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Im Gespräch mit Günter Weidemann

Fast so alt wie das Jahrhundert

GW – Herr Weidemann, wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung am heimischen Glasmarkt?

Günter Weidemann – Ich glaube, dass es besser wird, und gehe davon aus, und hier bin ich durchaus etwas optimistisch, dass unsere Wirtschaft ab dem dritten Quartal in vielen Bereichen wieder anzieht, spätestens jedoch 2025. Sicher ist natürlich nichts in der aktuellen politischen Gemengelage.

GW – Haben Sie entsprechende Maßnahmen ergriffen in Bezug auf eine Marktbelebung?

Weidemann – Ja, wir investieren aktuell in die Zukunft. So haben wir beispielsweise den Betrieb von Hoffmann Glas in Berlin übernommen und noch mehrheitlich das Unternehmen unseres Marktpartners Glascom in Dänemark zugekauft. Und wir haben bei unserem Betrieb Glasfischer Glastechnik in der Region Hannover investiert.

GW – Worauf fokussiert sich Schollglas bei den aktuellen Investitionen?

Weidemann – Wir investieren insbesondere in Automatisierung, denn ohne modernen Maschinenpark und Software geht es nicht, um effizient fertigen zu können. Für einige Marktbegleiter sind derlei Investitionen mit Fremdmitteln in der derzeitigen Marktlage allerdings hochriskant, dadurch ist in unserer Branche vieles im Umbruch.

GW – Wie lange lesen Sie schon die GLASWELT?

Weidemann: – Ich denke, seit über 66 Jahren. Seit ich in der Branche aktiv bin, habe ich die GLASWELT abonniert, um über die aktuellen Themen unserer Branche auf dem Laufenden zu bleiben. Und ich lese die GW wirklich gerne.

GW – Sie sind der Doyen der Flachglas-Spezialisten in Deutschland und haben die Entwicklung der Branche über einen langen Zeitraum im Blick. Was waren für Sie einschneidende Veränderungen, die die Branche geprägt haben?

Weidemann – Die Vielfalt der Glasprodukte ist in den letzten 50 Jahren deutlich größer geworden. Man kann hier von einer massiven Erweiterung der Produktpalette durch zahlreiche Innovationen bei den Veredlungsmöglichkeiten sprechen, die sich in der Realität – den Endprodukten – manifestiert haben.

Ein weiterer wichtiger Punkt war die deutliche Zunahme an Sicherheitsglas in allen Bereichen der Gebäudehülle sowie im Interieur. Und generell sind im architektonischen Mainstream, gerade im Fensterbau, die Glasflächen wesentlich größer geworden durch die physikalisch-technischen Eigenschaften, die Glas heute bietet. Glas-Trennwände, bodentiefe Glasschiebetüren, Wintergärten oder Duschwände sind alles Entwicklungen der letzten vier Jahrzehnte, die den Geschmack der Konsumenten in der Breite treffen und sich am Markt durchgesetzt haben.

GW – Welche Produkte haben in Ihren Augen in den letzten Jahren besonders zugelegt?

Weidemann – Im Hinblick auf die Veredlung haben bedruckte Gläser sowie gelaserte Glasprodukte deutlich an Beliebtheit gewonnen. Weiter sehe ich aktuell, gerade auch mit Blick auf die Gesetzgebung, hinsichtlich des Einbaus von Sicherheitsglas bei Isolierglas und als Absturzsicherung, ein gutes Wachstum bei VSG. Auch Vogelschutzglas spielt eine immer größere Rolle im Bau.

GW – Und wie sieht es beim ESG aus?

Weidemann – ESG hat über die Jahre gewaltig an Bedeutung gewonnen. Deshalb sind wir bei Schollglas (G www.schollglas.de) in diesem Segment mit unseren unterschiedlichen Betrieben sehr breit aufgestellt, was die Vielfalt der Produkte angeht.

GW – Ein Blick auf Ihre Historie: Welche besonderen Herausforderungen stellten sich Ihnen, als Sie 1969 Ihre erste Glasfirma gegründet haben?

Weidemann – Damals habe ich als Ein-Mann-Betrieb als reines Großhandelsgeschäft angefangen. Die erste und größte Herausforderung war, für die kleine Handelsfirma den Basisglas-Direktbezug von der Industrie zu erhalten. Zu dieser Zeit wurde Glas von der dominierenden Basisglas-Industrie in der Regel nur an den bestehenden, eingeführten Glashandel geliefert, der auch ein Lager betrieb und ein großes Sortiment an aktuellen Basisgläsern, damals vorrangig Gussgläsern, vorhalten musste. Ende 60er-, Anfang 70er-Jahre gab es noch klar getrennt den Glas-Dreiklang Hersteller – Handel – Handwerk. Damit hatte es die Industrie auch in der Hand, wen sie belieferte, und gleichzeitig konnte sie die Glaspreise diktieren. Das sieht heute natürlich ganz anders aus. Um damals Glas direkt von den Herstellern beziehen zu können, habe ich den Firmenmantel der C.H. Scholl KG, Bielefeld, erworben und den Sitz nach Hannover verlegt.

GW – Was waren weitere Unterschiede?

Weidemann – Der Handel war zu diesem Zeitpunkt nur regional im Radius bis etwa 100 km aktiv, mit dem Ziel, sein Material an Glasereien zu verkaufen. Von den seinerzeit sehr vielen Glas-Großhändlern sind heute nur noch sehr wenige übrig geblieben. Denn die meisten haben gar nicht gesehen, dass sich für Glasanbieter und auch für Isolierglas-Hersteller bundesweit interessante neue Felder auftaten. Solche Nischen habe ich gesucht und gefunden – und Kunden gewonnen.

GW – Was waren das für Nischen?

Weidemann – Bevor ich diese Frage beantworte, muss ich doch noch etwas Allgemeines zur Historie erklären: Aus den einst großen Fensterglas-Produzenten haben sich Floatglas-Hersteller entwickelt, weil sich das Fensterglas qualitativ überlebt hatte. Etwa zur gleichen Zeit brachte die Glasindustrie ein neues Produkt, das Isolierglas, auf den Markt. Dieses Glas namens Thermopane wurde hergestellt von der Glashütte Gelsenkirchen-Schalke, die zum Saint-Gobain-Konzern gehört. Und gleichzeitig von der damaligen Detag, als Wettbewerbsprodukt, das Cudo-Isolierglas. (Die Detag und ihr einstiger Wettbewerber Delog sind dann 1970 zur Flachglas AG fusioniert.) Diese Hersteller hatten Lieferzeiten von wenigstens 6 bis 8 Wochen. Später kam dann, als erster privater Isolierglas-Hersteller, die Glaswerke Arnold GmbH dazu, da diese kein Direktbezieher war. Darauf folgten viele andere. Arnold hat später dann zusammen mit der Firma Conzelmann den Glasbeschichter arcon gegründet.

GW – Welche Nischen haben Sie noch bedient?

Weidemann – Relativ früh habe ich angefangen, die Fertighausindustrie mit Thermopane-Isolierglas zu beliefern. Dazu kam die Belieferung von Velux mit Gado-Isolierglas, eine Weiterentwicklung des Cudo-Isolierglases, speziell für Fenster geeignet. Das habe ich seinerzeit auch initiiert.

Hier noch ein interessanter Fakt zur Fertighausindustrie: Diese bezog die Fenster ihrer Häuser ohne Glas und hat diese dann selbst verglast. Ein komplettes Fertigfenster wie heute gab es damals erst noch nicht.

Weitere Nischen waren das Geschäft mit Gartenglas für Gewächshäuser, ESG für Telefonzellen, die damals an jeder Straßenecke standen, und die Belieferung der DDR mit Floatglas für deren Automobilindustrie und viele weitere.

GW – Welchen Einfluss hatte die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten für Schollglas? 

Weidemann – Einen sehr großen. Mit der Wiedervereinigung hat sich mein Geschäft dann wiederum stark verändert: Natürlich haben wir zum damaligen Zeitpunkt – wenngleich zunächst auch nur spärlich – die neuen Bundesländer mit eigenem Glas beliefert. Das reichte uns aber nicht aus, und so haben wir dort in relativ kurzer Zeit 6 neue Produktionsstätten für Isolierglas und ESG aus dem Boden gestampft. Das war seinerzeit weitestgehend Neuland für uns. Zusätzlich habe ich 2001 meinen ersten Betrieb in Polen von Pilkington übernommen, weil diese die alte Anlage als nicht mehr zeitgemäß einschätzten und die Produktion eingestellt haben, um nur noch Floatglas zu produzieren. Auch dort haben wir dann ESG hergestellt.

GW – Gilt auch heute noch, was Sie über Marktnischen gesagt haben, wobei Schollglas nun einer der großen Glasanbieter in Europa ist?

Weidemann – Nischen sind nach wie vor interessant. Die Nische bringt vielfach auch eine positive Dynamik hin zu neuen Produkten.

Die Fondation Louis Vuitton in Paris von Star­architekt Frank Gehry ist ein architektonisches Highlight. In den Glassegeln sind 13 400 m2 VSG des Glaslieferanten Schollglas verbaut. Zum Einsatz ­kamen die Gläser Gewe-tvg und Gewe-dur-H.

Foto: Hufton+Crow

Die Fondation Louis Vuitton in Paris von Star­architekt Frank Gehry ist ein architektonisches Highlight. In den Glassegeln sind 13 400 m2 VSG des Glaslieferanten Schollglas verbaut. Zum Einsatz ­kamen die Gläser Gewe-tvg und Gewe-dur-H.

GW – Welche Gläser sehen Sie im Aufwind?

Weidemann – Gläser, die immer mehr Funktionen erfüllen können, werden immer wichtiger, denn die Architekten drängen darauf. Die Glasbranche und wir als Unternehmen müssen solche Anfragen von Architekten und Planern sehr ernst nehmen und als Chance nutzen.

GW – Und beim Sicherheitsglas?

Weidemann – Hier geht es weiter bergauf, gerade auch beim VSG. Dazu kommt die steigende Nachfrage nach Isoliergläsern aus Sicherheitsglas-Varianten. Ein interessanter Markt, insbesondere auch wieder für VSG, Stichwort „Absturzsicherung bei Isolierglas“.

GW – Und wie sehen Sie smarte Gläser mit variablem g-Wert? Wird das bei den Fassadengläsern künftig zum Standard?

Weidemann – Smarte Gläser werden wichtiger, und ich sehe hier einen wachsenden Bedarf, insbesondere im Objektgeschäft. Die Voraussetzung für eine breite Marktdurchdringung bzw. höhere Volumenanteile sind allerdings niedrigere Preise, deutlich näher an denen von herkömmlichem Isolierglas. Jedoch sehe ich ein weiteres Glasprodukt heute mit anderen Augen als noch vor wenigen Jahren.

GW – Denken Sie hier an Vakuum-Isolierglas?

Weidemann – Richtig. Bei den Vakuum-Isoliergläsern sehe ich sehr großes Potenzial. Solche Gläser sind im Kommen. Leider leistet die Branche noch zu wenig Aufklärung gegenüber Planern und Endkunden. Die Glasanbieter müssen die Möglichkeiten aufzeigen, welche Vorteile die Vakuum-Isoliergläser bieten, was sie leisten, sprich den Energieverbrauch bzw. mögliche Einsparungen und wie und wo man Vakuum-Isolierglas sinnvoll einsetzt.

GW – Wo sehen Sie Defizite der Glasbranche?

Weidemann – Die Branche muss mehr über die Möglichkeiten des Werkstoffs und die Qualität der Glasprodukte kommunizieren. Der Endkunde und auch viele Planer wissen gar nicht, was mit Glas heute möglich ist, welche Veredlungsoptionen es gibt und was für Vorteile dies für die Nutzer bringt. Nehmen Sie z. B. das Badezimmer: Eigentlich müsste jede Duschrückwand aus Glas sein, inklusive passender Veredlungen, etwa ein schönes Bild, dazu noch eine Oberflächenbeschichtung mit Selbstreinigungs-Funktion. Für solche Produkte zahlt der Kunde auch gerne etwas mehr.

GW – Wie steht es beim Glasrecycling?

Weidemann – Auch hier besteht dringender Aufholbedarf! Dabei sind in meinen Augen insbesondere die Hersteller von Floatglas gefragt, denn diese haben vom Glasrecycling den größten Nutzen und können den Glasbruch direkt in ihren Produktionsprozess integrieren.

GW – Wie steht es langfristig um die Glasbranche?

Weidemann – Flachglas hat auch weiterhin eine große Zukunft. Dennoch muss die Branche daran arbeiten und ihre Hausaufgaben machen, um die Glasprodukte für den Endkunden noch interessanter zu gestalten, und dies auch stark kommunizieren, die jeweiligen Leistungsmerkmale von Gläsern attraktiver herausstellen. Das ist die Aufgabe der Branche für die Zukunft. Weiter muss noch mehr kommuniziert werden, dass Tageslicht gesund ist und Glas deshalb ein großartiger Werkstoff ist, der das Tageslicht ins Haus bringt.

GW – Wie sehen Sie die Entwicklungen am heimischen Markt – Stichwort Marktbereinigung –, wird es bald nur noch große Anbieter geben?

Weidemann – Nein, auf keinen Fall. Es wird immer auch kleinere und mittelgroße Glasbetriebe geben, die sich spezialisiert haben. Solche Betriebe haben eine Zukunft, wenn sie flexibel sind.

GW – Wie ist Schollglas für die Zukunft aufgestellt?

Weidemann – Nach wie vor können wir als unabhängiges Unternehmen ein sehr breites Sortiment an attraktiven Glasprodukten anbieten, wir sind stark im internationalen Handel und punkten mit hoher Kundenorientierung und Service. Zudem sind wir sehr solide aufgestellt. Um Schollglas braucht man sich keine Sorgen zu machen.

GW – Was ist Ihr Fazit zur heimischen Glasbranche im Rückblick auf die letzten 60 Jahre?

Weidemann – Glas ist ein wunderbarer Werkstoff und wird es per se auch immer sein. Allerdings dürfen wir nie stehen bleiben! So dynamisch, wie wir unsere Produkte und Märkte in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben, müssen wir auch in Zukunft stetig daran arbeiten, uns immer wieder neu zu erfinden. Als Kind der Glasbranche hoffe ich, dass wir auch weiterhin zusammen erfolgreich sind.

Das Interview führte Matthias Rehberger.

Mit Standing ­Ovations wurde Günter Weide­mann beim 55-Jahre-­Schollglas-Event ­begrüßt.

Foto: Schollglas

Mit Standing ­Ovations wurde Günter Weide­mann beim 55-Jahre-­Schollglas-Event ­begrüßt.

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