Glaswelt – Das Jahr ist noch jung – was sind die Chancen und Risiken für unsere Branche in diesem Jahr?
Bernhard Helbing – Erstens möchte ich hier die Flüchtlingskrise nennen, die ja derzeit in Deutschland und Europa Thema Nummer eins ist. Trotz allen gesellschaftlichen Herausforderungen, die diese Situation mit sich bringt, möchte ich auch die Chancen betonen. Im Blick auf unsere Branche heißt das, dass eine verstärkte Neubautätigkeit durchaus Impulse bringen kann. Ich meine nach wie vor, dass die steuerliche Abschreibung in diesem Zusammenhang auf die Tagesordnung gehört – wohlüberlegt und langfristig.
Zweitens wird im Laufe des Jahres über die Fortschreibung der Energieeinsparverordnung, die EnEV 2017, entschieden. Hier sind die Einzelheiten noch offen. Sicher ist nur, dass es weiter in Richtung Nullenergiehaus geht. Was das für unsere Produkte konkret bedeutet, werden wir abwarten müssen. Sie können sicher sein, unser Verband bringt sich aktiv in diese Debatte ein. Wir sind ganz nah an den Entscheidern.
Drittens stehen 2016 eine Reihe von Wahlen in den Bundesländern an. Wie sie ausgehen und was das für uns bedeuten wird, ist angesichts der momentanen Situation in Deutschland und Europa schwerer abzusehen, als in anderen Jahren. Und danach wird auch schon der Wahlkampf für den Bundestag 2017 Fahrt aufnehmen. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass wir dadurch keine Zeit der Blockade und des Aufschubs vor allem innerhalb der Klimapolitik erleben.
Viertens stehen die Zeichen heute auf eine gleichbleibende konjunkturelle Entwicklung der Wirtschaft und auch des Fenstermarkts. Dies allerdings unter verschärften Wettbewerbsbedingungen aufgrund vor allem osteuropäischer Wettbewerber. Und genau diese Thematik legen wir unseren Abgeordneten in Deutschland und Europa immer und immer wieder auf den Tisch. Im Fassadenbereich wird auch China verstärkt als Wettbewerber auftreten. Trotz guter konjunktureller Marktbedingungen müssen wir also mit einem stärkeren Preisdruck rechnen. Zudem könnte uns der niedrige Ölpreis auch noch Probleme machen. Denn er schwächt die notwendigen Impulse zu energieeffizienten Lösungen ebenfalls im Baubereich.
Fünftens und abschließend rechne ich auch mit Folgen der derzeitigen Börsenschwäche und der fortdauernden Niedrigzinspolitik für unsere Branche. Hier sehe ich – mit aller Vorsicht – eine Chance für den Baubereich, für Investitionen in unser „Betongold“ also. Damit sind wir wieder bei meinem letzten Satz im Punkt eins.
Glaswelt – Hilft es unserer Branche, wenn die Bundesbauministerin den sozialen Wohnungsbau ankurbeln möchte und im Land mehr Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge geplant und gebaut werden?
Helbing – „Im Prinzip ja, aber“ möchte ich in der Art von Radio Eriwan antworten. Wir profitieren vor allem vom Neubau. Die Umnutzung gewerblicher Gebäude bringt nur bedingt Marktchancen für Fenster. Allerdings müssen wir bei allen Baumaßnahmen, die aufgrund des Zuzugs der Flüchtlinge unter Zeitdruck und knappen Etats auf den Weg gebracht werden, mit einem großen Preisdruck rechnen, der sich vor allem auch aufgrund der osteuropäischen Konkurrenz weiter verstärkt. Meine Auffassung diesbezüglich ist bekannt: Immer nur dem Billigsten den Auftrag zu erteilen, führt dazu, dass wir unseren Wohlstand beschneiden. Billig und gut führt uns auf Dauer in eine Sackgasse.
Glaswelt – Wie groß ist Ihre Vorfreude auf die FENSTERBAU in Nürnberg?
Helbing – Ich bin da schon voller Spannung und Ungeduld. Nicht nur weil wir als Verband seit einigen Jahren eine Kooperationsvereinbarung mit der Messe Nürnberg abgeschlossen haben, sondern weil ich auch Botschaften von Ausstellern vernommen habe. Diese Details zu bestaunen und zu debattieren, darauf freue ich mich. Einfach bedienbare intelligente Steuerungssysteme, neue Folierungslösungen und moderne Glasvariationen – unsere Branche wird zeigen, dass sie innovativ ist. Ja, ich freue mich auch auf die vielen Gespräche, die ich auf dieser Messe mit Branchenkollegen führen kann.
Das Interview wird auf S. 84 fortgeführt. Bernhard Helbing geht dann auf den Jahreskongress auf Mallorca und auf die prägenden Ereignisse seiner Amtszeit ein.