Wie beurteilen die Baubeteiligten den Stand der Digitalisierung bei der Fassadenplanung? Gab es einen Corona-bedingten Innovationsschub? Und: Wo treten in der Praxis der digitalen Planung noch Probleme auf? Um all diese Fragen drehte sich der 5. Fachdialog Fassadenplanung im NEXT Studio by Wicona + Partners am 30. September 2021.
Bei der ersten Präsenzveranstaltung berichteten Experten aus Architektur, Planung, Generalunternehmen und Software von ihren Erfahrungen und nutzten im Anschluss die Möglichkeit zum Networking mit den anwesenden Entscheidern aus der Fassadenbranche.
„Digitize or die“ – eine Warnung an die Bauwirtschaft
Den Start machte Jochen M. Wilms. Der Founder der Venture Capital Gesellschaft „W Ventures“ beleuchtete in seiner Key-Note „Digitize or die“ den weltweiten Digitalisierungstrend und führte den Anwesenden anschaulich vor Augen, wie sehr die Weltwirtschaft im Wandel ist und bereits jetzt von Digital-Giganten wie Google, Facebook & Co. dominiert wird. 40 % der führenden Unternehmen werde es in zehn Jahren nicht mehr geben, so Wilms.
Und weiter: „Sehen Sie sich vor: Alles, was digitalisiert werden kann, wird in den nächsten Jahren digitalisiert. Das kann und wird auch Ihr Tätigkeitsfeld betreffen.“
Vor diesem Hintergrund müsse gerade die Bauwirtschaft – diese liege im Digitalisierungs-Ranking auf einem „Abstiegsplatz“ – dringend aufholen, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.
Das Erfolgsrezept dazu seien kooperative Plattformen aller Anbieter, die Leistungen der gesamten Wertschöpfungskette von der Planung über die Fertigung bis zur Umsetzung sowie sämtliche Services abdecken.
Abschließend appellierte Jochen M. Wilms: „Denken Sie über Digitalisierung und Plattformen nachund fassen Sie den Mut, Bekanntes zu verabschieden und auf neue Technologien und Arbeitsweisen zu setzen.“
BIM als „Medizin“ für eine erfolgreiche Fassaden-Zukunft?
Im Anschluss referierte Regine Saunders, Head of BIM bei gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner (Hamburg), über „BIM als Standard im Planungsprozess“ und stellte gleich klar: „BIM ist 3D-unterstütztes, daten- und bauteilbasiertes Planen. Dies folgert eine Veränderung der bisher bekannten Arbeitsprozesse für alle Beteiligten.“
BIM heiße, dass alle Beteiligten in einem zentralen Modell arbeiten können und alle Daten jederzeit für alle verfügbar seien. Die Möglichkeit der modellbasierten Überprüfung der Planung diene der Qualitätssicherung und Fehlervermeidung – jeder Schritt sei steuerbar.
Probleme sieht die Expertin derzeit noch beim sehr hohen Abstimmungsbedarf und beim Arbeiten mit unterschiedlichen Datenformaten. Auch die Übergänge in die jeweils nächste Projektphase seien oft nicht klar definiert und daher schwierig. Die Digitalisierung erfordere eine prozessorientierte Arbeitsweise und die Bereitschaft, ständig das eigene Handeln zu überprüfen und zu hinterfragen. Wenn dies verinnerlicht werde, biete BIM riesige Potenziale. Regine Saunders: „BIM ist unsere Medizin, um uns fit für die Zukunft zu machen.“
Fassadentracking für mehr Sicherheit und Qualität
Hochinteressante Einblicke in die digitale Planung bei einem Generalunternehmen gewährte Ines Angele, BIM Koordinatorin und Fachprojektleiterin Fassadentechnik bei Ed. Züblin (Stuttgart). Dabei skizzierte die Spezialistin insbesondere den bei Züblin entwickelten BIM-Arbeitsprozess und die konkreten Anwendungsfälle im Projektverlauf – unter anderem Mengenermittlung, Erstellung von Listen und Positionsplänen, Planableitung und Visualisierung sowie die bauphysikalische Prüfung.
Besonders hervorzuheben: Das „Fassadentracking“. Der eigens entwickelte und komplett digitalisierte Prozess ermöglicht – zum Beispieldurch die RFID-Integration in jedes Bauteil – eine jederzeitige Nachverfolgbarkeit sowie eine direkte Rückkopplung zum Status des Bauvorhabens. Ines Angele: „Wir erhöhen so die Prozesssicherheit und Qualität deutlich und das ist ja auch grundsätzlich der Sinn von BIM: Fehler verhindern und Baukosten reduzieren.“
Das Große und Ganze im Blick: Zoom in – Zoom out
Architektin und Fassadenplanerin Steffi Neubert (Direktorin Emmer Pfenninger Partner AG) berichtete zunächst über ihre Erfahrungen mit der Digitalisierung im Projektgeschäft während der Corona-Zeit. Von der Durchführung von Videokonferenzen über die komplette Digitalisierung des Ablagesystems bis hin zur Kommunikation schilderte sie anhand anschaulicher Beispiele Vor- und Nachteile digitalisierter Prozesse.
Im Anschluss erläuterte die Referentin anhand komplexer (Fassaden-)Projekten wie dem doppelter Hochhausturm„The Link" den Einsatz von BIM in dem Schweizer Planungsbüro. Schon ganz zu Beginn der Planung müssten mit BIM viel mehr Entscheidungen getroffen werden, die Detailplanung verschiebe sich immer mehr an den Anfang des Projekts. Hier müsse man immer wieder mal die Detailversessenheit vergessen, einen Schritt zurücktreten und das Große und Ganze im Blick behalten, so Steffi Neubert. Ganz nach dem Motto: „Zoom in – Zoom out.“
So macht BIM auch Spaß
Zum Abschluss dreht sich bei Henning Wagner, Senior Product Marketing Manager CAD-Plan, alles um das Thema „BIM als Informationszusammenführung“. Die zentralen Fragen dabei: Welche Informationen müssen die unterschiedlichen Baubeteiligten zu welchem Zeitpunkt des Projektes haben? Und in welcher Detailierungsgrad („Level of Information“) müssen diese Daten jeweils vorliegen?
Der Tipp des Software-Experten an die Anwesenden: „Deklarieren Sie nur das, was gefordert ist und nicht das, was der Hersteller alles liefert.“ Auch komme es auf die enge Abstimmung und Zusammenarbeit der Beteiligten an. Ziel müsse es für alle sein, die im BIM-Modell hinterlegten Datenmengen so schlank wie möglich zu halten.
Oft mache es Sinn, zunächst im Modell eine Musterfassade zu bauen und diese abzustimmen. So ließen sich Aufwand und Datenmengen deutlich reduzieren – und letztendlich könne BIM dann auch richtig Spaß machen.