Glaswelt – Herr Weller, wie schätzen Sie die aktuelle Entwicklung im konstruktiven Glasbau ein, welche Trends sehen Sie im Großen und im Kleinen?
Prof. Bernhard Weller – In den letzten Jahren sehen wir zwei wesentliche Trends. Zum einen werden aus einfachen Isoliergläsern durch die Integration weiterer Funktionen und Beschichtungen technologisch und funktionell hoch anspruchsvolle Systeme. Darüber hinaus ist die Nachfrage nach Übergrößen beim Isolierglas, über das konventionelle Maß von 6 Meter hinaus, ungebrochen. Die Vergrößerung der verfügbaren Produkte geht allerdings – bildlich gesprochen – auch in eine weitere Dimension. Einerseits sehen wir die Wiedergeburt des voluminösen Glasbausteins und zum anderen stetig dünneres vorgespanntes Glas. Dies führt insgesamt zu gesteigerten Anforderungen an die Bemessung und die Ausführung der Konstruktion. Das sind auch die Themen unserer Forschung.
Glaswelt – Und was bedeutet das für verarbeitende Betriebe und Monteure?
Weller – Es bedeutet vor allem, auf Grundlage fortlaufender Weiterbildung eigene, neue Ideen konsequent zu entwickeln und umzusetzen. Nur so können Verarbeiter und Monteure weiter Schritt halten und mit hochwertigen Produkten sowie Dienstleistungen am Markt bestehen. Dabei sehe ich in den letzten Jahren einen ungebremsten Schwung, der mich zuversichtlich in die Zukunft blicken lässt.
Glaswelt – Welche Forschungsprojekte haben Sie aktuell am Laufen?
Weller – Am Dresdner Institut für Baukonstruktion befassen sich derzeit 23 Forscher mit der Beantwortung von Fragestellungen in zwölf Forschungsprojekten. Die drei Forschungsschwerpunkte – Bemessung und Konstruktion, Kleben und Laminieren, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit – spiegeln die aktuellen Fragestellungen im Glasbau wider.
Beispiel: Die Arbeit an einem Holz-Lamellen-Fenster führt zu neuen Erkenntnissen beim lastabtragend geklebten Holz-Glas-Verbund. Die Konstruktion ermöglicht in Verbindung mit der entwickelten Fügetechnik eine deutliche Verbesserung der energetischen Eigenschaften sowie eine verbesserte Öko-Bilanz.
Glaswelt – Spielt bei Ihren Forschungsarbeiten auch fassadenintegrierte PV eine Rolle?
Weller – Ja. Derzeit werden mehrere fassadenintegrierte Energiegewinnungssysteme entwickelt. Außerdem vergrößern wir die Leistungsfähigkeit von gebäudeintegrierten Photovoltaik-Elementen durch den Einsatz von Latentwärmespeichern (PCM). Überhitzung und Leistungsabfall bei PV-Modulen können mit dieser Technik vermieden werden.
Neben den Entwicklungsarbeiten, die in der Regel zusammen mit der Industrie erfolgen, erarbeiten wir auch neue Prüfverfahren, wie für die Bestimmung der Festigkeit thermisch gebogener Gläser. Dieses Verfahren soll genormt werden. Nur so können wir Materialeigenschaften vergleichen und eine sichere Bemessung ermöglichen.
Glaswelt – Auf welche Themen können sich Besucher Ihrer Glasbau Konferenz 2017 freuen?
Weller – Ich denke, dass wir für die Glasbau 2017 (www.glasbau-dresden.de) ein sehr vielfältiges Programm zusammengestellt haben. Zunächst widmen wir uns den Komponenten einer Glaskonstruktion, die im nächsten Schritt in innovativen Fassadenkonstruktionen, wie einer adaptiven Seilfassade aus Stuttgart, eingesetzt werden. Im Speziellen zeigen namhafte Referenten den Stand des solaren Bauens, u. a. auch in der energetischen Sanierung.
Am zweiten Tag werden wir die Bemessung und Konstruktion im Detail beleuchten. Dabei spielt vor allem die Qualität des Bauproduktes beim Schneiden und Vorspannen eine wesentliche Rolle. Dies wird durch Anwendungsbeispiele der Klebetechnik ergänzt und durch Erfahrungsberichte kürzlich fertiggestellter Bauprojekte, wie das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel mit seinen transparenten Glasrahmenecken, abgeschlossen.
Glaswelt – Wird sich der konstruktive Glasbau künftig stärker etablieren?
Weller – Wir sehen ständig neue Entwürfe und spektakuläre Konstruktionen. Der Wunsch nach Individualität und ausgefallener Architektur ist ungebrochen. Auch die politischen Vorgaben nach Energieeffizienz im Zeichen des Klimawandels fordern uns. Die Leistungsfähigkeit des konstruktiven Glasbaus bietet hervorragende Lösungen. Die gebaute Umwelt zeigt es – weltweit.—
Die Fragen stellte Matthias Rehberger.
Tipp der Redaktion: Auch die GLASWELT wird vor Ort sein und über die Glasbau 2017 berichten. Das Programm der Konferenz sowie die Anmeldung finden Interessierte unter www.glasbau-dresden.de