_ Hochtransparente, statisch tragende Glaskonstruktionen bieten weitreichende Gestaltungspotenziale. Wenn aber Glasträger unter Last versagen, dann brechen üblicherweise alle Glaslagen gleichzeitig, da die Glaskanten gleichartig hoch ausgelastet werden. Und dann bleibt dem eingesetzten Verbund-Sicherheitsglas nur noch die Aufgabe das Schlimmste zu verhindern, indem es die Glassplitter bindet. Um jedoch ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten, werden Glasträger so ausgelegt, dass ein lastbedingter Bruch ausgeschlossen wird. Damit kommt es aber zu einer deutlichen Überbemessung der tragenden Verglasung, indem viel mehr Glas eingesetzt wird als zur Sicherstellung der Tragfähigkeit nötig wäre.
Diese fehlende Materialeffizienz bildet einen Ansatzpunkt für neuartige bewehrte Glaskonstruktionen. Das Institut für Baukonstruktion der Technischen Universität Dresden verfolgt dabei einen Weg, der an den Stahlbetonbau angelehnt ist. Die Glasträger werden mit einer vorgespannten Bewehrung ausgestattet: So entsteht ein Spannglasträger.
Nach dem Bruch des Glases kann nun die Bewehrung einen Teil der Last abtragen. Wie eine solche Materialkombination praktisch umsetzbar ist, zeigt eine innovative Spannglasbrücke, die auf der glasstec 2014 in Düsseldorf zu sehen war (Bild 01).
Konstruktion und Anforderungen
Der Entwurf zeigt beeindruckend die Leistungsfähigkeit der Spannglasträger. Zielstellung des Forschungsprojekts ist die Entwicklung eines Glasträgersystems, welches eine vorgefertigte Lösung für Fassaden und Dächer ermöglicht.
Die 9 m weit spannende Brücke bestand aus zwei Hauptträgern, auf denen eine begehbare Verglasung als Verkehrsfläche auflag. Eine umlaufende Ganzglasbrüstung sorgte für die erforderliche Nutzungssicherheit (Bild 01, rechts).
Die Brücke wurde entsprechend den technischen Regeln der Messe Düsseldorf bemessen, dies beinhaltete bereits die Anforderungen aus der neuen DIN 18008.
Die beiden 9,0 m langen und 60 cm hohen Hauptträger bildeten den Kern der hybriden Konstruktion. Jeder Träger wurde aus zwei Zweifach-Verbund-Sicherheitsgläsern erstellt, die mit einem lichten Abstand von 60 mm zueinander in einen stählernen Auflagerschuh gestellt wurden. Der verbleibende Spalt beherbergt ein 24 mm starkes Spiralseil, das bis auf 400 kN vorgespannt werden kann und damit eine zusätzliche, materialgünstige Druckbeanspruchung in das Glas einträgt. Ein Vorspannseil aus Stahl dient dazu die Tragfähigkeit der Glasträger zu erhöhen. Am stählernen Auflagerstuhl (Bild 04) wird das Spannseil verankert. Gleichzeitig findet das Glas sein Auflager, das Brüstungsprofil kann oben verschraubt und die begehbare Verglasung aufgelegt werden.
In Trägermitte ist das Seil mittels stählerner Umlenkböcke geführt, die ihrerseits auf die Ober- und Unterkante des Spannglasträgers durch ein schnell härtendes, 2K-Acrylat geklebt wurden.
Rechnerisches Nachweisverfahren
Damit war die konstruktive Grundlage für eine Nachweisführung geschaffen. Als Belastung der begehbaren Verglasung wurde eine Flächenlast von 5,0 kN/m² sowie eine Einzellast von 4,0 kN gemäß der Nutzungskategorie C3 (frei begehbare Ausstellungsflächen mit Personenansammlungen) angenommen.
Diese vierseitig linienförmig gelagerte Horizontalverglasung fiel in den Anwendungsbereich der DIN 18008-5, sodass der Nachweis der Tragfähigkeit, Resttragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit in wenigen Schritten rechnerisch geführt werden konnte. Über eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für begehbare Verglasungen wurde nun auch die Stoßsicherheit nachgewiesen.
Entsprechend erfolgte der Nachweis der Brüstungsverglasung für eine Holmlast von 0,5 kN/m entlang der Oberkante der Brüstung.
Hier galt es zu berücksichtigen, dass die Einspannung am Fußpunkt die gesamte Last in den Träger weiterleiten muss. Dieses Einspannprofil war jedoch nur an den Enden im Abstand von ca. 3 m tragfähig verbunden, sodass eine Nachrechnung mittels der Finiten Elemente Methode nötig war. Dies wurde mit einem ingenieurmäßig vereinfachten SJ Mepla-Modell schnell erledigt, mit dem anschließend auch die Glasspannungen für den Zustand der Resttragfähigkeit, also mit angenommener teilzerstörter Verglasung, berechnet wurden.
Dies belegte, dass ein rechnerischer Nachweis nach DIN 18008 auch für die neuartigen Konstruktionen mit akzeptablem Aufwand möglich ist.
Experimentelle Nachweise nötig
Mit Glasträgern verlässt man den Anwendungsbereich der DIN 18008: Es werden experimentelle Nachweise nötig. Auf Grundlage einer überschlägigen Handrechnung wurden im vorliegenden Beispiel Biegeversuche am 1:1 Prototypen veranlasst.
Diese wurden an der Technischen Universität Dresden an einer 10 Mega-Newton Prüfmaschine durchgeführt (Bild 02). Sie erbrachten eine Traglast der Glasträger die fünffach über der nötigen Tragfähigkeit lagen. Für diese Anwendung ergaben sich also reichliche Sicherheitsreserven, die zu einer Genehmigung durch die Messe Düsseldorf führten.
Die Brücke durfte letztlich aber nur durch sechs Personen gleichzeitig begangen werden. Diesen Wermutstropfen mussten die Entwickler in Kauf nehmen, da die Brüstung nicht über die gesamte Profillänge mit dem Träger verbunden war, sie konnte nur an den Enden verschraubt werden. Für die begehbare Verglasung von 4,9 m² Grundfläche bedeuten 6 Personen à 85 kg eine Flächenlast von circa 1,0 kN/m², was ebenso fünffach unter der rechnerisch angenommenen Last liegt.
Das Fazit der Entwickler
In diesem Beispiel konnte eine Brücke – mit weit spannendem Ergebnis – realisiert werden. Die neuartige Materialkombination lässt sich jedoch weit vielfältiger einsetzen als in Düsseldorf demonstriert. Spannglasträger können als Dachträger oder Fassadenpfosten schlanke und transparente Konstruktionen bilden. Die so umgebenen Räume werden dann natürlich ausgeleuchtet und gleichzeitig erlaubt dies dem Nutzer einen ungestörten Blick in die Umgebung.
Ein Nachweis solcher innovativer Ganzglaskonstruktionen ist auf Basis der DIN 18008 umfangreich möglich. Wo rechnerische Ansätze fehlen, lassen sich Bauteilprüfungen durchführen. Aber für die Umsetzung und das finale Funktionieren solcher Konstruktionen kommt es letztlich auf einen engen fachlichen und offenen Austausch zwischen allen am Bau Beteiligten an. Projektbeteiligte waren Thiele Glas, KL megla und Pfeifer Seiltechnik.—
Jetzt noch zur Tagung “Glasbau 2015“ anmelden
In diesem Jahr findet die Tagung „Glasbau“ vom 19. bis zum 20. März in Dresden statt. Erstmalig wird die Konferenz als zweitägige Veranstaltung mit über 20 Vorträgen von namhaften Referenten aus Forschung und Wirtschaft stattfinden. Tagungsbegleitend erscheint, wie gewohnt, das neue Jahrbuch „Glasbau 2015” im Verlag Ernst & Sohn.
Die Eröffnungsvorträge halten Prof. Dr.-Ing. Werner Sobek aus Stuttgart („Entwerfen mit Glas im Zeitalter der Energiewende“) und Ministerialrat Hans-Dieter Hegner vom Bundesbauministerium zum Thema „Standards der Zukunft: die EnEV 2014 und das Energieeffizienzhaus Plus“.
Prof. Dr.-Ing. Geralt Siebert (Universität der Bundeswehr, München) konnte mit einem Vortrag zum „Aktuellen Stand der Glasnormung“ am zweiten Veranstaltungstag als Impulsredner gewonnen werden. Und Dr. Florian Mähl (osd – office for structural design) thematisiert die „Integrale Fassadenplanung“.
Die GLASWELT wird als Medienpartner vor Ort sein und im Nachgang über die Veranstaltung sowie die aktuellen Entwicklungen im konstruktiven Glasbau berichten. Bei einer geführten Tour zur Abendveranstaltung werden fertiggestellte Projekte des Konstruktiven Glasbaus auf dem Gelände der TU Dresden passiert. Die Konstruktion und interessante Details werden hierbei den Teilnehmern vorgestellt.
Das Programm und die Anmeldung zur Tagung „Glasbau 2015“ finden Sie unter
Die Autoren
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Weller leitet das Institut für Baukonstruktion an der Technischen Universität Dresden. Dipl.-Ing. Michael Engelmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut.