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Konstruieren mit Glas

Was ist eine Glasecke?

Wir legen fest: eine Glasecke ist ein Glasstoß, der unter einem beliebigem Winkel erfolgt. Der Winkel ist üblicherweise 90°. Wie kann eine solche gläserne Konstruktion aussehen?

Bei einer Ganzglasecke kann im Gebäudeinneren hinter dem Glas ein Pfosten stehen, eine äußere Anpressleiste oder eine sonstige Abdeckung sollte jedoch nicht vorhanden sein, sodass außen eine Silikonfuge ausgeführt wird.

Sehr kleine Winkel solcher Glasstöße sind ein einfacher Sonderfall, der in der Regel bei segmentierten Fassaden auftritt. Diese Fälle können ohne größere Anpassungen der Unterkonstruktion ausgeführt werden, etwa mit üblichen SG-Systemen der verschiedenen Systemanbieter.

Größere Winkel hingegen führen zu grundsätzlichen Überlegungen: Wie kann man diese Ecke architektonisch (anders) gestalten?

Es gibt hier die Möglichkeit, den Eckbereich durch eine Konstruktion mit mehreren, aber kleineren Ecken zu ersetzen, sodass ein Gebäude mit vier Ecken beispielsweise durch ein Oktogon mit 45°-Ecken ersetzt werden kann.

Eine Glasecke ist sowohl konstruktiv als auch bauphysikalisch eine interessante Aufgabe. Deshalb sollte man im Allgemeinen zuerst diese Ecke der Fassade durchdenken und planen: Die dort gefundene Lösung kann dann meist ohne Probleme auf die Standardflächen übertragen werden, was andersherum eher selten funktioniert. Bauphysikalisch ist zu beachten, dass die Ecke immer per Definition eine geometrische Wärmebrücke (da Außenfläche> Innenfläche) darstellt.

Diese müsste man eigentlich durch besondere Maßnahmen ausgleichen – etwa einem verstärkten Einsatz von Dämmmaterial, einem dickeren oder besser isolierenden Material. Das ist gerade bei Glasecken aber nicht ausführbar.

Konstruktiv sind in der Ecke zudem die höheren Lasten beziehungsweise besondere Lastfälle zu berücksichtigen. Gerade dort, wo man also besonders transparent sein möchte, muss eigentlich die stärkste, massivste Konstruktion stehen. Daher ist eine Lösung für den Lastabtrag der Eigengewichte der Scheiben und einer eventuell vorhandenen Unterkonstruktion besonders beachtenswert, beispielsweise durch ein Zugelement.

Achtung: Gerade raumhohe Verglasungen (dies kann deutlich über einer Höhe von 3 m liegen) müssen häufig absturzsichernde Funktionen übernehmen. Dies wird beim Entwurf oft übersehen und muss dann im Ausführungsprozess aufwendig neu geplant werden.

Glasecken haben z.B. für Soglasten eine drei- bzw. zweiseitige Lagerung und als Folge hohe, massive Glasdicken. Diese können zu einem optischen Unterschied zu den normalen, vierseitig gelagerten Gläsern führen.

Durch eine Verklebung der Eckscheiben lässt sich die Glasdicke zwar reduzieren, führt jedoch zur Notwendigkeit einer aufwendigen Baustellenverklebung und der Zustimmung im Einzelfall durch die Oberste Bauaufsicht.

Bei dem Nachweis der Verklebung kann unterschieden werden zwischen den Anforderungen an die Standfestigkeit und der Gebrauchstauglichkeit. Bei einem Versagen der Verklebung kann eine relativ große Verformung und das möglicherweise nachfolgende Eindringen von Wasser in das Gebäude – also ein Sachschaden – akzeptiert werden. Voraussetzung ist, dass die Standfestigkeit nicht beeinträchtigt wird und kein Personenschaden zu erwarten ist.

Zusätzlich führen immer dickere Isoliergläser (z.B. 3-fach-ISO) zu einem nicht transparenten Bereich der Verklebung bzw. Dichtung und des Randverbundes von durchaus 60 mm und mehr.

Dies muss dem Bauherren klar sein – und der Planer bzw. der Verarbeiter sollte auch genau auf diese optischen Folgen einer Glasecke eingehen und sie benennen. Leider täuschen nicht nur Bilder manchmal – denn die Wahrheit liegt häufig im Auge des Betrachters. Damit ist sie u.a. vom Blickwinkel und den Lichtverhältnissen abhängig. Glasecken können unangenehm „massiv“ wirken – und sind bei anderer Gelegenheit doch hochtransparent, spiegelnd und gefährlich – z.B. für Vögel, weshalb besondere Überlegungen für den Vogelschutz zu empfehlen sind.

Dem Schutz von Personen kann ein aufgesetzter Kantenschutz dienen – schließlich erfüllt eine Glaskante nicht die Anforderungen, wie diese für Schulen und Kindergärten gestellt werden.

Konstruktion

Die äußeren Gläser im Eckbereich sollten polierte Kanten haben und vorgespannt sein. Statt ESG sollte grundsätzlich ESG-H zur Ausführung kommen. Bei der Eckkonstruktion sind weiter die Folgen der Durchsicht durch mehrere vorgespannte Scheiben zu beachten. Optische Beeinträchtigungen sind möglich und erfordern Gläser mit geringen Anisotropien. Besondere Anforderungen (z.B. aus Absturzsicherung) erfordern manchmal höhere Glasqualitäten, wie etwa ein VSG aus TVG mit mindestens 1,52 mm PVB. Außen muss vorgespanntes Glas verwendet werden – oder alternativ eine Abdeckung.

Der Randverbund der eingesetzten Isoliergläser besteht aus Silikon und ist UV-beständig auszuführen. Als Abstandhalter kann ein stabiler Edelstahlhalter zur Ausbildung einer warmen Kante empfohlen werden, der für die vorhandenen hohen Beanspruchungen in der Glaskante die geeignetste Wahl ist.

Die Dichtung der Ecke muss so erfolgen, dass ein Dampfdruckausgleich und die Abführung des Kondensats möglich sind. Alternativ kann eine komplette Ausfüllung des Falzbereichs mit einem zugelassenen Klebstoff erfolgen.

Gerade für die Ecken gilt, dass die Materialverträglichkeiten (PVB, Randverbund, Dichtung bzw. Kleber, Hinterfüllmaterial, Klotzung, Folien, oder sonstige z.B. die Ecke durchdringende oder berührende Materialien) sicherzustellen sind. Der Kontakt des Glases mit anderen harten Materialien ist auszuschließen. Insbesondere der Kontakt der im Eckbereich gestoßenen Gläser untereinander ist dauerhaft zu vermeiden. Es müssen die dort vorhandenen großen Verformungen (aus Wind, Klimalasten usw. sowie die ­Relativverformungen) berücksichtigt werden.

Konstruktiv kann ergänzend zur Verklebung oder als Alternative eine mechanische Kopplung der Scheiben der Ecke erfolgen, beispielsweise mit Punkthaltern. Ingenieurtechnisch stellt dies aber keine Vereinfachung der Konstruktion dar.

Was die Montage angeht, ist vor allem auf die notwendigen Schutzmaßnahmen bei einer Baustellenverklebung hinzuweisen. Diese sind notwendig, wenn man nicht vorgefertigte, komplett verklebte Teile auf die Baustelle liefern kann.

Kleben auf der Baustelle

Eine Verklebung kann nur bei ausreichend hohen Temperaturen und gemäßigten Witterungsbedingungen stattfinden. Selbst im Sommer ist es ratsam eine Einhausung vorzusehen, die die Verklebung frei von Zwängen (etwa aus der Windbeanspruchung) ermöglicht. Es geht schließlich darum, im Wesentlichen die gleichen Randbedingungen, wie man diese in der Werkstatt hätte, auf der Baustelle zu realisieren. Nur so ist die notwendige Qualität sicher zu erreichen. Natürlich ist auch der Umfang der Arbeiten entscheidend. Kleinere Verklebungsaufgaben können bei ausreichenden Witterungsbedingungen ohne große Schutzmaßnahmen ausgeführt werden, wenn entsprechende Wartezeiten und kleine Schutzmaßnahmen für nicht ausführbare Verklebungen eingeplant werden.

Die Ausführung darf nur durch einen Fachbetrieb erfolgen. Dieser muss von der Bauaufsichtsbehörde bzw. den Fachplanern anerkannt werden. Insbesondere bei anspruchsvollen Verklebungen ist mit einer Fremdüberwachung der Verklebung (Baustellenüberwachung) zu rechnen.

Künftig wird auch das Monitoring der Verklebung nach Abschluss der Arbeiten an Bedeutung gewinnen. In der Regel führt dies ein Fachingenieur eines anerkannten Prüfinstitutes oder Ingenieurbüros aus. Dies wird aber mit der Bauaufsicht vereinbart und ist daher kein Problem.

Eine interessante Ausführungl einer geklebten Glasecke findet man bei der Marktkirche in Essen (Seite 22, oben). Der Architekt Prof. Gerber stellte die Aufgabe, einen Kubus (Breite 6,75 m, Tiefe 4,4 m, Höhe ca. 10 m) möglichst komplett aus Glas zu errichten. Das Glas selbst sollte aufwendig gestaltet werden, die Stahlkonstruktion minimal sein, vor allem durften keine zusätzlichen Elemente die Ecken beeinträchtigen.

Die Lösung der Tragwerksplaner: Da die Wandscheiben in dieser Größe aus einem Stück Glas nicht herstellbar sind, wurden die Wände in Scheiben von ca. 2,25 x 1,7 m unterteilt – ein Isolierglas aus 2 x VSG (20 mm). Die Scheiben wurden tragend miteinander verklebt. Die Windkräfte werden dabei als Kräfte in Scheibenebene über das Glas und die Verklebung in die Auflagerkonstruktion am Fußpunkt geleitet. Die Aussteifung der minimierten Stahlkonstruktion erfolgt durch das Glas: Die Scheiben sind einerseits durch gelenkige Punkthalter mit einem Bolzen (30 mm Durchmesser) gehalten, andererseits in den Ecken verklebt. Das Eigengewicht wird über Klötze und die unteren Gläser abgetragen.

Beim Versagen der Verklebung und dem Ausfall der unteren Gläser kann selbst eine gebrochene Scheibe durch die mechanische Befestigung genügend lang in sicherer Position verbleiben.

Zusätzlich zur Statik und zum Gutachten war ein größerer Koordinationsaufwand innerhalb der erforderlichen ZiE notwendig. So wurde zuerst ein Nachweiskonzept erstellt und die Folgen und Alternativen bezüglich der Termine und der Kosten (z.B. statt Airbrush mit Siebdruck, mit Glasmalerei …) mit dem Architekten abgestimmt.

Die Versuche zum Nachweis der Resttragfähigkeit der Überkopfverglasung und zur Wandverglasung wurden an der RWTH Aachen durchgeführt. Die VSG-Scheiben (aus ESG) wurden künstlerisch im Airbrush-Verfahren behandelt. Daher war es notwendig, den Nachweis zu führen, dass auch wirklich VSG vorliegt. Die entsprechenden Nachweise zur Delamination erfolgten an der FH München. Anschließend musste eine Einhausung des kompletten Kubus erstellt und die komplette Montage und Verklebung durch einen Sachverständigen überwacht werden.

Die Probekörper mussten mit der originalen künstlerischen Bearbeitung geprüft werden. Da es hier um das außergewöhnliche Ineinandergreifen von künstlerischen und technischen Anforderungen und Restriktionen ging, war ein Vorlauf von ca. einem halben Jahr notwendig, um die Gläser zu fertigen und zu prüfen. Insgesamt hätte eine konventionellere Konstruktion wohl ein Jahr schneller ausgeführt werden können.

Bei innovativen Projekten stellt die reine ZiE kein Problem dar. Durch die Beteiligung kompetenter, von der Bauaufsicht anerkannter Fachingenieure ist die Kommunikation mit der Bauaufsicht frei von unnötigen Klärungen. Für die Architekten ist es wichtig, dass die gestalterischen Vorgaben angemessen innerhalb des Kosten- und Terminplans umgesetzt werden können und vor allem, dass kreative Lösungen von den Fachingenieuren gefunden werden, was hier der Fall war.

Ausblick

Die Ausführung von möglichst transparenten Gebäudeecken wird von Verarbeitern in Zukunft verstärkt umzusetzen sein. Das zeigen aktuell viele Architekturentwürfe. Gleichzeitig nehmen die Dimensionen der Scheiben zu sowie die zu beachtenden Anforderungsprofile. Selbst bei scheinbar geringen Abweichungen von der Norm dürfen sich Planer und Verabeiter nicht auf die üblichen Konstruktionen verlassen. Im Gegenteil, sie sollten offensiv diese spannenden Konstruktionen und ihre Folgen (Kosten, Termine, Qualität) mit allen Projektbeteiligten klären und wenn nötig eine Zulassung im Einzelfall (ZiE) beantragen.

Das beste Beispiel einer unterschätzen Norm-Abweichung – in dem Falle nicht im Glasbau – ist die eingestürzte Eissporthalle in Bad Reichenhall: dort wurde versäumt, eine ZiE zu beantragen. Mit den bekannten tödlichen Folgen. —

Der Autor

Peter Tückmantel ist als Fachingenieur bei der Hunsrücker Glasveredelung Wagener GmbH im Segment Glasbau tätig.

peter.tueckmantel@glaswagener.de

Nicht Vergessen

Die folgenden Punkte sollte der Verarbeiter bei (geklebten) Glasecken unbedingt beachten:

  • Zulassung im Einzelfall (ZiE) aktiv nutzen
  • Fachingenieure einschalten
  • Mit Fachfirmen zusammenarbeiten
  • Probleme frühzeitig kommunizieren
  • Gegebenenfalls Nachträge stellen

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