Bisher erfolgte die Ausführung von Fassaden mit lastabtragenden Glasschwertern und Glasträgern ausschließlich als Sonderkonstruktionen, da derzeit noch keine aktuelle technische Baubestimmung für die Bemessung und Konstruktion existiert. Die Sprödigkeit von Glas führt bei dieser Anwendung häufig zu einer unwirtschaftlichen Bemessung, da neben dem Grenzzustand der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit auch die Resttragfähigkeit betrachtet werden muss. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Resttragfähigkeit von Glasträgern aus VSG unter Biegebeanspruchung unabhängig von der verwendeten Glasart nicht ausreichend gewährleistet werden kann.
Im Forschungsprojekt „HybridGlasSt“ wurden Glas-Stahl-Verbundträger in Zusammenarbeit mit der Universität Duisburg-Essen entwickelt, die über eine höhere Steifigkeit und damit Tragfähigkeit verfügen. Beteiligt waren die Firmen Delo Industrie Klebstoffe, Glasid, die Hunsrücker Glasveredelung Wagener sowie Jansen und ViscoTec Pumpen- und Dosiertechnik.
Der Aufbau des Trägers
Die hybriden Glasträger bestehen aus VSG mit zusätzlich angeordneten Stahlelementen aus Edelstahl. Damit sollen transparente Fassadenkonzepte realisiert werden.
Die Herstellung der Träger erfolgte unter Verwendung der adhäsiven Fügetechnik einer linienförmigen Klebung zwischen Stahl und Glas. Zusätzlich trägt die Ertüchtigung des (spröden) Glases mit duktilem Stahl entscheidend zur Verbesserung der Resttragfähigkeit und der erforderlichen Redundanz des Bauteils bei. Die Stahlelemente ermöglichen zudem die Kombination mit konventionellen Verbindungstechniken zum Anschluss weiterer Bauelemente oder zum Fügen untereinander. Es handelt sich dabei um eine lastabtragende Verbindung zwischen einem minimierten Fassadenprofil aus Stahl und einem stehenden Glasschwert, die die Windlasten gemeinsam abtragen. Die Basis bildet ein minimiertes Pfosten-Riegel-System. Die hybriden Glasschwerter werden mit dem angeklebten Adapterblech aus Edelstahl an das Fassadenprofil geschraubt. Damit soll ein modulares System zur Verfügung gestellt werden, das gleichzeitig eine individuelle Endgestaltung zulässt. Die Verbindung erfolgt über eine linienförmige Klebung mit einem transparenten Klebstoff und ermöglicht die kontinuierliche Lastabtragung zwischen den Stahlelementen und dem Glas. Lokale Spannungskonzentrationen werden vermieden.
Die wesentlichen Anforderungen an den Klebstoff sind deshalb eine hohe Festigkeit zur Lastabtragung mit einer gleichzeitig ausreichenden Elastizität zum Ausgleich von Temperaturdehnungen.
Im Allgemeinen sind die mechanischen Eigenschaften von Acrylat von der Temperatur, dem vorhandenen Medium sowie der Belastungshöhe und der Belastungsdauer abhängig. Deshalb konzentrierte sich das Forschungsprojekt vorerst auf vertikale Fassadensysteme im Innenbereich.
Zur experimentellen Analyse der Glas-Stahl-Verbundträger wurden das Trag- und Resttragverhalten an insgesamt drei hybriden Querschnittsvarianten untersucht. Zusätzlich erfolgte die Prüfung von VSG ohne Stahlelemente als Referenz. Die Träger wurden bis zur Bruchlast beansprucht. Anschließend erfolgte eine weitere Lasteinleitung zur Beurteilung des Resttragverhaltens. Im Vergleich zu Glasträgern ohne Stahlelemente kollabierten die hybriden Prüfkörper nicht und trugen die Lasten weiterhin unter größeren Verformungen ab.
Die Biegesteifigkeit der hybriden Glasträger im intakten Zustand ist wegen der zusätzlichen Stahlelemente grundsätzlich höher als die Biegesteifigkeit der Glasträger ohne Stahlelemente. Nach dem Bruch aller drei Glasscheiben verloren die Glasträger ohne Stahlbauteile fast die gesamte Tragfähigkeit. Die gebrochenen Glasscheiben der Hybridträger wurden durch die zusätzlichen Stahlelemente verstärkt und zeigten ein verbessertes Trag- und Resttragverhalten. Eine weitere Laststeigerung nach dem Bruch aller Glasscheiben ist möglich.
Entwicklung einer Musterfassade
Auf Grundlage der Ergebnisse wurde für die glasstec 2010 eine Musterfassade entwickelt, um das allgemeine Konstruktionsprinzip und das Erscheinungsbild der hybriden Glasträger zu verdeutlichen. Die hybride Fassadenkonstruktion besteht aus vier Glaspfosten mit einer Länge von 3,50 m und einer Tiefe von 0,20 m, der Achsabstand beträgt 1,75 m. Damit sind raumhohe Verglasungen möglich. Die Glaspfosten setzen sich aus einem dreischichtigen VSG mit ESG zusammen. Grundsätzlich lässt sich durch das verbesserte Resttragverhalten gegenüber Glaspfosten ohne zusätzliche Stahlelemente auch VSG mit nur zwei Scheiben verwenden. An die beiden Kanten des Glaspfostens wurden über eine linienförmige Klebung die Edelstahlbleche angeordnet. Die adhäsive Verbindung erfolgte mit dem speziell entwickelten transparenten Acrylatklebstoff und benötigte nur wenige Minuten für die Aushärtung. Die Verbindung zwischen dem Adapter und dem Fassadenprofil erfolgte über eine Verschraubung mit Senkkopfschrauben. Durch die mechanische Verbindung kann der unkomplizierte Austausch eines Pfostens bei Glasbruch gewährleistet werden. Das Fassadenprofil ist ein herkömmliches Stahlprofil für Fassadensysteme. Die linienförmige Lagerung der Verglasung wurde durch eine sehr flache Druckleiste sichergestellt.
Die energetischen Anforderungen an Fassaden – ein entscheidendes Kriterium bei der Produktwahl – werden durch Einsatz von 3-fach-Isolierglas realisiert. Als Wärmedurchgangskoeffizient der Fassade lassen sich Werte bis zu 0,78 W/m2K erreichen. Der Gesamtenergiedurchlassgrad der Verglasung liegt in Abhängigkeit der Beschichtung zwischen 24 % bis 55 %.
Die Musterfassade wurde unter Verwendung marktüblicher Bauteilkomponenten erstellt, um Kosten für Herstellung und Planung im Vergleich zu Fassaden mit Glaspfosten als Sonderkonstruktion zu reduzieren. Die hybride Fassadenkonstruktion wird zu einem modularen System weiterentwickelt. Es ist zunächst geplant, diese Fassade in Referenzobjekten mit einer Einzelfallzustimmung einzusetzen. Bei Interesse können sich Architekten und Bauherren an die Projektbeteiligten wenden. Die Beantragung einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung für die Fassadenkonstruktion ist geplant.
Die Autoren
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Weller leitet das Institut für Baukonstruktion der TU Dresden. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Themen des Konstruktiven Glasbaus und der Fassadentechnik.
Thorsten Weimar ist als Bauingenieur wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut und seit 2009 auch Lehrbeauftragter für Konstruktiven Glasbau an der FH Magdeburg-Stendal. Er ist der Projektleiter des vom BMWi geförderten Forschungsprojekts HybridGlasSt.