Glaswelt – Seit 1999 sind Sie in bei Saint-Gobain tätig, und leiten seit März 2020 die Flachglas- und Bauglas-Aktivitäten in Deutschland. Was reizt Sie an dieser Branche?
Dr. Stephan Kranz – Das liegt vielleicht in der Familie. Mein Vater war Geschäftsführer bei Kinon und technischer Leiter der Glassolutions-Standorte. Dadurch war ich als Kind schon viel in glasverarbeitenden Betrieben unterwegs. Als Jugendlicher habe ich in den Ferien in den Betrieben mitgearbeitet und mein Taschengeld aufgebessert. Sogar bei den Ofenmaurern in der Glasherstellung konnte ich einmal mitarbeiten, das hat mich tief beeindruckt. Glas ist einfach ein tolles Material, man kann unglaublich viel draus machen. Das gilt gerade im Bau, sowohl technisch als auch in der Gestaltung. Daher freue ich mich, dass ich nach den verschiedenen Stationen im Konzern jetzt wieder zu dieser Produktwelt zurückkomme.
Glaswelt – Welche langfristigen Herausforderungen, unabhängig von Corona, sehen sie für die Bauglas-Branche?
Dr. Kranz – Für mich stehen zwei große Trends im Vordergrund. Seit Jahren schon sehen wir eine kontinuierliche Verlagerung von Produktion ins Ausland. Dieser strukturelle Wandel läuft in der Autoindustrie genauso ab wie in den mittelständisch geprägten Industrien, etwa im Möbelbau und Fensterbau. Da das Lohnniveau niedriger als in Deutschland ist, kommen günstige Importe auf den deutschen Markt, die große Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette haben. Für uns als international agierendem Basisglashersteller mag dies auf den ersten Blick vielleicht geringere Auswirkungen haben. Aber für unsere Kunden, die regionalen Glasverbeiter, und dazu zählen auch unsere eigenen Verarbeitungsbetriebe, ist dies eine echte Herausforderung.
Glaswelt – Sie sprachen von zwei Trends?
Dr. Kranz – Der zweite große Trend berührt die Frage, wie Gebäude künftig geplant und gebaut werden. Ich denke an digitale Planungsprozesse, etwa BIM, und an die zunehmende Vorfertigung. Beides wird sich auf die Produktwelt, die Verarbeitung und die gesamte supply chain auswirken. In meiner Zeit als Geschäftsführer bei Sekurit, also in der Automotive-Sparte, haben wir schon vor Jahren die Grundlagen von Industrie 4.0 aufgegleist. Das fand ich ausgesprochen spannend und es hat die Branche vorangebracht. Die Autohersteller sind schon immer ein starker Treiber von solchen Entwicklungen. Mir ist es sehr wichtig, dieses Know-how in unseren Geschäftsbereich einzubringen. Bauglas hat ein großes Potenzial für den Sprung aufs nächste Level in der Planung und Ausführung von Bauteilen wie von Gebäuden als auch in der Lieferkette.
Glaswelt – Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie durch die Corona-Krise?
Dr. Kranz – Die Auswirkungen von Covid 19 zeigen bei uns ein gemischtes Bild. Die Automotive-Sparte hat wie überall spürbar gelitten. Die Bauglas-Aktivitäten kamen bislang besser als erwartet durch die Krise. Dies gilt gerade für Deutschland und darüber bin ich natürlich sehr froh. Aber die wirtschaftlichen Entwicklungen im Exportmarkt trüben das Bild ein. Denken Sie nur an Italien, Frankreich und Spanien. Eine genaue Vorhersage halte ich weiterhin für schwierig. Deshalb analysieren wir die kurz- und die langfristigen Auswirkungen kontinuierlich. Falls erforderlich, können wir schnell und zielgenau nachsteuern.
Im Blick auf die verarbeitenden Betriebe insgesamt in Deutschland wird sich Covid 19 wahrscheinlich als Katalysator auswirken und den laufenden Strukturwandel noch beschleunigen. Das heißt, ich rechne mit weiteren Konsolidierungen.
Glaswelt – Erst wurden Glassolutions-Betriebe verkauft, dann der Standort Mannheim aufgegeben, gibt es einen Glas-Ausverkauf bei Saint-Gobain, zieht sich der Konzern zurück?
Dr. Kranz – Nein, ganz und gar nicht! Als Konzern haben wir mit unserem „Transform and grow“-Programm eine klare Entscheidung zu unserem Portfolio getroffen. Das schließt ein, dass wir nur an Unternehmen festhalten, die hinsichtlich ihrer Grundstruktur und Größe zu uns passen. Damit ist auch der Hintergrund für den Verkauf der regional tätigen Glassolutions-Standorte klar. Das Regionalgeschäft in Deutschland ist stark unter Druck. Betriebe haben nur dann eine Chance, wenn sie sich sehr schlank und flexibel aufstellen. Aus unserer Sicht können Mittelständler das Regionalgeschäft einfach besser als ein Konzern.
Wir konzentrieren uns daher auf unsere großen Standorte, die im industriellen Maßstab Gläser verarbeiten, etwa Deggendorf sowie unsere Isolierglasstandorte. In diesem Segment sind wir sehr erfolgreich. Zugespitzt gesagt: Als Konzern gehen wir lieber ins Lieferantenverhältnis. Entsprechend sind alle (veräußerten) Betriebe, die jetzt unter caleoglas firmieren, weiter eng mit uns verbunden sowie ein fester Teil unseres CSP-Netzwerks. Im Klartext: Wir freuen uns, dass wir mit dem Investor DIK einen guten Partner gefunden haben, den Betrieben eine klare Perspektive anbieten konnten und selber in der Rolle des Lieferanten sind.
Glaswelt – Was waren die Gründe bei Mannheim?
Dr. Kranz – Die Entscheidung in Mannheim steht vor einem ganz anderen Hintergrund. Wir bedauern es wirklich sehr, dass wir das Gussglaswerk schließen müssen. Es ist der älteste SGG-Standort in Deutschland, er ist Teil unserer Tradition und ein Stück deutscher Industriegeschichte. Das schmerzt uns, ganz klar! Nicht nur mich persönlich, sondern auch sehr, sehr viele Mitarbeiter im Konzern. Aber als Geschäftsführer muss ich auch dafür eintreten, dass Emotionen den Blick nicht verstellen. Wir sehen seit Jahren, dass der Markt für die Produkte aus Mannheim nicht mehr funktioniert.
Bei Gussglas kämpfen wir mit kontinuierlich sinkenden Mengen. Bitte schauen Sie zurück, Mannheim ist keineswegs die erste Gussglaswanne, die in den letzten Jahren geschlossen wurde. Beim Solarglas ist der Markt durch Billigimporte weggebrochen, er wird nicht wiederkommen. Stabil bleibt dagegen das Marktsegment Green House. Diese Produktion wandert jetzt an unseren Standort in Polen. Mit Green House alleine hätten wir Mannheim nicht profitabel betreiben können. Hinter der Schließung steht also keine kurzfristige, sondern differenzierte Entscheidung auf Basis unserer langfristigen Analysen.
Wir versuchen für alle Standorte individuelle Perspektiven zu entwickeln. Zugleich darf ein Standort das Gesamtgeschäft nicht gefährden. Falls erforderlich kommt es zu einem notwendigen und manchmal auch schmerzhaften Anpassungsprozess. Das übergeordnete Ziel ist für mich, das Unternehmen immer konsequent zukunftsfähig aufzustellen.
Glaswelt – Was bedeutet das konkret? Und wo möchten Sie Ihre Schwerpunkte in den kommenden Jahren setzen?
Dr. Kranz – Sich zukunftsfähig aufzustellen, heißt für mich aktuell zum Beispiel in Stolberg einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag zu investieren. Das ist ein klares Bekenntnis für den Standort für die nächsten zwanzig Jahre. In gleicher Weise werden wir in den nächsten Jahren massiv in die anderen Standorte investieren. Von einem Ausverkauf kann also keine Rede sein.
Wir setzen aber nicht nur auf langfristige Investitionen in Anlagen. Vor dem Hintergrund der Lieferantenrolle, von der ich vorher sprach, investieren wir genauso in die Verbesserung des Kundennutzens. Denken Sie nur an die Chancen der digitalen Transformation. Hier können wir uns Anregungen aus der Automobilindustrie holen hinsichtlich Industrie 4.0 und entsprechender Transparenz und Effizienz. Auch in der Bauindustrie ist in den letzten Jahren bei Start-ups und Innovationen viel in Bewegung gekommen. Hier holen wir uns ebenfalls guten Input.
Glaswelt – Wo liegen Ihre persönlichen Ziele?
Dr. Kranz – Mein Ziel ist es, als Hersteller und Lieferant (G www.saint-gobain.de) einen konkreten Mehrwert für unsere Kunden in der Bauwirtschaft zu generieren. Klarerweise arbeiten wir an zukunftsträchtigen Produkten und Systemen. Das betrifft moderne und intelligente Technologien, künftige Beschichtungen etc. Zu diesen technischen Themen können wir an anderer Stelle gern weiter ins Detail gehen.
Die Fragen stellte Matthias Rehberger