GLASWELT: Sehr geehrter Herr Frank, können Sie uns kurz schildern, wie sich die wirtschaftliche Ausgangssituation Ihres Unternehmens vor Corona darstellt, d. h. wie 2019 für Siegenia gelaufen ist und wie sich der Start von Siegenia ins Jahr 2020 gestaltet hat?
Wieland Frank: Siegenia blickt auf ein insgesamt erfolgreiches Jahr 2019 zurück. Unsere Umsatzentwicklung war von einer guten konjunkturellen Grundstimmung in fast allen Verkaufsregionen getragen. Wir haben diese durch den Ausbau unserer Kundenbeziehungen und die konsequente Verfolgung unserer Ziele erfolgreich genutzt. Das positive Gesamtwachstum von Siegenia ist selbst bei der guten Marktverfassung nicht selbstverständlich. Auch die Vorbereitung und Umsetzung der Investitionen in die neue Kunststoffspritzgussfertigung hat Signalwirkung: Wir sind aus einer guten Position in das Jahr 2020 gestartet.
GLASWELT: Die ganze Welt sieht sich binnen weniger Monate in einer ganz anderen Situation und Verfassung. Wir alle haben uns kaum vorstellen können, dass eine so bedeutende Messe wie die FRONTALE einmal ausfallen/verschoben wird. Welche Ziele hätten Sie mit der Messepräsentation verfolgt, was wären die Highlights auf dem Siegenia -Stand gewesen?
Wieland Frank: Im Fokus unseres Messeauftritts stand der smarte Raumkomfort und damit die spannende Schnittstelle, wo Innovation nicht Selbstzweck ist, sondern Lebensqualität. Smart Home wird kommen, und es wird das Leben in Räumen viel komfortabler machen – nicht disruptiv, sondern Schritt für Schritt. Als Unternehmen verfolgen wir in diesem Marktumfeld eine klare Vision: Siegenia wird der Systempartner für Raumkomfort! Anhand ausgewählter Beispiele zeigte unser Standkonzept für die FENSTERBAU 2020 auf, dass Raumkomfort noch nie so smart war wie heute. Weiterhin war zu sehen, wo überall bei Siegenia „Digitales“ bereits Einzug gehalten hat. Auch unsere Prozesse und Services werden immer smarter – zum Nutzen unserer Kunden. Unsere digitalen Tools werden wir uns nun auch für Markteinführung und Kommunikation zu den neuen Raumkomfort-Lösungen zunutze machen. Wir arbeiten derzeit u. a. an der Vorbereitung innovativer Webinare sowie der Einführung von E-Learning-Modulen für den Wissenstransfer.
GLASWELT: Ist die Produktionsfähigkeit bei Siegenia gesichert? Werden Fensterhersteller auch in den nächsten Wochen umfassend mit Beschlagkomponenten beliefert oder gibt es bereits erste Engpässe?
Wieland Frank: Neben dem Schutz von Mitarbeitenden und deren Angehörigen gilt unser Fokus dem Bemühen darum, unsere Geschäftspartner in der Aufrechterhaltung ihrer Geschäfte bestmöglich zu unterstützen. Wir nehmen kontinuierlich genaue Einschätzungen der Situation vor und gleichen unsere Maßnahmen und Abläufe täglich ab. Mit einem Exportanteil von rund 70 Prozent ist die Frage natürlich differenziert zu betrachten. In Ländern wie Deutschland ist die Situation aktuell noch unbeeinträchtigt. Auch die Nachfrage ist bislang ungebrochen. Andere Regionen hingegen befinden sich im Shutdown; die Geschäfte und/oder das Transportwesen sind davon unmittelbar betroffen. Sämtliche Situationen erfassen wir fortlaufend in engem Austausch mit unseren Kunden, um den unterschiedlichen Situationen und Bedarfslagen bestmöglich gerecht zu werden.
Auf mögliche Personalausfälle in unserer eigenen Produktion sind wir vorbereitet und reagieren im Bedarfsfall flexibel über die Anpassung unserer Schichtmodelle, um eventuelle Ausfälle auszugleichen. Wir sind uns unserer Verantwortung zur bestmöglichen Sicherstellung des Fertigungsbetriebs bewusst und nehmen diese Aufgabe sehr ernst. Für die Bereiche Management und IT liegen ebenfalls Notfallpläne bereit. Sie beinhalten u. a. die dezentrale Steuerung der Systeme.
GLASWELT: Wie ist die Situation bei Ihren Lieferanten? Werden Sie noch hinreichend mit Rohmaterialien versorgt?
Wieland Frank: Zur Sicherstellung der Lieferkette stehen wir in kontinuierlichem Kontakt mit unseren Lieferanten und Logistikdienstleistern. Notfallpläne auf beiden Seiten und angepasste Verfahrensanweisungen und Abläufe wurden erarbeitet, um Ausfallrisiken zu minimieren. Die Dynamik der aktuellen Situation ist uns jedoch allen bewusst. Sollte demnach dennoch erkennbar werden, dass es hier zu Schwierigkeiten kommt, informieren wir unsere Kunden proaktiv. Erfreulich ist aus unserer Sicht, dass bei unseren Lieferanten in China derzeit eine Entspannung der Situation zu verzeichnen ist und sie ihre Lieferungen an uns wieder aufgenommen haben.
GLASWELT: Wie beurteilen Sie den wirtschaftlichen Ausblick für Siegenia und für die Branche?
Wieland Frank: Schon jetzt belastet das Coronavirus die deutsche und internationale Wirtschaft enorm. Zweifelsohne handelt es sich um eine neue, bisher nicht erlebte Herausforderung, deren kurz-, mittel- und langfristige Folgen noch nicht abzusehen sind. Die Konjunkturerwartungen der Finanzexperten sind demzufolge stark eingebrochen; der Indikator des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit Ende 2011. Davon wird auch die Baubranche nicht unberührt bleiben, doch um hier eine Prognose zu machen, fehlt jeglicher Benchmark mit einer vergleichbaren Situation. China hat es geschafft, die Krise innerhalb von drei Monaten zu durchlaufen. Ob sich dies in Europa ähnlich verhält und was zurückbleibt, dazu können wir nur mutmaßen. In Ländern mit Ausgangssperren haben auch Branchenbetriebe vorübergehend ihre Pforten geschlossen – das betrifft uns alle.
Nicht realistisch einzuschätzen ist momentan zudem, wie sich der Ausbruch des Coronavirus auf die mittelfristige Nachfrage von Endanwendern auswirken wird. Wir rechnen hier mit einem deutlichen Rückgang der Nachfrage. Beides wird sich insbesondere im 2. Quartal kumulieren und auf die Absätze der gesamten Branche niederschlagen. Wir sind aber auch der Hoffnung, dass wir in Europa den Tiefpunkt der Krise in den kommenden Wochen erreichen und es danach wieder aufwärts geht.
GLASWELT: Vielen Dank für Ihre aufschlussreichen und umfangreichen Antworten, Herr Frank!