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Glas zerkratzt und doch nicht haftbar?

Vom kleinen zum großen Mangel

Die Reinigungsfirma hatte die Bauendreinigung einer Pfosten-Riegelfassade (5 m breit, 8 m hoch) eines Altenheimes durchgeführt. Bei der Bauabnahme wurden auf den Außenscheiben der Isoliergläser Kratzer festgestellt und bemängelt. Nach einer Vorbesichtigung, bei der sich der Schaden bestätigte, meldete die Reinigungsfirma den Schaden der Versicherung. Diese beauftragte ein Gutachten, um zu klären: Wie viele der gemeldeten Gläser sind zerkratzt? Worauf sind die Schäden zurückzuführen? Wie kann der Schaden behoben werden?

Beim Ortstermin mit dem Gutachter wurden 24 Isoliergläser sowie die Scheibe der Eingangstür untersucht und die Kratzer bestätigt (kleines Foto). Mithilfe eines Lasermessgeräts wurde folgender Scheibenaufbau für die vier ebenerdigen ISO-Scheiben ermittelt: Innenscheibe 6 mm VSG (2 x 3 mm Float mit 0,76 mm PVB-Folie), 16 mm SZR, Außen­scheibe 6 mm monolithisches Glas mit Stempel für „Einscheiben-Sicherheitsglas ESG“. Die übrigen Isoliergläser hatten den Aufbau: Innenscheibe 6 mm monolithisches Glas, 16 mm SZR, Außenscheibe 6 mm monolithisches Glas mit Stempel für „Einscheiben-Sicherheitsglas ESG“. Und an diesem Punkt nahm der vorliegende Fall eine ganz neue Wendung.

Der Fall wendet sich

Da die Außenscheiben gemäß Stempel aus ESG und vermutlich nicht aus ESG-H bestanden, galt es zunächst zu klären, ob die vorgefundenen ESG-Scheiben einem Heißlagerungstest unterzogen worden waren.

Aus einem Auszug eines Lieferscheins des Fassadenbauers ging hervor, dass es sich bei den Scheiben nur um ESG handelte, und nicht wie erforderlich um heißgelagertes Einscheibensicherheitsglas. Dies ist baurechtlich seit 2006 nicht mehr zulässig. In den TRLV (Technischen Regeln für die Verwendung von linienförmig gelagerten Verglasungen) steht unter 3.3.2:

Die Verwendung von (nicht heißgelagertem) monolithischem ESG nach Abschnitt 2.1 c) ist nur in Einbausituationen unterhalb vier Metern Einbauhöhe, in denen Personen nicht direkt unter die Verglasung treten können, zulässig. In allen anderen Einbausituationen, auch für Außenscheiben von Mehrscheiben-Isolierverglasungen, muss an Stelle von monolithischem ESG nach Abschnitt 2.1 c) (heißgelagertes) monolithisches ESG-H nach Abschnitt 2.1 d) verwendet werden.

Da in diesem Fall kein ESG-H zum Einsatz kam, sind die Scheiben baurechtlich nicht zulässig.

Obwohl der hier zitierte Punkt 3.3.2 der TRLV­ bereits seit August 2006 in die Richtlinie aufge­nommen wurde, ist er einem Großteil von Verarbeitern ­anscheinend noch nicht ausreichend bewusst. Heute ist sogar auch die Außen­scheibe von Isolierglas in normalen Fens­tern regle­men- tiert, wenn diese ­aus Einscheibensicherheitsglas bestehen soll. In allen Fenstern in Gebäude­flächen über 4 m Höhe sowie darunter, wenn Personen unter die Verglasung treten können, darf man als Außenscheibe nur noch heißgelagertes ESG-H gemäß Bauregelliste verwenden.

Glück im Unglück?

Für den Versicherer der Reinigungsfirma stellt sich aufgrund der „Überholenden Kausalität“ die Frage, ob er trotz beschädigter Scheiben für den Schaden eintreten muss. Denn die Gläser müssen wohl ohnehin ausgetauscht werden, da sie nicht dem Baurecht entsprechen. Fenster- und Fassadenbauer sollten im Zweifelsfall immer darauf achten, nicht nur bei Glasflächen über 4 m ESG-H einzusetzen. —

Der Autor

Dipl.-Ing. Wolf-Dietrich Chmieleck ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Glastechnik und Glasanwendung.

IGA Institut für Glas-Anwendung

Tel. (0 23 02) 7 53 83

iga@chmieleck.de

https://www.iga-chmieleck.de/

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