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Unzulässige Türschwellen im Landtag von Baden-Württemberg

Prominente Stolperkanten im Land des Nullschwellen-Runderlasses

Seit 2015 fordert der Nullschwellen-Runderlass vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg (BW) Nullschwellen innerhalb des barrierefreien Bauens. Trotzdem wurden im Bürger- und Medienzentrum des Landtags BW in Stuttgart, das 2017 eröffnet wurde, unzulässige rund 1,5 cm hohe Türanschlagdichtungen verbaut. Bis heute gibt es noch keine Antwort auf die Frage, weshalb im eigenen Landtag der landeseigene Nullschwellen-Runderlass nicht umgesetzt wurde. Denn nicht nur dieser fordert Nullschwellen. Auch normativ betrachtet sind Nullschwellen sogar als Regelfall aufzufassen, und das nicht nur laut der Nullschwellen-Stellungnahme vom Arbeitsausschuss der Norm für Barrierefreiheit (DIN 18040) bereits aus dem Jahr 2013, sondern auch nach der in diesem Kontext viel zitierten Norm für Bauwerksabdichtung (DIN 18531-1 und 18531-5).

Die baden-württembergische Nullschwellen-Petition, die 2018 aufgrund der ungenügenden Umsetzung des Nullschwellen-Runderlasses entstanden ist, wird bis heute vom Petitionsausschuss im Landtag geprüft. Obwohl Nullschwellen durch diesen Erlass von der obersten Baurechtsbehörde BW mittlerweile schon seit über 5 Jahren an vielen barrierefreien Außentüren in öffentlichen Gebäuden und im Wohnungsbau vorgeschrieben sind, werden bis heute trotzdem 1 – 2 cm hohe Türanschlagdichtungen verbaut.

Brigitte (†) und Frieder Seiferheld müssen beim Überfahren der gefährlichen Schwelle nach unten schauen, um einen Unfall zu verhindern.

Foto: Ulrike Jocham/ALUMAT

Brigitte (†) und Frieder Seiferheld müssen beim Überfahren der gefährlichen Schwelle nach unten schauen, um einen Unfall zu verhindern.

Der Besuch im Landtag

Im Rahmen dieser bis heute laufenden Nullschwellen-Petition konnte ich gemeinsam mit Brigitte (†) und Frieder Seiferheld von der Fördergemeinschaft der Querschnittsgelähmten in Deutschland e.V. am 03.02.2020 die Bürgersprechstunde des Petitionsausschusses im Bürger- und Kongresszentrum des Landtags besuchen. Die laut Nullschwellen-Runderlass unzulässige und in einem scharfen 90-Gradwinkel ausgebildete rund 1,5 cm hohe Türanschlagdichtung an der Eingangs- und an der Ausgangstür, wurde von den Seiferhelds bei diesem Besuch nicht nur hinderlich, sondern gefährlich erlebt.

„Wir mussten beide beim Überfahren nach unten auf die Schwelle schauen und uns konzentrieren, dass beim Überfahren dieser Barriere kein Unfall passiert“, berichtet Frieder Seiferheld. „Gerade bei Rollstühlen mit kleinen Vorderrädern, die viel stärker auf kleine Türschwellen reagieren, kann es leicht passieren, dass Rollstuhlnutzer aus dem Rollstuhl fallen“, erklärt Frieder Seiferheld.

Über diese unzulässige Gefahr und Ausgrenzung für Menschen mit Behinderung und ältere Menschen wurde der Ministerpräsident Winfried Kretschmann 2018 in einem Schreiben informiert, indem auch eine weitere Perspektive von Corinne Mennillo als Expertin in eigener Sache dargelegt wurde: „Ich wollte mit einer Freundin das neue Besucher- und Kongresszentrum in unserem Landtag besuchen. Sogar am Eingang für Menschen mit Behinderung führte eine Türschwelle dazu, dass meine Freundin drei Anläufe mit mir und meinem Rollstuhl benötigte, um über diese hinderliche Türschwelle zu gelangen. Auch bei kleinen Türschwellen muss der Rollstuhl immer genau im rechten Winkel zu Schwelle positioniert sein und ich stehe bei solchen gefährlichen Schwellen immer unter Gefahr, aus dem Rollstuhl zu fallen, was für mich und meine Gesundheit eine Katastrophe bedeuten würde.“

Vom Ministerpräsidenten Kretschmann gibt es bis heute noch keine Antwort. Die technisch unbegründbaren Türanschlagdichtungen im Landtag und in den zwei Pflegeimmobilien der Nullschwellen-Petition lassen vermuten, dass der Nullschwellen-Runderlass vom zuständigen Verkehrs- und Wirtschaftsministerium ungenügend bekannt gemacht wurde.

Nullschwellen sind der normative Regelfall

Der Arbeitsausschuss der DIN 18040 erklärt in einer Nullschwellen-Stellungnahme aus 2013 Nullschwellen als den Regelfall und jede Türschwelle mit einer Höhe von bis zu 2 cm als Ausnahmefall im von einem Sachverständigen zu begründenden Einzelfall. Die DIN 18040 gilt nicht nur als anerkannte Regel der Technik. Sie ist an dieser Stelle in den meisten Bundesländern bauordnungsrechtlich eingeführt und dadurch zusätzlich bindend.

Erfahrungsgemäß wird die Norm für Bauwerks­abdichtung, die ebenfalls zu den anerkannten Regeln der Technik zählt, so ausgelegt, dass eine Nullschwelle an einer Außentür ein Sonderfall sein soll und deshalb gegen diese anerkannte Regel der Technik verstoße.

Doch stimmt diese Annahme? Das DIN e.V. ist laut dem Vertrag mit der Bundesregierung als verantwortliche Normenorganisation für die Veröffentlichung von DIN-Normen zuständig. Diesem Vertrag liegt die DIN 820, die Norm für Normungsgrundsätze zu Grunde, die u. a. fordert, dass Normen widerspruchsfrei und nicht im Widerspruch zu Rechts- und Verwaltungsvorschriften stehen dürfen. Die Frage, ob eine Norm eine Lösung als Regelfall oder als Sonderfall zuordnet, kann demnach nur das DIN e.V. klären. Dieses erklärt auf Anfrage bereits 2018, dass niveaugleiche Übergänge mit unterschiedlichen Maßnahmen zuverlässig hergestellt werden könnten.

Die Formulierung Sonderkonstruktion solle die Baubeteiligten sensibilisieren, besondere Sorgfalt bei Planung und Ausführung walten zu lassen. „Die Norm schließt daher niveaugleiche Schwellen nicht aus, im Gegenteil, durch ihre Benennung sind sie als Regelfall aufzufassen (…).“

Ulrike Jocham

So würde es besser sein: Die Magnet-Nullschwelle erweist sich seit vielen Jahren als absolut dicht und systemsicher.

Foto: Ulrike Jocham/ALUMAT

So würde es besser sein: Die Magnet-Nullschwelle erweist sich seit vielen Jahren als absolut dicht und systemsicher.

Türschwellen-Rückbauten in Öhringen

In einer betreuten Seniorenwohnanlage (Betreutes Wohnen) in Öhringen, das 2019 eröffnet wurde, mussten bereits die ersten unzulässigen rund 2 cm hohen Türanschlagdichtungen aufgrund des Nullschwellen-Runderlasses und der Null­schwellen-Stellungnahme zurückgebaut werden.

„Als Käufer einer Seniorenwohnung in dieser betreuten Wohnanlage habe ich Interesse an der Immobilienwerterhaltung und einer sicheren Nutzbarkeit für die Mieter“, betont Werner Frenz und berichtet: „In dem interdisziplinären Nullschwellen-Seminar von der Frau Nullschwelle im November 2018 wurde ich umfassend über technische, wirtschaftliche, normativ-rechtliche sowie mensch­liche und ergonomische Anforderungen zum Thema Nullschwellen an Außentüren informiert.“

Wie schwierig Türschwellen für Rollstuhl- und Rollatornutzer sein können, kenne er aus seinem privaten Umfeld. „Uns wurde diese Wohnung als barrierefrei ver­kauft, obwohl die rund 2 cm hohen Türschwellen zum Balkon nach der Norm für Barrierefreiheit nicht barrierefrei sind.“ Deshalb habe er eine weitere Petition wegen dieser gefährlichen Barrieren in einem Gebäude, das ausschließlich für ältere Menschen gebaut wurde, im Petitionsausschuss im Landtag von Baden-Württemberg eingereicht.

Diese führte dazu, dass in Öhringen der Nullschwellen-Runderlass, die Null­schwellen-Stellungnahme und die seit über 20 Jahren schon vorhandenen barrierefreien Magnet-Nullschwellen auch von der Stadtverwaltung wahrge­nommen und diskutiert wurden. „Die Türschwelle an der Eingangstür, die zu 18 Seniorenwohnungen führt, musste mittlerweile schon zurückgebaut und mit einer Nullschwellen-Dichtung ersetzt werden.“

Auch Dieter Müller (Name geändert, Bestätigung liegt der Autorin vor), ein anderer Nutzer dieser betreuten Wohnanlage berichtet von weiteren Türschwellen-Rückbauten: „Die rund 2 cm hohen Türschwellen in den Zugangstüren zum Café und zur Arztpraxis mussten ebenfalls zurückgebaut werden. Jetzt ist es wesentlich besser, insbesondere für Nutzer von Rollstühlen und Rollatoren.“

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