_ Ingenieure und Hersteller im Glasbau arbeiten heute intensiv daran, die ungenutzten Tragpotenziale von Glas zu nutzen, um die Anwendungsgrenzen von Glaskonstruktionen weiter auszudehnen. Das Ziel sind Tragwerke und Gebäudehüllen, die transparent und dabei gleichzeitig weitspannend und hochtragfähig sind. Das Spannungsfeld zwischen minimal sichtbarer Konstruktion und Robustheit lässt sich treffend durch den Begriff „engineered transparency“ definieren.
Bei der Umsetzung tragender Glaskonstruktionen fällt der Kombination des spröden Grundmaterials Glas mit anderen Baustoffen wie Aluminium, Stahl und Holz eine besondere Rolle zu. Denn Bauteile aus einer fein komponierten Anordnung verschiedener Stoffe und Eigenschaften – hybride Bauteile – können die Bandbreite des Machbaren deutlich erweitern.
Hybride Konstruktionsmethoden sind heute Gegenstand der Ingenieurwissenschaften. Sie werden maßgeblich in vielen Forschungsprojekten, etwa am Institut für Baukonstruktion der TU Universität Dresden, untersucht und verfeinert. Nachfolgend soll ein Ausblick in die Zukunft gewagt werden, auf Verbundkonstruktionen aus Stahl und Glas sowie Holz und Glas.
Bewehrtes Glas
Glas ist wie Beton ein spröder Baustoff. Im Betonbau wurde dem Problem der Sprödigkeit mit der Bewehrung, also der Verstärkung der Bauteile mit Stahl, begegnet. Lässt sich diese Idee auf den Glasbau übertragen, erschließen sich auch dort weitere Anwendungspotenziale.
Dieser Ansatz wird seit 2012 im Rahmen des zweijährigen Forschungsprojektes „Glasträger mit Bewehrung“ an der TU Dresden verfolgt. Ausgangspunkt: Es werden neue Lösungswege gesucht, um die technischen Anforderungen des Verbindens der einzelnen Bauelemente sowie die Redundanz in der Tragkonstruktion aufgrund der Sprödigkeit von Glas befriedigend zu lösen. Im Fokus steht hier die Entwicklung von Glasträgern mit Bewehrung.
Der Vorteil solcher bewehrten Glasträger ist die Steigerung der Tragfähigkeit durch eine zusätzliche externe Vorspannung der Bewehrung, man spricht von einem Spannglasträger.
Im Rahmen des Projektes wurden 50 Glasträger, ausschließlich aus VSG, mit einem rechteckigen Querschnitt, mit filigranen, nur 5 mm starken Edelstahlseilen konstruiert und experimentell untersucht. Dabei wird das Glas auf einer Spannweite von 2,0 m als lastabtragendes Element genutzt.
Die nötige Resttragfähigkeit des Glasträgers wird mit diesem Prinzip gewährleistet, da durch die Bewehrung auch ein vollständig gebrochener Glasquerschnitt an seinem Einbauort gehalten und ein Herabfallen verhindert wird. Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines modularen Glasträgersystems mit Bewehrung. Dabei wird vor allem der Lasteintrag von der Bewehrung in die Glaskante und das mechanische Verhalten von Glasträgern mit verschiedenartigen Bewehrungskonstruktionen untersucht.
Die gefundenen konstruktiven Gestaltungvarianten werden anschließend durch experimentelle Tragfähigkeitsuntersuchungen und numerische Berechnungen weiterentwickelt und münden dann als Abschluss in einen Prototyp.
Hierzu wird auf der Sonderschau „glass technology live“ der glasstec 2014 eine Spannglasbrücke mit bewehrten Glasträgern präsentiert (siehe Skizze), die 9 m überspannt. Das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt wird gemeinsam von der TU Dresden mit Thiele Glas und dem Beschlaghersteller KL-megla bearbeitet. Die Firma Pfeifer stellt für die Versuche hochtragfähigen Edelstahlseile (Durchmesser 24 mm) zur Verfügung.
Geklebter Holz-Glas-Verbund
Eine weitere Möglichkeit, die Tragfähigkeit des spröden Glaswerkstoffs stärker zu nutzen, sind geklebte Holz-Glas-Verbundkonstruktionen. Hintergrund: Glas verhält sich linear elastisch und versagt ohne Vorankündigung. Die Zugfestigkeit ist im Vergleich zu anderen Baustoffen gering. Holz hingegen ist in Faserrichtung sehr gut auf Zug beanspruchbar. Eine relativ neue Holz-Glas-Verbundbauweise vereint die Vorzüge beider Materialien.
Die nachteiligen Eigenschaften von Glas lassen sich kompensieren, indem es über eine lastabtragende Klebung mit Holzprofilen verbunden wird. Bricht das Glas, kann der Riss durch einen Holzquerschnitt überbrückt werden. Das Verbundelement weist so die notwendige Resttragfähigkeit auf.
Ein großes transnationales Forschungsprojekt mit Partnern aus Österreich, Schweden, Deutschland, der Türkei, Slowenien und Chile widmet sich seit 2012 diesem Thema.
Im Rahmen des Verbundvorhabens unter dem Titel „Urban Wood“ werden hierbei die Potenziale von Holz-Glas-Komposit-Konstruktionen untersucht. Ziel des Forschungsvorhabens ist die Weiterentwicklung von geklebten Holz-Glas-Verbundelementen, die als tragende Bauteile in der Gebäudehülle eingesetzt werden sollen.
Diese Verbundbauweise eignet sich besonders für Anwendungen, bei denen Glas in der Scheibenebene beansprucht wird. Dazu zählen unter anderem Glasträger und aussteifende Verglasungen. Tragende Holz-Glas-Verbundelemente in der Fassade ermöglichen eine freiere Grundrissgestaltung, da auf Aussteifungselemente im Gebäudeinneren teilweise verzichtet werden kann. Ebenso könnten diagonale Aussteifungsverbände oder opake Wandscheiben durch diese Verbundelemente ersetzt werden.
Die TU Dresden arbeitet bei diesem Projekt an der Optimierung der Klebverbindung. In einer umfangreichen Studie wurden geeignete höherfeste Industrieklebstoffe abgegrenzt. An verschiedenen Prüfkörpern, angefangen bei reinen Materialproben bis hin zu ganzen Bauteilen, wird die Dauerhaftigkeit und Beanspruchbarkeit der Verbindung experimentell untersucht.
Auf der Sonderschau „glass technology live“ der glasstec 2014 werden zwei Exponate aus dem Projekt zu sehen sein.
Der beteiligte Uniglas-Gesellschafter Petschenig glastec aus Österreich präsentiert dort eine Holz-Glas-Verbundfassade, und die Partner aus Schweden zeigen ein lastabtragendes Wandelement in Verbundbauweise.
Ausblick
Anhand dieser beiden Projektbeispiele wird in Düsseldorf der aktuelle Forschungstrend bei hybriden Glaskonstruktionen vorgestellt. Beiden gemeinsam ist die Idee, Glas aktiv am Lastabtrag zu beteiligen und dadurch seine herausragende Eigenschaft der Transparenz besser zu nutzen. Dabei soll nicht pauschal mehr Glas eingesetzt werden, sondern intelligente Glaskonstruktionen – engineered transparency – sollen sich weiter etablieren. —
Fachkonferenz auf der glasstec
Die neuesten Entwicklungen rund um den konstruktiven Glasbau werden auf der Fachtagung „engineered transparency“ auf der glasstec vom 21. bis 22. Oktober 2014 in Düsseldorf diskutiert. Neben 70 Vorträgen von internationalen Referenten aus Planung, Verarbeitung, Forschung und Entwicklung wird die Diskussion unter den Teilnehmern einen wichtigen Raum einnehmen. Organisiert wird die Veranstaltung von Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider, TU Darmstadt, und Prof. Dr.-Ing. Bernhard Weller von der TU Dresden.
Die Besucher erhalten eine tagungsbegleitende Publikation mit allen Beiträgen der Veranstaltung und haben darüber hinaus auch an beiden Tagen den freien Messe-Zugang zur glasstec.
https://www.engineered-transparency.eu/
Die Autoren
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Weller TU Dresden. Dipl.-Ing. Michael Engelmann sowie Dipl.-Ing. Felix Nicklisch sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut.