Allerspätestens seit der Nullschwellen-Stellungnahme vom Arbeitsausschuss der Norm für barrierefreies Bauen aus 2013 wurde der Bau von 1 - 2 cm hohen Türanschlagdichtungen für unzulässig erklärt. Die Norm 18040 gilt nicht nur als anerkannte Regel der Technik, sie ist in Verwaltungsvorschriften der technischen Baubestimmungen in unterschiedlichem Umfang auf Länderebene eingeführt und wird dadurch bindend. Doch Nullschwellen waren auch bei den Vorgängernormen (DIN 18024-2, 18025-1 und -2) gefordert. Alle Türen durften schon damals, nur wenn technisch unbedingt erforderlich, 2 cm hohe Ausnahmen aufweisen. Doch diese Erforderlichkeit gibt es seit der Technik der Magnet-Nullschwelle insbesondere im Neubau weder für Eingangs- noch für Terrassen- und Balkontüren. Die DIN 18024-2 (Ausgabe November 1996) wurde 1997 neben der DIN 18025-1 und -2 (Ausgabe Dezember 1992) in die Liste der technischen Baubestimmungen Baden-Württemberg eingeführt.
Das bedeutet: Allein in BW sind Nullschwellen schon seit 1997 an zahlreichen Außentüren bauordnungsrechtlich vorgeschrieben. Und nicht nur das, echte Barrierefreiheit wird von immer mehr Bürgern dringend benötigt, doch Angebote fehlen erfahrungsgemäß bundesweit. Das steigert die Gefahr, dass immer mehr das gesetzlich Vorgeschriebene auch rückwirkend einfordern.
LBO BW: Einhaltung wird verlangt
Gernot Wolfgang, 1. Vorsitzende von Lebensraum für alle e.V. aus Freiburg, kann bereits Erfolge für mehr Barrierefreiheit vorweisen: „Durch meine Wohnberatungen konnte ich erreichen, dass Mieter, die beinahe gegen ihren Willen in ein Heim hätten umziehen müssen, durch den Abbau von Barrieren in ihren Wohnungen bleiben konnten.“ Doch laut Wolfgang weisen nicht nur Altbauwohnungen Barrieren auf. „Nach Besichtigung einer neuen, angeblich barrierefreien Wohnung der ‚Freiburger Stadtbau‘, müssen wir davon ausgehen, dass allein dieses Unternehmen seit Jahren keine barrierefreien Wohnungen gebaut hat.“ In der Neubauwohnung konnte der engagierte Wohnberater zumindest einige Barriere-Rückbauten für eine Rollstuhlnutzerin erwirken. „Damit die Dame überhaupt den Balkon nutzen konnte, habe ich es erreicht, dass bei zwei Balkontüren die rund 2 cm hohen Türschwellen durch Magnet-Nullschwellen ersetzt wurden.“ Allerdings waren dafür neue Türen und die Aufstockung des Balkonbodens notwendig. „Leider wurde dieser Umbau nicht mängelfrei ausgeführt, dem Balkonboden fehlen immer noch rund 1 cm Höhe. Die Dame muss nun mit dem Rollstuhl rückwärts vom Balkon in die Wohnung fahren und ist dabei einer beständigen Gefahr ausgesetzt, mit dem gesamten Rollstuhl nach hinten zu kippen.“
Laut Gernot Wolfgang werden in Freiburg die bauordnungsrechtlichen Vorschriften an mehreren Beispielen nicht eingehalten und die zuständigen Baurechtsbehörden würden ihrer Kontrollaufgabe nicht nachkommen. „Wir klagen an, dass die Stadt Freiburg, die städtische Wohnbau und beteiligte Unternehmen systematisch, bewusst und seit langem aktiv die Gesetzeslage ignorieren und somit sittenwidrig und strafbar handeln“, schreibt der Verein in einem aktuellen Schreiben (siehe auch www.lebensraum-fuer-alle.org). „Derzeit informieren wir bundesweit die Presse und behalten uns gerichtliche Schritte vor“, erklärt Wolfgang und betont, dass Menschen seit dem Bestehen der gesetzlich vorgeschriebenen Barrierefreiheit einen Anspruch darauf haben. „Unzulässige Türschwellen müssen zurückgebaut werden. Hier geht es um vermeidbare Sturzgefahren und damit um vermeidbare Gefahren für Leib und Leben“, betont der erfahrene Wohnberater.
Kostenintensive Haftungsgefahren
Trotz Nullschwellen-Stellungnahme werden beim barrierefreien Bauen heute immer noch 1 – 2 cm hohe Türschwellen eingeplant. Jede einzelne davon birgt beachtliche Haftungsgefahren. Die Anzahl der möglichen Regressforderungen wächst beständig, insbesondere bei einem immensen Bedarf und längst vorhandenen normativ/rechtlichen Nullschwellen-Anforderungen schon seit den 90er Jahren. Aber nicht nur das Bauordnungsrecht muss beachtet werden. Auch der Begriff barrierefrei ist im Behindertengleichstellungsgesetz § 4 fest definiert. Wohnungen, die so beworben werden, müssen für Menschen mit Behinderung eine Nutzbarkeit ohne fremde Hilfe ermöglichen. Das erfüllen Türschwellen zwischen 1 – 15 cm Höhe nicht.
Türschwellen nicht mehr zeitgemäß
„Wir hatten in unserer vorherigen Wohnung eine rund 10 cm hohe Türschwelle, die den Zugang auf unseren Balkon verbaute“, berichtet Wolfgang Klug aus Waiblingen, dessen Frau einen Rollstuhl nutzt. Mit dieser Schwelle sei die Erschließung des Balkons ein mittleres Theater gewesen, „anstrengend und schlichtweg eine Quälerei“, erzählt der erfahrene Rollstuhlschieber. „2016 haben wir uns eine andere Wohnung, die bereits 2012 erbaut wurde, gekauft. Auch hier war wieder eine hohe Balkontürschwelle anzutreffen.“ Doch diese wurde noch vor dem Einzug zurückgebaut. „Durch eigene Recherchen bin ich auf die sichere Abdichtungslösung der Magnet-Nullschwelle gestoßen“, erklärt Klug glücklich und betont, dass seine Frau nun ganz einfach selbstständig den Balkon nutzen kann. Die Eigentümergemeinschaft forderte von Wolfgang Klug im Vorfeld des Nullschwellen-Einbaus eine Haftungsübernahme. „Wenn die Nullschwelle jemals undicht wäre, müsste ich den Schaden bezahlen. Doch das war für mich kein Problem. Diese Magnet-Abdichtung mit Entwässerung ist sicher, allein das Prüfzeugnis zeigt die Schlagregendichtheit der Klasse 9 A – das ist besser als dicht“, erklärt der technikversierte Sicherheitsingenieur. Für den Schwellenrückbau musste die ganze Balkontür erneuert werden. Doch das sei es ihm und seiner Frau wert gewesen. „Alle Türschwellen sind nicht mehr zeitgemäß. Irgendwann stolpern Menschen über Teppichkanten und eine 2 cm hohe Türschwelle ist in etwa genauso hoch. Die Technik der Magnet-Nullschwelle gibt es seit den 90er Jahren. Ich verstehe nicht, weshalb diese trotz des längst bekannten demografischen Wandels so wenig genutzt wurde und wird.“ Er klagt an, dass in der Broschüre „Barrierefreies Bauen“ vom Wirtschaftsministerium BW (2007) die Nullschwellen-Angebote fehlen. Es wurden nur 2 cm-Außentürschwellen abgebildet. Er sagt: „Wenn es keinen Hersteller gegeben hätte, wäre es die Aufgabe von Regierungen gewesen, diese anzuregen, barrierefreie Lösungen zu entwickeln. Und wenn es nur einen Hersteller gibt, darf eine dringend benötigte Lösung der Allgemeinheit trotzdem nicht über Jahrzehnte vorenthalten werden.“