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Wiederverwertung von Baugläsern

Wie kreislauffähig ist Flachglas?

Das ift Rosenheim und das Fraunhofer-Institut ISC haben im Auftrag des Bundesverband Flachglas e. V. ermittelt, was Stand der Technik beim Flachglas-Recycling ist und wie die derzeitigen und potenziellen Verwendungsmöglichkeiten für das Rezyklat aussehen. Das Ergebnis: Die Recyclingquote ist sehr hoch, die recycelten Materialströme fließen jedoch nicht erstrebenswertem Umfang zurück in die Flachglasindustrie.

Pro Jahr werden in Deutschland rund 1,67 Mio. t Flachglas für den Einsatz in Gebäudeanwendungen produziert.

Im gleichen Zeitraum fallen hierzulande rund 521 000 t Scherben an. Davon stammen 350 000 t vom „End of Life“, aus Gebäudeabrissen, Rest (171 000 t) gelangt bereits aus der Weiterverarbeitung (Pre-Consumer) zum Recycler.

Was geschieht mit Glasscherben, wie verlaufen die Wertstoffströme?

Nur 101 000 t (19 %) der gesammelten Scherben gelangen vom Recycler wieder zurück in die Float-Wannen der Glashersteller. Ein Grund hierfür sind die Qualitätsansprüche, die bei Architekturglas sehr hoch sind. Schon geringste Verunreinigungen der Scherben würde einen Einsatz in modernen Floatglasproduktionen unmöglich machen. Hintrergrund: Die Anlagen reagieren sensibel auf geringste Materialveränderungen, im Ernstfall müssten sie neu kalibriert werden.

Der zweite und wahrscheinlich ebenso wichtige Grund sind die seit Jahrzehnten niedrigem Floatglaspreise, zudem zahlt die Behälterglasindustrie höhere Preise für Scherben.

Darum gelangt der wesentlich größere Teil, nämlich 235 000 t (45 %) in die Produktion von Behälterglas, 165 000 t (32 Prozent) gehen in die Produktion von Glaswolle und mineralischer Baustoffe. Und rund 20 000 t (4 Prozent) Glasscherben landen auf der Deponie, wenn diese keinem anderen Zweck zugeführt werden können.

Das größte Hindernis für eine Erhöhung des Scherbenanteils im Gemenge der Flachglasindustrie ist jedoch, dass mit 521 000 t jährlich nicht genug Scherben für alle Industriezweige anfallen. Gegenüber Behälterglas ist Flachglas kein schnell drehendes Wirtschaftsgut – es verbleibt für Jahrzehnte in Fenstern und Fassaden. 521 000 t Scherben pro Jahr sindist relativ wenig gegenübert anderen Bau-Materialien.

Floatglas ist immer noch zu billig

Damit herrscht hier ein Wettbewerb um Scherben, den die Flachglasindustrie aufgrund der seit Jahrzehnten vergleichsweise geringen Basisglas-Preise nicht gewinnen kann.

Möglichkeiten, dieses strukturelle Ungleichgewicht zu beheben und hochwertiges Architekturglas erneut als Architekturglas einzusetzen, gäbe es einige. Allen voran realistische Preise, denn der Baustoff Glas wird seit Jahrzehnten „unter Wert“ verkauft.

Es könnte aufgrund der Knappheit von Scherben darüber nachgedacht werden, das Glas aus Altgebäuden stärker und konsequenter nach Sorten zu „poolen“, sodass z. B. Low-E oder Sonnenschutzgläser mit Softcoatings nicht als Wasserflasche enden die weitaus geringere Ansprüche an die Qualität stellt, sondern erneut in der Architektur zum Einsatz kommen – der Kreislauf also auf gleichbleibender Qualitätsebene geschlossen wird.

Ein weiterer Impuls zu mehr Nachhaltigkeit: Ein „Re-Use“, der Wiedergebrauch von Architekturglas, wäre dem Recycling sogar überlegen. Alte Fenster und Fassaden könnten künftig leichter zerlegbar sein, um Komponenten sauber zu trennen und echte Materialkreisläufe bei den Herstellern bzw. Verursachern zu schaffen.

Die entnommenen Glasscheiben zu reinigen und erneut mit Funktionsbeschichtungen zu versehen würde weniger CO2 freisetzen als immer nur neu zu produzieren – und es ließen sich reichlich Rohstoffe sparen.

Realistisch würde dies allerdings nur, wenn eine so aufbereitete Scheibe zumindest die gleiche Wertschöpfung erlaubte wie die Produktion einer neuen Scheibe und wenn entsprechende Preise von den Verbrauchern akzeptiert würden.

Braucht es mehr Standards?

Vereinfachte Re-Use-Prozesse ließen sich künftig auch über mehr Standardisierung erzielen: Indem mehr Gebäude seriell, modular und unter Berücksichtigung bestimmter Scheiben-Standardformate geplant und gebaut würden, dann könnte man sich viele Komponenten sehr viel leichter wiedereinsetzen. Allerdings gilt die Erkenntnis: Ohne Digitalisierung keine Standardisierung.

Der Schlüssel zu mehr Standardisierung sind funktionierende und gut gefüllte digitale Materialdatenbanken wie Madaster oder ecolearn Infobase und eine funktionierende 2D- und 3D-Planung über digitale Planungstools wie BIM (Building Information Modelling). In der Autoindustrie funktionieren diese Prozesse seit Jahrzehnen – warum nicht auch in der Bauindustrie?

Gebäude sind Materialbanken

Ein typisches Mehrfamilienhaus aus dem Jahr 1962 (das Gros der städtischen Mehrfamilienhäuser in Deutschland wurde zwischen 1958 und 1968 erstellt) bietet am Ende seines Produktlebens reichlich recycelbare Baumaterialien, so die EPEA (Environmental Protection Encouragement Agency).

Die Kommunen sollten den Häuserbestand als umfangreiches Materiallager begreifen, das wertvolle Materialien birgt, die wiederverwertet werden müssen: Stahl, Glas, Holz, Beton, Mauersteine, Gips, Kunststoffe uvm. Ein klimaneutrales Bauwesen ist ohne Kreislaufwirtschaft nicht umsetzbar. EPEA hat errechnet, dass in rund 2400 Gebäuden dieser Charakteristik rund 2,2 Mio. t Rohstoffe gespeichert sind, die es zu heben gilt, Stichwort „Urban Mining“.

Ein geplantes „Urban Mining“ ist der Schlüssel zur Klimaneutralität und einem maßvolleren Umgang mit Ressourcen. Denn nur etwa die Hälfte der gesamten CO2-Emissionen bei Neubauten fallen im Betrieb, z. B. durch die Warmwassererzeugung und das Heizen an. Die andere Hälfte, die sogenannte „graue Energie“, fällt beim Herstellen und dem Transport von Baumaterialien an sowie beim Abriss und der „Entsorgung“.

Der Einsatz grauer Energie und die Lebenszykluskosten sollten darum künftig in einen digitalen Material- und Gebäudepass einfließen – die erforderlichen Weichenstellungen sollte die Politik so schnell wie möglich vornehmen, damit Architekten, Bau- und Fassadenplaner schon in der frühen Planung jedes Gebäudes seinen Abbruch „mitdenken“.

Dies wird künftig auch für Investitionsentscheidungen essentiell: Investoren und Kreditgeber sollten transparent einschätzen können, wie sich der Wert und das Wiederverwendungspotenzial eines Gebäudes über Jahrzehnte entwickeln wird. Alle registrierten Rohstoffe stellen dann einen bezifferbaren Vermögenswert dar. 

Tipp der Redaktion: Lesen Sie zum Thema auch Seite 08.

Werden bei Sanierung-Projekten die Isoliergläser ausgebaut und getrennt gesammelt, können sie sehr zielgerichtet dem Flachglas-Recycling zugeführt werden.

Foto: Matthias Rehberger

Werden bei Sanierung-Projekten die Isoliergläser ausgebaut und getrennt gesammelt, können sie sehr zielgerichtet dem Flachglas-Recycling zugeführt werden.

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