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Warm gebogenes Glas in der baupraxis, Teil 01

Einfaches Prinzip, aufwendige Praxis

Warm gebogene Gläser sind komplexe Bauprodukte, die ein fundiertes Fachwissen bei der Herstellung, Planung und Montage erfordern. Um eine technisch und ­baurechtlich gesicherte Anwendung zu gewährleisten, ist ein Verständnis für die Besonderheiten solcher Gläser wichtig, insbesondere mit Blick auf ihre technischen Eigenschaften und die Weiterverarbeitung.

Der Bundesverband Flachglas hat vor diesem Hintergrund einen Leitfaden für thermisch gebogenes Glas im Bauwesen (BF Merkblatt 009/2011) erstellt.

Nachfolgend werden die Aspekte Produktion, baurechtlicher Kontext, Berechnung und Konstruktion von gebogenen Gläsern zusammenfassend erläutert.

Der Herstellungsprozess

Das Grundprinzip des thermischen Glasbiegens (d.h. des Schwerkraftbiegeverfahrens) hat sich seit seinen Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts nicht verändert.

  • Schritt 1: Um eine gebogene Glasscheibe herzustellen muss der Glasverarbeiter zuerst eine Biegeform bauen, welche die gewünschte Geometrie abbildet.
  • Schritt 2: Danach wird der ebene Glasrohling auf die Biegeform gelegt und mit dieser in den Biegeofen eingeführt und auf ca. 620 °C erwärmt.
  • Schritt 3: Bei Erreichen der Transformations­temperatur sinkt das ebene Glas in die Biegeform ein .
  • Schritt 4: Beim Verlassen des Biegeofens erhält das Glas dann seine gewünschten Festigkeitseigenschaften.

Um ein eigenspannungsfreies und schneidbares gebogenes Floatglas zu erhalten, wird das gebogene Glas sehr langsam über mehrere Stunden abgekühlt.

Durch schnelles Abkühlen erhält man hingegen ein thermisch vorgespanntes, gebogenes Glas (gb ESG).

Gebogenes Floatglas wird im vorne beschriebenen Schwerkraftbiegeverfahren hergestellt (siehe Skizzen unten). Dieses Verfahren ohne anschließende thermische Vorspannung ermöglicht sehr kleine Radien. Zudem sind zweiachsige und sphärische Biegungen möglich.

Wird gebogenes Verbundsicherheitsglas (VSG) gewünscht, kann das Float „im Pärchen“ gebogen werden. Das bedeutet, alle Einzelscheiben der späteren VSG-Einheit werden gleichzeitig übereinanderliegend gebogen, wodurch die Toleranzen entsprechend klein sind.

Demgegenüber lassen sich die Scheiben für gebogenes, thermisch voll- oder teilvorgespanntes Glas aufgrund des Abkühlvorgangs nur einzeln biegen.

Technische Umsetzung

In modernen Biegeöfen wird häufig mit beweglichen Biegeformen gearbeitet, die den erwärmten ebenen Rohling aufnehmen und von oben und unten in die gewünschte Form drücken. Ist die Endgeometrie erreicht, startet unmittelbar der Abkühlvorgang durch Anblasen mit kalter Luft, während die gebogene Scheibe oszilliert (Bild 3).

Thermisch vorgespannte, gebogene Sscheiben lassen sich so innerhalb weniger Minuten wirtschaftlich produzieren. Die möglichen Vorspanngeometrien sind jedoch auf einachsige Biegungen beschränkt.

Gebogene Gläser lassen sich grundsätzlich zu allen bekannten Produkten veredeln. Bei der Fertigung von VSG- und/oder Isoliergläsern sind jedoch bei der Auslegung des Randverbunds und der Foliendicken höhere Toleranzen zwischen den Einzelscheiben zu berücksichtigen als bei ebenen Gläsern.

Werden Funktionsbeschichtungen (z.B. Wärme- und Sonnenschutz-Coatings) verwendet, so ist die Biegbarkeit der Schicht mit dem Hersteller abzuklären. Manche Beschichtungen können z.B. nicht auf der Formseite liegen, da sie während des Biegevorgangs beschädigt würden.

So einfach das Grundprinzip des thermischen Glasbiegens ist, so anspruchsvoll ist die praktische Umsetzung. Trotz der vielfältigen Möglichkeiten, die Biegeanlage mittels Computersteuerung zu kalibrieren ist die Einstellung der passenden Ofenparameter von vielen Faktoren wie der Geometrie, der Glasdicke, den Beschichtungen etc. abhängig und erfordert große Erfahrung. Gleiches gilt für die Aufwärm- und Abkühlphasen, auch hier braucht der Ofenführer ein fundiertes Know-how sowie ein Gefühl für die jeweilige Ofenanlage.

Für gebogene Gläser gibt es aktuell keine bauaufsichtlich eingeführten Produktnormen, in denen Herstellung und Eigenschaften dieses Produktes geregelt werden.

Lesen Sie in der Oktoberheft im zweiten Teil mehr über die gültigen Normen sowie über die Rechtslage, die mit der Einführung der DIN 18008 Teil 1 bis 4 gelten wird. Weiter werden bautechnische Details, wie die Auflagerung der Scheiben auf die Unterkonstruktion, erläutert. —

Markus Kramer

Der Autor

Markus Kramer leitet in Essen ein Ingenieurbüro für ­Tragwerksplanung und FEM-­Berechnungen. Sein ­Büro

­konzentriert sich auf den ­konstruktiven Glasbau, den Stahl- und Metallbau sowie den Fassaden- und ­Messebau. http://www.ib-kramer.de

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