Für ein Projekt in China sollten kalt gebogene Scheiben mit einer Unterkonstruktion verklebt werden; dafür mussten die Verklebungen berechnet werden. Bei den Untersuchungen traten erhebliche Spannungsspitzen in den Ecken der Klebefuge auf. Auf der Suche nach den Ursachen folgten vergleichende Berechnungen an gängigen, linienförmig verklebten Scheiben. Auch bei den planen Gläsern wurden hohe Spannungskonzentrationen in den Eckbereichen festgestellt, die durch zulässige Spannungswerte aus den jeweiligen Zulassungen (ETA’s) nicht abgedeckt werden können [1].
Für die Ingenieure stellte sich die Frage, wie sich dies bei einer Isolierglas-Randverklebung (= Sekundärversiegelung) verhält. Gerade im Fall von geklebten Fassadenkonstruktionen wirken die Klimalasten und die äußeren Lasten direkt auf die Randversiegelung (= Randverklebung) ein, da die Kanten solcher Isolierglaselemente nicht durch Deckleisten geklemmt werden.
Die relativ hohen Verformungen von Glasscheiben im Verhältnis zu ihrer Scheibendicke führen in der Klebefuge zu markanten Spannungsspitzen. Das Bild 1 zeigt ein schematisches Verformungsbild. Diese Verformungen bewirken auch die Verteilung der Lagerkräfte bis hin zu wechselnden Vorzeichen in den Ecken. Dies führt dazu, dass trotz der Druckkräfte von außen Zugspannungen in den Ecken entstehen:
Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass die nachfolgenden Ausführungen generell gelten, sowohl für die bisher üblichen 2-fach-Isoliergläser als auch für 3-fach-Isoliergläser.
Aktuelle ETAG Norm ist unzureichend
Derzeit wird mit einfachen Formeln und einer erheblich vereinfachten Lastverteilung die Randversiegelung als linienförmige Klebfuge nach ETAG 002 dimensioniert (Bild 2). Die Bemessungsvorgaben gemäß ETAG 002 vernachlässigen aber eine Scheibenverformung und damit auch das Entstehen von Belastungsspitzen in den Ecken der Klebefugen.
Das Beispiel von Bild 3 zeigt die Ergebnisse der gemittelten Spannungen in der Klebefuge für eine klassische Structural Glazing Verklebung. Die Scheibe weist in diesem Beispiel eine Abmessung von 1,50 × 1,25 m und eine Dicke von 6 mm auf. Die Abmessung der Klebefuge wurde hierbei mit 9 × 20 mm so dimensioniert, dass diese Geometrie nach ETAG 002 zulässig ist. Die Belastung der Glasscheibe wurde so gewählt, dass die nach Technischer Regel zulässigen Spannungen und Verformung für das Glas mit 6 mm Dicke eingehalten werden. Mit diesen Annahmen könnte eigentlich davon ausgegangen werden, dass die zulässigen Spannungen in der Klebefuge eingehalten werden können.
Für eine Kurzzeitbelastung ist für eine linienförmige Verklebung üblicherweise eine Spannung von 0,14 N/mm2 einzuhalten. Die hier über die Klebefugenbreite gemittelte Spannung liegt jedoch um mehr als das zweifache höher!
Bei größeren Scheibensteifigkeiten (d.h. größeren Scheibendicken) sind diese Spannungen geringer, weil die Verformung der Scheibe damit abnimmt und die Ecken weniger abheben. Sie erhöhen sich jedoch mit zunehmender Klebefugenbreite bei gleich bleibender Dicke, da sich die Steifigkeit der Klebefuge erhöht.
Da die Bemessungsregeln nach ETAG 002 sowohl für eine allgemeine linienförmige Verklebung gelten als auch für Randversiegelungen von Isolierglaselementen herangezogen werden, sollte dies aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse einer genaueren Prüfung unterzogen werden.
Handelsübliche Software für Isolierglaselemente berechnen wohl auf der Basis der ETAG 002 die erforderliche Breite der Randversiegelung. Es stellt sich hier jedoch die Frage, ob dies für eine sichere Auslegung der Randversiegelung verlässlich und zutreffend ist.
Abstraktion des Randverbunds
Der Isolierglasrandverbund aus Abstandhalter, Butylstreifen und Randversiegelung (Bild 4) bildet ein komplexes Tragsystem. Vereinfachend könnte im ungünstigsten Fall dieses System als Einspannung für die beteiligten Scheiben gesehen werden. Im günstigsten Fall könnte der Randverbund als einfache Kopplung der beteiligten Scheiben betrachtet werden, wobei lediglich Zug- bzw. Druckkräfte übertragen werden. Die Realität liegt irgendwo dazwischen.
Vereinfacht betrachtet ergibt sich aus einer Einspannung am Isolierglas-Randverbund ein Kräftepaar, das einerseits durch den Abstandhalter und andererseits durch die Randversiegelung gebildet wird.
Die numerische Modellierung des Randverbunds mit Abstandhalter, Butyl und Sekundärversiegelung ist äußerst aufwendig. Daher entstand die Idee, anhand von Versuchen an verschiedenen Randverbund-Abstandhaltern für diese Federkonstanten zu ermitteln, mit denen der Aufwand für die Berechnung nach der Finite Elemente-Methode (FEM) von Isolierglaseinheiten erheblich reduziert werden könnte.
Mehrere ISO-Produzenten stellten für die Versuchskampagne verschiedenste Abstandhaltersysteme mit Butyl zur Verfügung. An diesen Abstandhaltern wurden Druckversuche durchgeführt und Federkonstanten ermittelt [2]. Auf der Basis dieser Ergebnisse wurden nun die Spannungen innerhalb der Silikon-Randversiegelung für Structural Glazing Anwendungen mit einer vereinfachten Methode numerisch ermittelt, wobei der Aufwand der Modellierung und Berechnung erheblich reduziert werden konnte.
Die Versuchsergebnisse an Abstandhaltern
Die vorliegenden, zu untersuchenden Abstandhalter wurden hinsichtlich ihrer Geometrie und der Werkstoffe (Aluminium, nicht rostender Stahl, Komposit aus Metall und Kunststoff) in verschiedene Typen eingeteilt. Die nachfolgenden Untersuchungen wurden dann an 50 mm langen Probekörpern dieser Spacer durchgeführt.
Die Versuchsergebnisse ergaben für die „harten“ Abstandhaltersysteme nur einen geringen Unterschied der Nachgiebigkeit (Butyl und Abstandhalter) für den Bereich geringer Verformungen [3].
Dass hierfür die Nachgiebigkeit des Butyl eine dominierende Rolle spielt, zeigten weitere Versuche an einzelnen Butylstreifen, da Butyl erheblich weicher ist als die Abstandhalter selbst.
Ausgehend von den Versuchsergebnissen kann für das System „Abstandhalter mit Butyl“ eine Gesamt-Federkonstante ermittelt werden (Schema in Bild 5).
Mit dieser Abstraktion wurde im ersten Schritt ein ebenes Modell untersucht. Es konnte dabei die generelle Vergleichbarkeit der Ergebnisse bei vollständiger Modellierung des Randverbund-Systems mit dem vereinfachten Ansatz nachgewiesen werden [2].
Der Vorteil dieser vereinfachten Methode liegt darin, dass so mit einem vertretbar komplexen Modell nun auch größere zusammenhängende Berechnungen von Structural Glazing Fassadenelementen vereinfacht und mit dennoch zutreffenden Ergebnissen möglich sind.
Exemplarisches Beispiel
Als Beispiel wird eine Berechnung unter reiner Klimabelastung an einer Isolierglasscheibe mit den Abmessungen 1,2 x 2,4 m, einem Scheibenzwischenraum von 16 mm und Scheibendicken von 6 mm vorgestellt (Bild 6).
Die Ergebnisse stellt Bild 7 dar – zunächst als Streckenlast entlang des Umfangs im Abstandhalter und der Randversiegelung. Als Belastung wird der Regelfall „Klima Winter“ und „Einbau tief“ aufgebracht.
Wie Bild 7 zeigt, weist die Randversiegelung im gesamten Bereich der Kante und der Ecke eine Zugbelastung auf, während der Abstandhalter mit Butyl entlang der Kante mit Druck belastet wird und im Bereich der Ecke genau wie die Randversieglung unter Zug steht.
Zur Verdeutlichung möglicher Variationen bei den verschiedenen Randverbund-Ausführungen stellt Bild 8 die Lastverläufe in der Versiegelung für einige Grenzfälle dar. Als Beispiel dafür, wie sich die Spannungen bei einer geringeren Klebefugendicke verändern, wurde die halbe Breite der üblichen 6 mm Klebefugendicke untersucht. Für den weichen Randverbund wurde die Steifigkeit abgeschätzt (bislang fehlen dazu Versuchsergebnisse).
Wie aus den dargestellten Ergebnissen erkennbar wird, ist die Lastverteilung innerhalb der Randversiegelung durchaus sehr unterschiedlich. Auch kann bei einer Reduktion der Randversiegelungsbreite nicht linear auf die dort vorhandene Spannung geschlossen werden. Dies lasse die Vermutung zu, dass bei einer Reduktion der Randversiegelungsbreite die Spannung dort ansteigen müsste. Sollte daher im Fall der Reduktion von 6 mm Breite auf 3 mm nicht ein Anstieg auf die doppelte Spannung zu verzeichnen sein?
Das Gegenteil ist der Fall, wie Bild 9 zeigt! Aufgrund der Reduktion der Nachgiebigkeit (von 6 mm auf 3 mm) reduziert sich hier die Spannung. Dafür erhält allerdings der Abstandhalter eine höhere Belastung im Eckbereich.
Ist damit nachgewiesen, dass es besser wäre die Randversiegelung mit einer geringeren Dicke auszuführen?
Die Antwort ist ein klares Jein! Denn mit der Reduktion der Dicke der Randversiegelung steigt die Belastung (Druck und Zug) für das Butyl in den Eckbereichen. Dies wiederum könnte die Dichtigkeit der Isolierglaseinheit beeinflussen/beeinträchtigen. Weitere Versuche und Berechnungen sind zur Klärung hierfür noch erforderlich.
Die Ergebnisse der Untersuchungen haben gezeigt, dass die Annahmen nach ETAG 002 für die Bemessung der Randversiegelung nicht zutreffend sind, obwohl für die meisten Fälle die Bemessung der Randversiegelung ausreichend sein dürfte.
Was ist aber für die möglichen anderen Fälle? Hier kann nur eine verbesserte „Mickeymouse-Formel“ (dargestellt unter Kapitel 2) auf der Basis der oben dargestellten Betrachtung weiterhelfen.
Ausblick
Die komplexe Thematik „Spannungen im Randverbund“ gewinnt zunehmend an Bedeutung. Auch Statikprüfer haben dies erkannt. Ausführende Firmen sind immer mehr darauf angewiesen, sich fachlich fundiert beraten zu lassen.
Mit dem vorliegenden Beitrag sollen bereits gewonnene Erkenntnisse einfach verständlich dargestellt und ingenieurmäßige, praxistaugliche Lösungsansätze aufgezeigt werden. Es sei aber auch darauf hingewiesen, dass FEM-Berechnungen für elastische Klebstoffe neben der geeigneten Software auch ein besonderes Fachwissen auf Seiten der Ingenieure erfordern.
Es wäre auch möglich, in Zusammenarbeit mit interessierten Isolierglasherstellern in einem weiteren Schritt einfach anzuwendende Bemessungs-Grafiken zu erarbeiten.
Unter Berücksichtigung der folgenden Eingangsparameter:
- Biegesteifigkeit der Scheiben
- Abmessungen der Isolierglaselemente
- Belastung der Scheiben
- Abstandhalter-Typ
- vorgewählte Breite der Randverklebung / -versiegelung
könnten sich zutreffende, gemittelte Spannungen der Randversiegelungen erfassen lassen.
Referenzen
[1] A. Hagl, Review of ETAG 002 Guideline with Focus on Glass Unit Corner Loading, ISAAG, 4th International Symposium on the Application of Architectural Glass, October 2010, Munich / Germany
[2] A. Hagl, Experimental and Numerical Analysis of Edge Seal Spacers of Insulated Glass Units for Structural Sealant Glazing Applications, Challenging Glass Conference 3, June 2012, Delft, Netherlands
[3] A. Hagl, O. Dieterich, Edge Seal Spacer Analysis for Insulated Glass Units of Structural Sealant Glazing Applications, engineered transparency – International Conference at glasstec, Düsseldorf, Germany, October 2012
Die Autorin
Anneliese Hagl ist von der IHK München öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Glasbau sowie Geschäftsführerin der A. Hagl Ingenieurgesellschaft mbH und der Test+Ing-Material GmbH. Seit über 10 Jahren ist sie im Bereich Glas und Klebstoffe, Berechnung, Beratung und Materialprüfung tätig.