Glaswelt – Frau Quel, warum gibt es eigentlich noch Isoliergläser, insbesondere auch 3-fach-ISO, ohne thermisch optimierte Abstandhalter?
Ingrid Quel – Das verstehe ich auch nicht. Das kann ich mir nur mit Unwissenheit erklären. Es müsste doch jedem – und damit meine ich Isolierglashersteller ebenso wie Fensterbauer – einleuchten, dass es bauphysikalischer Unsinn ist, ein Isolierglas in der Fläche hervorragend zu dämmen und es am Rand ringsherum thermisch „kurzzuschließen“. Ohne die Warme Kante wird bei Fenster- und Fassaden-U-Werten enorm viel Verbesserungspotenzial verschenkt. Dabei könnte man mit thermisch optimierten Abstandhaltern gleich noch die unliebsamen Tauwasser-Reklamationen reduzieren, wie sie in der kalten Jahreszeit gehäuft auftreten.
Erst kürzlich wieder suchte ein Bauherr meinen Rat, der explizit eine Warme Kante ausgeschrieben und bestellt hatte, aber seine Fenster alle mit Aluminium-Abstandhaltern im 3-fach-Isolierglas geliefert bekam. Solche Fälle finde ich besonders ärgerlich. Leider sind sie gar nicht so selten.
Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern, bis die ersten Gerichte die Warme Kante zum Stand der Technik erklären. Tauwasser am Glasrand wird dann zum vermeidbaren baulichen Mangel. Scheiben mit Alu-Abstandhaltern müssen dann möglicherweise sogar umgeglast werden. Damit rechne ich fest in nächster Zeit.
Glaswelt – Wodurch zeichnen sich heute bei den Abstandhaltern thermisch optimierte Produkte aus?
Quel – Das Hauptmerkmal der thermisch optimierten Spacer ist – wie der Name schon sagt – die wärmetechnische Verbesserung. Das trägt mit dazu bei, Gebäude energieeffizienter zu machen. Die Abgrenzung gegenüber konventionellen Abstandhaltern aus Aluminium und Stahl ist mit der Definition im Anhang E der DIN EN ISO 10077-1 auch ohne große Rechenkünste möglich. Wer noch immer der Meinung ist, die Energieeinsparung mache im Fall der Abstandhalter nicht viel aus, soll an einem beliebigen Gebäude die Längen der umlaufenden Glaskanten aufaddieren. Schon mancher Skeptiker war überrascht, wie viele Meter an linearer Wärmebrücke da zusammenkommen. Mit einer guten Warmen Kante lässt sich mehr einsparen, als durch die Verbesserung des Glas-U-Wertes um ein Zehntel.
Glaswelt – Es gibt unterschiedliche Systeme am Markt. Welche sind das und worin liegen die Hauptunterschiede im einzelnen?
Quel – Da muss man unterscheiden, für wen die Vorteile gelten sollen. Demjenigen, der die Scheibe zusammenbauen muss, sind andere Aspekte wichtig als dem, der das fertige Isolierglas mit Warmer Kante einkauft. Dem Fenster- und Fassadenbauer kommt es vor allem auf die Werteverbesserung durch die niedrigen Psi-Werte der Warmen Kante an. Daneben müssen die Optik und der Preis stimmen.
Der Isolierglashersteller hingegen hat von der Werteverbesserung durch die Warme Kante nichts: der Glas-U-Wert, den er deklarieren muss, ändert sich nicht. Für ihn ist eine störungsfreie, möglichst variable Produktion mit einem leistungsfähigen, kostengünstigen Produkt viel wichtiger.
Generell kann man bei den Warme-Kante-Systemen unterscheiden zwischen Stangenware und Systemen, die von der Rolle oder aus dem Fass kommen. Die Stangen lassen sich in rein metallische Edelstahl-Abstandhalter und Hybridsysteme aus Kunststoff mit Diffusionssperren aus Metall unterteilen. Die Hybridprofile bringen etwas bessere Werte, sind aber anspruchsvoller in der Verarbeitung. Rolle und Fass benötigen spezielle Applikatoren, deshalb sind für sie immer größere Investitionen erforderlich.
Glaswelt – Und welche Vorteile bringen die unterschiedlichen Systeme für den Isolierglas-Hersteller?
Quel – Vorteile werden oft sehr subjektiv wahrgenommen. Deshalb muss jeder Isolierglashersteller anhand seiner individuellen Gegebenheiten in der Produktion selbst bewerten, was ihm wichtig ist. Nur so kann er entscheiden, was für ihn die beste Lösung ist. Möglicherweise muss er auch die Wünsche seiner Kunden berücksichtigen Es spielen viele Faktoren eine Rolle. Einen pauschalen Rat, was das beste System ist, kann es deshalb hier nicht geben, aber ich stehe bei der Entscheidungsfindung gerne unterstützend zur Verfügung.
Glaswelt – Gibt es Systeme, die sich besser als andere für die Automation eignen?
Quel – Ob Stangen oder Rolle, mit allen Systemen lässt sich manuell oder mit höherem Automatisierungsgrad produzieren. Lediglich das direkt auf die Scheibe extrudierte TPS-System hatte von Anfang an die Automatisierung als Hauptziel. Ich denke aber, dass auch bei den Stangen das Automatisierungspotenzial auf der Maschinenseite noch lange nicht ausgereizt ist. Vermutlich werden erst die nächsten Jahre zeigen, wohin sich der Markt entwickelt. Derzeit dürfte das Hauptproblem darin liegen, dass der Anteil an Warmer Kante noch keine 100 % erreicht hat. Der dadurch notwendige ständige Systemwechsel ist bei jedem Versuch der Automation und Effizienzsteigerung störend. Teilweise verarbeiten Isolierglashersteller ja nicht nur ein einziges Warm-Edge-System, sondern beinahe alle, die es am Markt gibt. So will man jedem Kundenwunsch gerecht werden. Das unterwandert natürlich alle Bemühungen um eine straffe, effiziente Fertigung.
Glaswelt – Wenn ein Verarbeiter seine ISO-Produktion weiter automatisieren möchte, worauf sollte er in Sachen Abstandhalter achten?
Quel – Da kann ich ihm nur den Rat geben, sich mit allen Systemen zu befassen und eine eigene Entscheidungsmatrix zu bauen. Darüber hinaus sollte er Empfehlungen von Dritten immer nach deren Motiven hinterfragen.
Glaswelt – Wie lange wird es dauern, bis es nur noch thermisch optimierte Spacer gibt?
Quel – Die prophetischen Fähigkeiten zur Beantwortung dieser Frage sind mir leider nicht gegeben. Maßgeblichen Einfluss hat aber auf jeden Fall die Gesetzgebung. Durch Verschärfung der Gebäude-Anforderungen kann der Zwang entstehen, das Energie-Einsparpotenzial der Warmen Kante nicht mehr zu verschenken.
Leider ist es so, dass sich Innovationen freiwillig, aus Einsicht, oft nicht oder nur langsam durchsetzen. Seit Aluminium-Abstandhalter verwendet werden weiß man eigentlich, dass sie eine Mega-Wärmebrücke darstellen. Aber erst seit der Einführung des Uw-Wertes mit der DIN EN ISO 10077 im Jahr 2000 werden die Verluste an der Übergangsstelle von Glas zu Rahmen überhaupt in die Werte eingerechnet. Seit da wächst der Warme Kante Anteil stetig. Außerdem gerät der Randverbund immer erst dann in den Fokus, wenn Isolierglas- und Rahmenflächen ein gewisses Dämmniveau erreicht haben. Salopp gesagt: Zuerst müssen die großen Löcher in der Gebäudehülle gestopft werden, dann kommen die Wärmebrücken dran.
Schließlich sollte alles vom Dämmniveau her ungefähr zusammenpassen. Dort, wo noch thermisch ungetrennte Metallrahmen verbaut werden dürfen, kann auch die Warme Kante nichts ausrichten. Da ist der Psi-Wert nämlich nahezu gleich null.
Die Fragen stellte der Chefredakteur der GLASWELT Matthias Rehberger —
Tipp der Redaktion: Mehr über Abstandhalter finden Sie auf der Themenplattform http://www.3-fach-iso.de. Dort gibt es für Sie auch eine Übersicht über Abstandhalter-Systeme zum downloaden. Die kostenlose Download-Liste finden Sie auch unter https://www.glaswelt.de/, dort im Suchfeld rechts oben den Webcode 1088 eingeben.
Fachfrau für die Warme Kante
Mit ihrem „Beratungsbüro für Warme Kante und Glas“ hilft Ingrid Quel bei allen Fragen rund um die Warme Kante weiter. Mit ihrer langjährigen Berufserfahrung und ihrem Fachwissen berät sie produktunabhängig Warme-Kante-Produzenten sowie Isolierglashersteller, Glasverarbeiter und Zulieferer.