Glaswelt – Der ifo Geschäftsklima-Index für den Bau eilt von Rekord zu Rekord – wie lang wird die „Party“ denn noch weitergehen auf dem Bau?
Ludwig Dorffmeister – Das Geschäftsklima für das Bauhauptgewerbe hat sich seit dem Frühjahr 2015 noch einmal erheblich verbessert. Im November 2016 konnte der Geschäftsklimaindikator zum achten Mal in Folge zulegen. Unserer Einschätzung nach dürfte derzeit zwar nicht mehr viel Luft nach oben sein. Aber auch wenn sich das Geschäftsklima in den nächsten Monaten wieder etwas eintrüben wird, signalisiert das inzwischen erreichte Niveau doch weiterhin umfangreiche Bauaktivitäten.
Glaswelt – Gerade der Neubau – insbesondere der Wohnungsbau – hat 2016 eine ordentliche Rally hingelegt. Was sind dafür die Ursachen? Wird sich dieser Trend auch in den nächsten Jahren fortsetzen?
Dorffmeister – Ja, der Wohnungsneubau dürfte im laufenden Jahr fast zweistellig wachsen. Neben positiven Einflussfaktoren, wie beispielsweise den niedrigen Zinsen und dem vielerorts knappen Wohnungsangebot, sorgen derzeit zwei Sondereffekte für zusätzlichen Schub. Einerseits hat die nochmalige Verschärfung der energetischen Bauvorschriften zum 1. 1. 2016 zu einem merklichen Vorzieheffekt bei Ein- und Zweifamiliengebäuden geführt. Andererseits haben Länder und Gemeinden angesichts der zwischenzeitlich dramatisch angeschwollenen Flüchtlingsströme in den vergangenen Monaten „alle Hebel in Bewegung gesetzt“, um kurzfristig den Mehrfamilienhausbau deutlich auszuweiten. Allerdings dürften beide Effekte im Laufe der nächsten Jahre spürbar an Wirkung einbüßen, sodass die Zahl der Wohnungsfertigstellungen 2019 erstmals wieder leicht zurückgehen wird.
Glaswelt – Die EU-Richtlinie zur Kreditvergabe wurde zum März 2016 in deutsches Recht umgesetzt – hatte und hat das Auswirkungen auf den Immobilienbau?
Dorffmeister – Vor dem Hintergrund der aktuell hohen Baunachfrage fallen derartige Markthemmnisse derzeit weniger stark ins Gewicht. Die Ergebnisse der quartalsweisen Bankenbefragung durch die EZB, als auch die monatlichen Hochrechnungen der Bundesbank zur Neukreditvergabe deuten aber darauf hin, dass seit März eine neuartige Entwicklung stattgefunden haben könnte. Auf der anderen Seite hat die Neukreditvergabe 2015 extrem stark zugenommen, sodass eine gewisse „Normalisierung“ im laufenden Jahr nicht überraschen würde. Leider gibt es keine repräsentativen Informationen darüber, bei welchen Arten von Vorhaben (Neubau, Modernisierung) oder welchen Typen von Kreditnehmern (Berufseinsteiger, Familien, Personen nahe dem Rentenalter) die Banken tatsächlich weniger Wohnungskredite vergeben haben.
Glaswelt – Seit 2014 sind vermehrt Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Haben diese Migrationen für eine Sonderkonjunktur im Neubau gesorgt? Wo stünde der Wohnungsbau ohne diesen Sondereffekt?
Dorffmeister – Wie bereits erwähnt, hat der Zuzug der Geflüchteten den Wohnungsneubau zusätzlich befeuert. Letztlich haben aber erst die dramatischen Entwicklungen zwischen Sommer 2015 und Frühjahr 2016 der Wohnungsbautätigkeit neuen Schub verliehen. Ohne diese Zuspitzung der Situation hätte die Nachfrage nach neuen Geschosswohnungen – sprich die Genehmigungstätigkeit – vielleicht schon 2015 oder 2016 ihren Höhepunkt erreicht. Verstärkte Aktivitäten der kommunalen Wohnungsgesellschaften, zusätzliche Wohnungsbaumittel der Länder sowie die Aufstockung der Bundeszuschüsse für den Sozialen Wohnungsbau haben einen allzu frühen Rückgang der Wohnungsbautätigkeit gerade noch verhindert. Allerdings erwarten wir nicht, dass wir in den kommenden Jahren die angepeilten Zubau-Ziele von jährlich 350 000 bis 400 000 Wohnungen – einschließlich Fertigstellungen im Gebäudebestand – erreichen werden.
GLASWELT – Wie sieht es bei unseren Nachbarn aus? Welche Länder werden sich bei den Bauinvestitionen besonders gut entwickeln, wo werden wir Bremsspuren sehen?
Dorffmeister – Nach den im November veröffentlichten Prognosen des Euroconstruct-Netzwerks schreitet die Erholung der europäischen Baunachfrage weiter voran. Für den Zeitraum 2017 bis 2019 erwarten acht Mitgliedsinstitute einen Anstieg der heimischen Baunachfrage um insgesamt mehr als 10 Prozent. Darunter befindet sich der irische Markt, der in diesen drei Jahren um insgesamt gut ein Viertel zulegen wird. Das ungarische Bauvolumen dürfte sich zudem um mehr als 30 Prozent erhöhen. Auf den weiteren Plätzen folgen Polen, Portugal, die Niederlande, die Slowakei, Spanien und Norwegen. Eine deutlich weniger günstige – wenngleich insgesamt positive – Marktentwicklung ist in Deutschland, Schweden und Großbritannien abzusehen. In Finnland wird hingegen nur mit Stagnation gerechnet. Das vergleichsweise schlechte Abschneiden Deutschlands hat dabei unter anderem damit zu tun, dass die Maßnahmen am Gebäudebestand über die nächsten Jahre weiter leicht rückläufig sein werden.—