkt kann keiner so schnell ersetzen, da wir sehr individuelle Beratungsfälle und viele sehr komplexe Produkte haben. Letztlich haben wir auch den Schritt vom Langmaterial zum Vorbaukasten gemacht, jetzt gibt es den nächsten Step bei der Evolution.—

Das Interview führte GLASWELT Redakteur Olaf Vögele bei SUW Berger in Hallbergmoos.

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