Im vorliegenden Fall musste durch den Sachverständigen untersucht und geklärt werden, ob die Behauptung des Klägers stimmt, dass bei den Reinigungsarbeiten im Einfamilienhaus des Klägers durch Mitarbeiter der beauftragten Firma sämtliche Fensterscheiben zerkratzt worden seien. Weiter sollte untersucht werden, ob zur Schadensbeseitigung – wie vom Bauherren gefordert – eine Auswechslung der Scheiben erforderlich ist.
Beim Ortstermin wurden die Isolierglasscheiben anhand der Rechnungskopie des Fensterbauers, aus der die einzelnen Positionen der Fenster hervorgehen, begutachtet. Der Sachverständige zog zur Beurteilung der Kratzer die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas“ heran und prüfte die verschieden stark zerkratzten Scheiben auf hinnehmbare Kratzer sowie auf nicht hinnehmbare Kratzer.
Für jede Scheibe wurde in Anlehnung an die Richtlinie festgestellt, ob a) Kratzer sichtbar sind, die jedoch hingenommen werden können und b) Kratzer sichtbar sind, die eine derart große Beeinträchtigung darstellen, dass ein Austausch der Isolierglasscheiben gefordert werden könnte.
Beurteilungskriterien
Bei der Beurteilung sichtbarer Glasschäden zieht der Gutachter in der Regel die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas“ heran, die als Hilfsmittel bei der Bewertung dient. Dabei wird unterschieden nach zumutbaren oder nicht zumutbaren Mängeln und Schäden. Allerdings sollte die Richtlinie keinesfalls so verstanden werden, dass unterhalb der dort beschriebenen Grenzen die Schäden hingenommen werden müssen. Für die finale Beurteilung der Schäden ist nur der Sachverständige verantwortlich, und das macht Sinn. So dürfe beispielsweise laut Richtlinie die Beurteilung der Kratzer nur bei diffusem Licht, d.h. bei Bewölkung erfolgen. Aus Gutachtersicht kann jedoch nicht ignoriert werden, dass übers Jahr gesehen sehr häufig auch die Sonne scheint. Deshalb kann die Beurteilung auch bei Sonnenschein erfolgen.
Ferner sollte die Raumnutzung mit in die Beurteilung einfließen. Man muss eine Scheibe im Badezimmerfenster oder im Fenster eines Abstellraums anders beurteilen, als eine Scheibe in einem Büro- oder Wohnzimmerfenster.
Aufgrund des geschilderten Bauablaufes und des Schadensbildes ging für den Gutachter hervor, dass die Kratzer bei der Reinigung entstanden sein müssen. Bei insgesamt 31 Isoliergläsern sind Kratzer sichtbar. Davon sind, nach den genannten Beurteilungskriterien, auf 19 Isoliergläsern die Kratzer nicht hinnehmbar und sollten/müssten ausgetauscht werden.
Dieser Beurteilung folgte das Gericht nicht: Die Kratzer stellten unabhängig von ihrer Lage und Größe eine Beschädigung dar, die einen Austausch rechtfertigen, so die Ansicht des Richters.
In seiner Urteilsbegründung führt das Gericht unter anderem aus: „In seinem Gutachten hat der Sachverständige ausgeführt, dass an 31 Isoliergläsern Kratzer vorhanden sind. Sichtbare Kratzer an den Fensterscheiben lassen sich nicht in ‚austauschwürdigeund ‚nicht austauschwürdige Scheiben differenzieren. Wenn eine neue Scheibe mit einem sichtbaren Kratzer versehen wird, ist diese beschädigt. Und man kann nicht nach hinnehmbaren oder nicht hinnehmbaren Schäden unterscheiden. Danach sind alle Scheiben schadensersatzberechtigt“, so die Entscheidung des Gerichts.
Das Fazit des Gutachters
Liefern ISO-Hersteller oder Fensterbauer mangelhafte Scheiben bzw. Fenster mit zerkratzten Gläsern, mag eine Bewertung in Anlehnung an die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas“ gerechtfertigt sein. Dies gilt jedoch nicht bei einer nachträglichen Beschädigung.
Das bedeutete im vorliegenden Fall für den Gutachter, dass er hier lediglich festzustellen hatte, ob eine Beschädigung vorliegt. Trifft dies zu, so ist der Glasschaden – unabhängig von der Lage und Größe der Beschädigung – durch den Verursacher, hier die Reinigungsfirma, zu ersetzen. —
Der Autor
Dipl.-Ing. Wolf-Dietrich Chmieleck ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Glastechnik und Glasanwendung.
IGA Institut für Glas-Anwendung
Tel. (0 23 02) 7 53 83