Die Erwartungen waren groß – hatte beispielsweise VFF-Präsident Helmut Meeth vor einem Jahr in Bezug auf den Jahreskongress noch davon gesprochen, dass der Verband eine „Granate präsentieren“ werde, die letztendlich jeden dazu bewegt zu sagen, ich fahre nach Berlin!“ Und tatsächlich: Die Anmeldeliste war zu lang, eine Warteliste wurde eingerichtet.
Meeth versprach auch: „Es müsse eine Networking-Veranstaltung werden, die ihresgleichen suche.“ Und auch hier kann vorweggenommen werden: Da hat er nicht zu viel versprochen. Denn: Erstmals in der VFF Inside-Geschichte öffnete sich der Verband auch für Sponsoren-Aktivitäten. So wurde im Kongresshotel ein gewisser Messecharakter etabliert, 21 Unternehmen und Partner förderten mit ihren Ausstellungen den Dialog untereinander, die Pausen wurden rege für den Austausch genutzt.
Auch die Abendveranstaltung trug dazu bei, dass die Branche wieder zusammenwächst und miteinander redet, anstatt voneinander zu lesen oder zu hören – einzig die Tatsache, dass durch die Sitzordnung ein „Bäumchen wechsel dich“ eher behindert wurde, war diesem Wunsch nicht förderlich. Aber es gab ja auch die Zeiten nach dem Dinner…
Gesprächsstoff Mangelwirtschaft
Was den Gesprächsbedarf angeht, den gab es reichlich in Berlin – schließlich muss die Branche bei hohen Auftragseingängen aktuell einen Mangel bei den Zulieferteilen verwalten. VFF-Geschäftsführer Frank Lange: „Das wird für Wachstumsbremsen sorgen.“ Dennoch zeige sich die Branche robust und erfolgreich, die angepeilten 15,3 Mio. verkauften Fenstereinheiten seien immer noch realistisch, so VFF Präsident Meeth.
In seiner Eröffnung und auch in der vorher stattfindenden Pressekonferenz forderte Meeth eine stabile schnelle Regierungsbildung, die den Klimaschutz auch wirklich anpacken werde.
Dazu Geschäftsführer Frank Lange: „Klimaschutz kann auch Spaß machen, das sind erfolgversprechende Aussichten für die Branche.“ Meeth skizzierte aber auch, dass in allen Bereichen das Personal fehlen würde – bei den Herstellern genauso wie auf der Baustelle. Was den Verband selbst angehe, so glaubt er diesen auf den richtigen Weg, „gerade was die Digitalisierung angeht“.
Digitalisierung mit Stolpersteinen
Apropos Digitalisierung: Das war das bestimmende Thema am ersten Kongresstag. Einen tiefen Einblick in die Produktionsabläufe gewährte dann auch Meeth selbst in Vertretung von Markus Jungbluth. Der Leiter IT & Geschäftsprozessmanagement bei Helmut Meeth arbeitete die Digitalisierungsagenda beim Wittlicher Fensterbauer ab: Von der Einführung des ersten EDV-Systems bis hin zu den aktuellen Themen der Digitalisierung: Auf der Agenda stehen „Cloudwindow“, digitales Ausbildungsmanagement, Data
Mining und die KI-basierte Qualitätsprüfung der Isolierglasscheiben. Auch wagte dieser einen Ausblick, was denn noch kommen könnte: Ganze Produktionsanlagen kooperierender Fensterbauer könnten miteinander vernetzt werden und ihre Auslastung dadurch noch weiter steigern.
Für den digitalen Hintergrund sorgte im Anschluss Felix Dossmann. Er begleitet Unternehmen in und durch den digitalen Wandel mit dem Ziel, nachhaltig zu wachsen. Dabei gehe es nicht um den Einsatz einiger Tools, um hier und da Prozesse zu optimieren. Sondern es gehe „um die tragfähige Transformation, die auf einer ganzheitlichen Unternehmenskultur und einem professionellen Innovationsmanagement beruhen.“ Dossmann beendete seinen Blick in die digitale Gegenwart und ihre Zukunft, die schon begonnen hat, mit all den Chancen und Risiken, die diese Entwicklungen hinsichtlich wachsender Freiheit und Unfreiheit (wie Überwachung oder Entmündigung) bieten.
Noch eines drauf setzte der Internetexperte, Publizist und Vortragsredner Sascha Lobo. Er zeigte auf, in welchem katastrophalen Zustand sich unser Land befindet, wenn es um das Thema Digitalisierung geht. Und er reicherte seinen Beitrag mit überraschenden Fakten an. Beispielsweise, dass Berlin sogar einen dämpfenden Effekt von 0,2 Prozent auf das Pro-Kopf-Einkommen der gesamten Bundesrepublik hat – der ohne den Länderfinanzausgleich und die spezielle Hauptstadtförderung des Bundes noch größer ausfiele. Freilich: Berlins untergeordnete wirtschaftliche Rolle ist typisch für Deutschland: Sie ist Ausdruck des föderalistischen Geschäftsmodells, schließlich ist der Mittelstand gerade auch in ländlichen Regionen stark, was man auch an den Standorten der Fensterhersteller erkennen kann. Zum Abschluss zitierte Lobo sich selbst: Fragt nicht, was digitalisiert werden muss, fragt, was nicht digitalisiert werden darf – und den Rest digitalisiert!
Klimawandel ist wie Asteroideneinschlag in Superzeitlupe
Fernseh-Wetterexperte Sven Plöger demonstrierte am zweiten Kongresstag, dass er mehr kann als Regenschauer für übermorgen zu prognostizieren – er lieferte einen perfekten Background in Sachen menschengemachten Klimawandel und auch er erkennt: „Wir haben mit Gebäuden und Fassaden einen wichtigen Bereich, an dem sich die Wetterauswirkungen besonders bemerkbar machen.“
Unbestreitbar ist, dass durch den Klimawandel das Hochwasser wie es im Ahrtal vorkam, 1,2-bis 9-mal wahrscheinlicher werde. Und „dass in Frankfurt die 45 °C in den nächsten Jahrzehnten erreicht werden, halte ich für sehr wahrscheinlich.“ Klimafolgenforscher warnen: 10-jährige Dürren werden auch bei uns am Ende des Jahrhunderts gewöhnlich sein.
Plöger: „Wir wollen unseren Alltag, unsere Normalität zurück – aber was ist Normalität? Ich wünsche mir, dass die Politik begreift, wie besorgniserregend die Lage ist.“ Vom Thema Klimawandel und die Folgen sei im Wahlkampf jedenfalls nicht viel zu hören gewesen.
Um auf die Frage zurückzukommen, ob wir das 1,5-Grad-Ziel noch schaffen: „Die Maßnahmen, um das noch zu schaffen, müssten tatsächlich radikal sein.“ Dabei spiele jeder einzelne eine Rolle im Klimawandel, aber jeder einzelne will sein Verhalten auch nicht gravierend ändern. „Man findet Lösungen bzw. Ausreden für sich selber. Und dann sitzen sie doch wieder alle im Flugzeug.“ Leider stellen sich die Rahmenbedingungen noch nicht so dar, dass derjenige mehr Geld verdienen kann, der die Welt weniger verschmutzt. Außerdem besteht das Problem, dass der Klimawandel sich so abzeichnet, wie ein Asteroideneinschlag in Superzeitlupe.
Er beendete seinen eindringlichen Vortrag mit einem nachdenklichen Witz: „Treffen sich zwei Erden, sagt die eine: Ich habe Homo Sapiens. Sagt die andere: Das ist nicht so schlimm, das geht vorüber.“
Welche Gebäudekonzepte sind zukunftsfähig?
Beteiligte eines Politik-Dialogs gingen der Frage nach, welche Rolle die transparente Gebäudehülle in der Klimapolitik tragen soll. Wie können die ambitionierten Klimaziele im Gebäudesektor erreichbar bleiben? Was sollte die nächste Regierung tun, um die dringend benötigte Renovierungswelle anzuschieben? Worauf sollten sich die Unternehmen einstellen? Welche Gebäudekonzepte sind zukunftsfähig? Unter der Leitung von Moderator Thomas Drinkuth, Repräsentanz Transparente Gebäudehülle RTG, diskutierten Ulrich Benterbusch (stellv. Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie), Axel Gedaschko (Präsident Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) sowie Holger Lösch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Menschen möchten kein Smarthome? Kann das sein?
Dabei wurde allerdings auch deutlich, dass die Vorstellungen und Ideen zur Weiterentwicklung des Gebäudebestands und des Neubaus völlig unterschiedlich bewertet werden. Einerseits forderte Gedaschko effizientere Maßnahmen für die Gebäudeeffizienz: „Wir reden immer über das Gebäude und der Mensch ist der entscheidende Faktor, um das Gebäude richtig zu steuern. Deshalb müssen wir über den Menschen reden. Die CO2-Bepreisung muss deshalb den Nutzer – genauso wie den Investor – adressieren.“ Gedaschko und seine Verbandsmitglieder würden dabei Nutzer unterstützende Technologien favorisieren. Überraschend konträr fiel in dem Punkt die Antwort des Industrievertreters – und somit auch der Heizungsindustrie – aus: Lösch erteilte einem Smart Building und möglichen Effizienzsprüngen durch ein Smarthome eine Absage. Die Menschen würden sich nicht vorschreiben lassen, wie sie zu heizen hätten und wären auch nicht bereit dazu, sodass die Technik im Sinne einer energieeffizienteren Wohnungsnutzung nicht greifen könne. Er halte es für schwierig, dass ein Zusammenhang zwischen Fensterlüftung und Heizung regulatorisch festgeschrieben werde.
Helmut Meeth am Ende der Veranstaltung: „Der nächste Kongress des VFF findet am 15. und 16. September 2022 in Düsseldorf statt. Schon jetzt sollte man sich diesen Termin im Kalender eintragen.“ Angesichts der guten Stimmung in Berlin und einer Warteliste bei den Anmeldungen gibt er zugleich auch die Marschrichtung für 2022 bekannt. „Das Hotel hat genügend Kapazität – wenn wir 400 Teilnehmer sehen im nächsten Jahr, wäre das der Hammer!“
Gut gelaunte Gesichter auf dem Branchen-Meeting
Tolle Location, interessante Vorträge und beste Gelegenheiten für den Austausch untereinander! Der VFF hat vieles richtig gemacht in Bezug auf seinen Jahreskongress, ich freue mich schon auf ein Wiedersehen in Düsseldorf!