Bisher wird die Absturzsicherung über die Technischen Regeln für die Verwendung von linienförmig gelagerten Verglasungen (TRLV), die Technischen Regeln für die Bemessung und die Ausführung punktförmig gelagerter Verglasungen (TRPV) und die Technischen Regeln für absturzsichernde Verglasungen (TRAV) geregelt. Diese sollen nun durch die DIN 18008 „Glas im Bauwesen – Bemessungs- und Konstruktionsregeln“ ersetzt und zusammengefasst werden.
Teil 4 der Glasnorm (derzeit im Entwurf) behandelt die Konstruktion und die Nachweise für die Absturzsicherheit von Verglasungen. Dort wird der Anhang C der TRAV (Spannungswerte) künftig ersetzt durch ein vereinfachtes Rechenverfahren auf Basis einer statischen Ersatzlast.
Neben dem bisherigen prüftechnischen Nachweis mittels Pendelschlagversuch nach DIN EN 12600 ist auch ein vereinfachtes Berechnungsverfahren nach Anhang C2 und die volldynamische transiente FEM-Simulation nach Anhang C3 möglich. Derzeit werden die Einsprüche eingearbeitet; mit einer Fertigstellung der Norm ist bis 2015 zu rechnen. Dennoch ist es sinnvoll, sich bereits heute mit den Möglichkeiten des rechnerischen Nachweises zu beschäftigen. Anhand von Beispielen soll die Anwendung der E DIN 18008-4 vorgestellt werden, um Planern und Herstellern einen ersten Eindruck zu vermitteln.
Die neue Glasbaunorm ist dabei in weiten Teilen kompatibel zu den Prinzipien und Bezeichnungen der Eurocodes, die am 1. Juli 2012 in Deutschland bauaufsichtlich eingeführt wurden.
Nachweisverfahren
Der Anwendungsbereich der E DIN 18008-4 umfasst Verglasungen und Geländer mit Anforderungen an die Absturzsicherheit. Neben der Glasscheibe selbst sind die Befestigungen und das Gesamtsystem nachzuweisen. In Bezug auf den Nachweis absturzsichernder Verglasungen bietet auch die E DIN 18008-4 (Entwurf 2011-10) wie bisher ein einfaches Tabellenverfahren sowie die Möglichkeit des Bauteilversuchs mittels Pendelschlag (Anhang A der E DIN 18008-4). Dieser muss von einer bauaufsichtlich anerkannten Prüfstelle durchgeführt werden.
Der Pendelschlagversuch ist als Referenznachweis definiert und wird deshalb häufig von den Baubehörden verlangt. Insbesondere wenn der rechnerische Nachweis nicht möglich ist oder die Unterlagen für einen rechnerischen Nachweis nicht plausibel sind, ist ein Bauteilversuch eine schnelle und aussagefähige Möglichkeit, die Absturzsicherung nachzuweisen.
Neu ist der Nachweis durch eine dynamische FEM-Simulation. Die rechnerischen Verfahren sind auf bestimmte Lagerungsbedingungen und Kategorien beschränkt.
Simulationsverfahren erleichtern die Prüfung
Der rechnerische Nachweis mittels Simulationsprogrammen basiert auf der Finite-Elemente-Methode. Gerade bei der Produktentwicklung erlaubt dies eine einfache und kostengünstige Berechnung von Konstruktionsvarianten. Nachgewiesen wird in erster Linie die Leistungsfähigkeit der Glasscheibe. Der Rahmen und der Bauwerksanschluss sind nicht Gegenstand der Simulation. Die Glasbefestigung (Rahmen oder Punkthalter) sowie der Baukörperanschluss (beispielsweise über Dübel und Schweißung) muss separat über einen Bauteilversuch oder über eine baubehördlich anerkannte Berechnung mit bauaufsichtlich zugelassenen Komponenten nachgewiesen werden. Jedoch lässt sich mittels der „Kraftflusskette“ vom Stoßimpuls in der Scheibe bis zum Rahmen dabei auch die Belastung des Rahmens, der Rahmenbefestigung und der Bauteilanschlüsse bestimmen.
Für den baurechtlichen Nachweis der Absturzsicherung sind u.a. folgende Unterlagen erforderlich:
- Detailzeichnungen (1:1) mit vollständiger Bemaßung.
- Exakte Identifikation aller Komponenten wie Verbindungsmittel, Profile, Dichtungssysteme, Konstruktionen.
- Statik mit exakt im Plan verzeichneten Komponenten.
- Allgemeines bauaufsichtliches Zeugnis oder vergleichbare Nachweise der Einzelkomponenten; hierzu zählen auch Schweißverbindungen, die nachzuweisen sind, und für deren Ausführung der Verarbeiter den notwendigen Qualifikationsnachweis haben muss.
- Nachweise der Einzelelemente bei Zusatzanforderungen (z. B. Brandschutz).
Falls nicht alle Nachweise/Unterlagen in vollem Umfang vorgelegt werden können, lässt sich auch eine Bauteilprüfung mit Pendelschlag in Anlehnung an DIN EN 12600 objektbezogen auf der Baustelle durchführen.
Die Simulation des Pendelschlagversuchs durch eine volldynamische transiente (impulsartige) FEM-Simulation ist eine objektunabhängige Prüfung. Die verwendete Software für die FEM-Stoßsimulation muss vorab verifiziert werden. Das heißt, die simulierten Spannungsverläufe (Beschleunigungs-Zeit-Kurve des Pendels und Hauptzugspannungs-Zeit-Kurve der Glasscheibe) der betreffenden Software stimmen mit den normativen Kurvenverläufen überein und überschreiten den vorgegebenen Toleranzbereich nicht.
Die Grundlage für die Verifizierung der Software ist der Vergleich der Simulationsergebnisse mit realen Pendelschlagversuchen. Hier sind die Softwarehersteller gefordert, diesen Nachweis in Zusammenarbeit mit anerkannten Prüfstellen und neutralen Instituten zu bringen.
Das ift Rosenheim hat deshalb zusammen mit der Hochschule Rosenheim ein Forschungsprojekt gestartet, um ein Verfahren zur Verifizierung solcher Softwareprodukte zu entwickeln. Geklärt werden soll, welchen Einfluss die Parametereinstellungen, Modellierung des Pendels und der Glasscheibe auf die Verifizierungskurven der Software haben. Gleichzeitig soll die Anwendungssicherheit und Reproduzierbarkeit der Simulationsprüfungen bewertet werden.
Eine wichtige Forderung des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) und des DIN-Gremiums ist, dass die Simulationsrechnungen auch von „normalen“ Anwendern durchgeführt werden können und nicht Simulationsexperten vorbehalten bleiben. Dies bedeutet, dass eine Fehlbedienung weitgehend ausgeschlossen sein muss, und der Softwareproduzent dies durch ein Qualitätsmanagement sicherstellen muss.
Für die Softwarenutzung ist für den wenig geübten Anwender nur eine Vordimensionierung möglich. Für einen baurechtlich relevanten Nachweis ist die Anerkennung der Sachkunde des Ingenieurs durch die Baubehörde notwendig. Denn dies setzt vertiefte Theoriekenntnisse in der Statik, das Verständnis nicht linearer Berechnungen und eine mehrjährige Erfahrung mit FEM-Berechnungen voraus. Außerdem sind der Nachweis der vollständigen Kraftflusskette sowie die Verifizierung der Software notwendig.
Da dieses Verfahren noch nicht definiert ist, kann eine Simulation derzeit nur als Vordimensionierung herangezogen werden. Erst mit dem bauaufsichtlich anerkannten Nachweis kann ein Simulationsergebnis von der Baubehörde anerkannt werden. Am ift Rosenheim laufen derzeit Untersuchungen zur Anwendung und Verifizierung von Softwareprodukten und ein Abgleich der Simulationsergebnisse mit Realversuchen.—
Der Autor
Der Bauingenieur Harald W. Krewinkel ist als Produktingenieur am ift Rosenheim (Bereich Halbzeuge & Baustoffe) tätig.