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Schäden durch Glasreinigung

Chemiefalle für Glas

Immer wieder kommt es vor, dass Glasoberflächen bei oder nach Bautätigkeiten nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen werden. Das kann z.B. durch die Grundreinigung nach der Errichtung eines Gebäudes geschehen, wenn unter Verwendung von zu wenig Wasser bei der Reinigung Sandpartikel die Oberfläche zerkratzen. Auch zementhaltige Stäube, die sich auf der Glasoberfläche ablagern, können in Kombination mit Luftfeuchtigkeit eine irreversible Veränderung verursachen. Ebenso kann durch ablaufendes Kühlwasser von Zementschneidearbeiten oder Reinigungswasser nach Verfugungsarbeiten (Balkonfläche wird verfugt, Waschwasser läuft über das Wintergartendach ab) an den Oberflächen ein bleibender Schaden entstehen.

Wie unter Fachleuten bekannt, wird häufig Radora-B zur Glasreinigung eingesetzt, ein Mittel mit 8 % Flusssäure als Wirkstoff. Als einzige Substanz löst Flusssäure Quarz (Silikat) auf, Floatglas besteht zu etwa 72 % aus Silikat. In industriellen Glaswaschanlagen wird Radora-B stark verdünnt benutzt, um Natrium- und Calciumsilikat oder auch Karbonatruckstande sicher zu entfernen.

Der mit Radora ausgestattete Fensterputzer beginnt nun sein Werk vor Ort. Anstatt mit einer hohen Verdünnung, wird das Mittel oft unverdünnt eingesetzt, anstelle von 20 Sekunden beträgt die Einwirkzeit häufig 20 Minuten. Danach ist jede Verunreinigung von der Glasoberfläche entfernt und der Fensterputzer vermeldet stolz den Erfolg seiner „Absäurungsaktion“. Betrachten dann die Hausbesitzer am nächsten Morgen alle Konturen der Außenwelt durch das gereinigte Glas, und diese – wie durch flirrende, heiße Luftschichten – verschwimmen, dann wird der Reinigungserfolg vom Vortag fragwürdig.

Wer einmal den Erfolg des unsachgemäßen Einsatzes von Flusssäure auf Glasflächen gesehen hat, erkennt diesen Effekt sofort wieder. Durch diese „Reinigung“ gehen die hervorragenden optischen Eigenschaft von Floatglas verloren – die zwei völlig planparallelen Glasoberflächen. Es entsteht eine Scheibe, mit im Zehntelmillimeter Abstand wechselnden Lichtbrechungswerten.

Ein Fall aus der Praxis

Letztes Jahr hatte ich einen Fall mit sechs Einfamilienhäusern, die alle mit der gleichen silikathaltigen Farbe gestrichen wurden. Durch Regen gelangten Kalziumsilikatpartikel auf viele Scheiben und trockneten dort ab. Durch eine chemische Reaktion kam es danach zu einer unlösbaren Verbindung mit der Glasoberfläche.

Das führte zu einem Beweissicherungsverfahren beim Landgericht Bielefeld. Inzwischen hatte der Maler seiner Haftpflichtversicherung gegen Zahlung von 25000 Euro erklärt, auf weitere Ansprüche zu verzichten. Diese war von dem Vorschlag entzückt und zahlte sofort.

Nun beauftragte er eine Reinigungsfirma mit der Scheibensäuberung. Diese schickte einen Trupp los, ausgestattet mit Radora. Die Fensterputzer reinigten alle Scheiben mit diesem Mittel, um ein gleichmäßiges Ergebnis zu erzielen, was auch gelang: Nicht nur die Scheiben mit Ablagerungen waren zerstört, sondern auch alle anderen!

Nun war der Austausch aller Scheiben notwendig. Nebenbei war es durch das ablaufende Putzwasser mit Radora zu weiteren Schäden an den S-Steinen gekommen (die ihre Farbe verloren), an den eloxierten Oberflächen einiger Fensterbänke (Flusssäure greift Eloxal an), an Lampenfassungen und Holzaußenteilen (Veränderungen an der Beschichtung) von Teilfassaden. Der Malermeister drängte nun den Gebäudereiniger seiner Versicherung den Schaden zu melden. Eine wirklich brillante Idee, hat aber nicht funktioniert, da ich mit der Schadensermittlung beauftragt wurde und die Hintergründe zutage kamen.

Seit Juni 2010 müssen Anwender von Radora dem Hersteller vor der Belieferung schriftlich erklären, dass sie die Produktinformation verstanden ­haben. —

Peter Struhlik, Sachverständiger

Vorsicht ist geboten

Flusssäure ist durch seine hohe Polarität ein starkes Kontaktgift, das innerhalb von 20 Minuten durch übliche Schutzhandschuhe dringt und dann in die Haut. Dort zerstört es die Nervenbahnen. Einatmung und Hautverätzungen (in Handtellergröße) wirken mit Sicherheit tödlich. Stärkste Schmerzmittel (Opiate) bringen keine Linderung, da die Nervenbahnen ­unwiederbringlich zerstört sind.

Beim Umgang mit Flusssäure sind spezielle Schutzhandschuhe, Schutzkleidung und Schutzbrille zwingend erforderlich. https://peter-struhlik.de/

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