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Bemessung von punktförmig gelagerten Verglasungen

Ganz schön kompliziert

Beim Einsatz von Punkthaltern steht dem Mehrgewinn an Transparenz die aufwendige Bemessung der punktuell gelagerten Glasscheiben gegenüber. Zwar werden in den „Technischen Regeln für die Bemessung und die Ausführung punktförmig gelagerter Verglasungen“ (TRPV) allgemeine Hinweise zur Bemessung gegeben, aber das Regelwerk enthält kein Verfahren, wie diese Bemessung konkret durchzuführen ist.

In der Regel werden punktförmig gelagerte Gläser, die über Tellerhalter befestigt sind und eine zylindrische Bohrung im Auflagerbereich aufweisen, über eine Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (AbZ) nachgewiesen. Die dort angewandten Bemessungsverfahren sind i.d.R. sehr komplex und aufwendig. Dies ist auf die zahlreichen Parameter der Bemessung sowie auf die dazu nötigen dreidimensionalen Finite-Element (FE) Berechnungen zurückzuführen. Zudem werden ggf. experimentelle Untersuchungen gefordert.

In der Entwurfsfassung der DIN18008-3 „Glas im Bauwesen – Bemessungs- und Konstruktionsregeln – Punktförmig gelagerte Verglasungen“ ist es u.a. vorgesehen, punktförmig gelagerte Glasscheiben mit einem vereinfachten Verfahren (SLG-Verfahren nach J. Beyer) zu berechnen. Bei diesem Verfahren reicht es aus, eine punktförmig, elastisch gelagerte Platte zu berechnen.

Die Berechnung kann mit einfachen FE-Schalenmodellen ohne Bohrlöcher im Glas erfolgen. Mit dieser Berechnung werden Spannungen, Verformungen sowie Auflagerreaktionen ­ bestimmt. Die sich ergebenden Spannungen im Glas und Auflagerreaktionen am Punkthalter werden mithilfe von Faktoren, die in tabellarischer Form vorliegen und einfachen Formeln zu einer resultierenden Spannung zusammengefasst. Mit dieser resultierenden Spannung sowie der Verformung lässt sich die Bemessung von punktförmig gelagerten Gläsern durchführen. Das vereinfachte Verfahren basiert auf abgesicherten Annahmen, die bei der Bearbeitung des AIF-Forschungsvorhaben 16320N geprüft wurden. Aufgrund der dort getroffenen Annahmen (für das vereinfachte Verfahren) ergibt sich allerdings für Planer und Verarbeiter ein interessantes Potenzial für wirtschaftlichere Lösungen (Stichwort Material-/Konstruktionsoptimierung). Diese Lösungen lassen sich mithilfe von aufwendigeren Verfahren entsprechend berechnen.

Im Rahmen des AIF-Forschungsvorhabens 16320N „Standardlösungen für punktförmig gelagerte Verglasungen – Ermittlung der Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit“ wurden kürzlich die bisherigen Bemessungsverfahren von punktgehaltenen Gläsern u.a. auf ihre Praxistauglichkeit, Verifizierungsaufwand, Reproduzierbarkeit, Ergebnissicherheit und Fehlertoleranz hin getestet. Im systematischen Vergleich konnten die Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren (u.a. Verfahren nach Brendler, Verfahren nach B. Siebert) identifiziert werden.

Darauf basierend wurde ein neues, modifiziertes Verifizierungs- und Prüfverfahren erarbeitet, das die Vorteile der einzelnen Verfahren vereint. Das neue Verfahren ist dreistufig gegliedert und besteht aus folgenden Verifizierungsschritten: Netzmodellierung der Glasplatte im Bohrungsbereich, Punkthaltermodellierung und Bauteilmodellierung (Glasplatte und Punkthalter in Kombination).

Weiterhin wurden experimentelle Untersuchungen an Punkthaltern sowie an Glasscheiben in Kombination mit Punkthaltern durchgeführt. Ziel dieser Tests war es, die Lastübertragungspfade zwischen Glas und Punkthalter zu identifizieren, da die Spannungen im Bohrungsbereich stark von der Art der Lastübertragung abhängig sind. Durch die Untersuchungen wurde festgestellt, welche Lastübertragungspfade im Bohrungsbereich aktiviert werden und wie diese sich auf die Spannungen im Glas auswirken.

Die Identifizierung dieser Lastübertragungspfade schaffte die Voraussetzungen, die es (in Teilen) ermöglichen, analytische Ansätze zur Spannungsberechnung zu nutzen. So gelang es im Rahmen des Forschungsvorhabens für das vereinfachte Verfahren, alle Spannungsfaktoren mit analytischen Ansätzen zu bestimmen. Das neue Verfahren ist jetzt bereits im Entwurf der neuen Glas-DIN18008-3 enthalten.

Zusammen mit den experimentell gewonnenen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung des geringeren Berechnungsaufwandes wurde darüber hinaus ein Berechnungstool entwickelt, das die Bemessung auf Basis des vereinfachten Verfahrens anwenderfreundlich ermöglicht.

Mithilfe des Bemessungstools werden vom Nutzer des Programms zunächst alle relevanten geometrischen Parameter (u.a. Scheibenabmessungen, Bohrungsdurchmesser, Punkthaltersteifigkeiten) abgefragt, bevor die Nachweisführung erfolgt. In einer Datenbank sind Ergebnisdaten (Spannungen, Verformungen sowie Auflagerreaktionen) infolge Einheitslasten für diverse punktförmig gelagerte Systeme hinterlegt. Für den konkreten Anwendungsfall erfolgt die Ermittlung der resultierenden Spannungen sowie Verformungen durch die Verknüpfung der Ergebnisdaten mit den dazugehörigen Faktoren für das vereinfachte Verfahren und den realen Einwirkungen (z.B. aus Eigengewicht und Wind). Aus den charakteristischen Beanspruchungen (Spannungen und Verformungen) werden auf Basis eines Sicherheitskonzeptes die Bemessungswerte bestimmt.

Für den eigentlichen Nachweis werden im Anschluss die Bemessungswerte der Beanspruchungen (Ed) mit den Bemessungswerten des Tragwiderstandes (Rd) verglichen und in einem Nachweisfenster übersichtlich dargestellt. Die Nachweise lassen sich so nach TRPV sowie nach der neuen DIN18008-3 durchführen.

Durch das Tool ist es möglich, eine Vordimensionierung an punktförmig ­gelagerten Verglasungen und eine Bemessung von Standardfällen ohne ­FE-Berechnungen durchzuführen. Das Bemessungstool ist für 4- oder 6-fach punktgestützte Verglasungen aus einer monolithischen Einfachverglasung oder aus VSG (von 10 bis 20 mm Dicke) konzipiert. Die Abmessungen der zu berechnenden Scheiben können von 0,5 × 1 m2 bis 2 × 2,2 m2 (4-fach ­gelagert) und 0,5 × 1 m2 bis 2 × 2,5 m2 (6-fach gelagert) betragen. Aber ­Vorsicht: Das Bemessungstool ersetzt jedoch nicht die Ingenieurleistung sowie die Verantwortung des Anwenders. Dieser muss u.a. noch die Einwirkungen (z.B. aus Eigengewicht und Wind) für den konkreten Anwendungsfall bestimmen.

Die Fälle, die sich außerhalb des Anwendungsbereichs des Bemessungstool befinden – z.B. asymmetrische Punkthalteranordnungen – lassen sich mit dem neuen Verifizierungs- und Prüfverfahren realitätsnah bemessen.

Die hier aufgeführten Ergebnisse entstanden im Rahmen des AIF-Forschungsvorhabens 16320N „Standardlösungen für punktförmig gelagerte Verglasungen – Ermittlung der Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit“ in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Materialprüfanstalt Darmstadt (TU Darmstadt), RWTH Aachen, Uni Duisburg-Essen und der UniBw München.

Die genauen Ergebnisse sind im dazugehörigen Forschungsbericht veröffentlicht und können unter https://dstv.deutscherstahlbau.de bezogen werden.

Ausblick

Mit dem neuen Bemessungstools ist es nun möglich, die Vordimensionierung von punktförmig gestützten Glasscheiben sowie die Bemessung von Standardfällen wirtschaftlich durchzuführen. Weiter helfen die Forschungsergebnisse (u.a. Optimierung der Spannungsfaktoren, Identifizierung der Lastübertragungspfade im Punkthalterbereich) dazu beizutragen, die Akzeptanz des Bemessungsverfahrens zu erhöhen. Das vereinfachte Verfahren wurde darüber hinaus im Entwurf der DIN 18008-3 als alternatives Bemessungsverfahren etabliert. —

Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. Geralt Siebert leitet die Professur für ­Baukonstruktion und Bauphysik an der Universität der Bundeswehr München. Er ist Obmann des Normenausschusses „Bemessungs- und Konstruktionsregeln für Bauprodukte aus Glas“, der die DIN18008 „Glas im Bauwesen“ erarbeitet.

Dipl.-Ing. Matthias Seel (Hauptmann) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der gleichen Professur und forscht auf dem Gebiet des konstruktiven Glasbaus.

http://www.unibw.de/glasbau

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