Das barrierefreie Bauen gewinnt zusehends an Bedeutung und gesellschaftlicher Akzeptanz. Dies gründet sich auf den rasant fortschreitenden demographischen Wandel und die damit einhergehende Notwendigkeit, auf die stetig älter und heterogener werdende Bevölkerung zu reagieren. Wer heutzutage nachhaltig und zukunftsorientiert planen und bauen will, kommt an der barrierefreien Gestaltung nicht vorbei.
Derzeit leben in Deutschland 8,6 Mio. Menschen mit einer anerkannten Behinderung. Dies entspricht einer Quote von über 10 Prozent der gesamten Bevölkerung. Aber auch der vermeintlich „gesunde Teil“ der Bevölkerung gilt zeitweilig als eingeschränkt bewegungsfähig, beispielsweise Eltern mit Kinderwagen oder Kleinkindern, beim Transport sperriger Einkäufe oder Reisegepäck, beim Laufen mit Krücken oder Gips, ältere Menschen, etc. Vor allem die zuletzt genannte Bevölkerungsgruppe ist betroffen. Laut Prognosen soll 2030 jeder Dritte in unserer Gesellschaft 60 Jahre oder älter sein. Für diese Gruppe müssen entsprechend gestaltete Gebäude vorhanden sein.
Unabhängig von Alter und Gesundheitszustand wird durch barrierefreies Bauen die Wohnungsnutzung und damit die Lebensqualität deutlich verbessert. Produkte und Gebäude nach dem „Universel Design“1 werden künftig den Kernmarkt darstellen und nicht länger Sonderprodukte für eine kleine Gruppe sein. Die Barrierefreiheit wird die Standardausführung.
Unter Barrierefreiheit wird die Eigenschaft von Gebäuden und anderen baulichen Anlagen verstanden, wenn sie für alle Menschen mit und ohne Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe, zugänglich und nutzbar sind. Übertragen auf Türen bedeutet das beispielsweise: Türen müssen deutlich wahrnehmbar, leicht zu öffnen und zu schließen und sicher zu passieren sein.
Rechtliche Vorgaben
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden,“ so Artikel 3 des Grundgesetzes. Für den Bereich Hochbau findet dieses Benachteiligungsverbot seine Umsetzung in der Musterbauordnung (MBO) und in den jeweiligen Landesbauordnungen (LBO). Die Vorgaben zum barrierefreien Bauen sind in den LBO der einzelnen Bundesländer unterschiedlich geregelt. In der MBO heißt es in § 50: „In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein. In diesen Wohnungen müssen die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad sowie die Küche oder die Kochnische mit dem Rollstuhl zugänglich sein.“
Derzeit sind Bestrebungen im Gange, die neu erschienenen Normen zum barrierefreien Bauen – wie teilweise auch deren Vorgängernormen – in die Liste der technischen Baubestimmungen (LTB) aufzunehmen. Ein entsprechender Vorschlag wird bei der nächsten Bauministerkonferenz verhandelt.
In der seit 24. März 2011 gültigen Bauprodukten-Verordnung (BauPVO) wird – im Gegensatz zur bisherigen Bauproduktenrichtlinie (BPR) – erstmalig die Barrierefreiheit erwähnt. So muss künftig bei Entwurf und Ausführung eines Bauwerks insbesondere die Barrierefreiheit und die Nutzung durch Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden (vgl. Punkt 4 im Anhang I „Grundanforderungen an Bauwerke“).
Die DIN 18040
Seit den 70er Jahren existieren normative Regelungen zur Barrierefreiheit. Ergebnis der damaligen Überlegungen waren zwei Normen mit je zwei Teilen. Alle vier Normteile wurden in den 90er Jahren überarbeitet (siehe Tabelle unten). Was damals noch als „behindertengerechtes Bauen“ bezeichnet wurde, wird heutzutage mit wohlklingenden Begrifflichkeiten wie „Design for all“ oder „Universal Design“ beschrieben.
Nach einer über 10-jährigen Bearbeitungszeit mit drei Norm-Entwürfen aus den Jahren 2002, 2006 und 2009 – die zum Teil auf massiven Widerstand trafen – erschienen die ersten beiden Teile der Normreihe DIN 18040. Bereits im Oktober 2010 wurde Teil 1 „Öffentlich zugängliche Gebäude“ veröffentlicht. Im September 2011 folgte Teil 2 „Wohnungen“. Teil 3, welcher sich mit dem öffentlichen Verkehrs- und Freiraum befassen wird, wird frühestens Ende 2012 erwartet.
Die Normen sowie die jeweiligen Kommentare sind beim Beuth-Verlag ( http://www.beuth.de ) zu beziehen.
Die bisher erschienenen Normteile gelten für Neubauten; sinngemäß sollten sie aber auch für die Planung von Umbauten oder Modernisierungen angewendet werden. Sie zeigen, unter welchen technischen Voraussetzungen bauliche Anlagen barrierefrei sind. Hierzu werden – im Gegensatz zu den bisherigen Ausgaben – Schutzziele und Beispiellösungen formuliert. Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die verfolgten Schutzziele auch auf andere Weise als in der Norm festgelegt, erfüllt werden können. Damit sollen künftige innovative Lösungen unterstützt werden. Ferner wird darauf hingewiesen, dass bei Bauvorhaben für spezielle Nutzergruppen (z.B. Einrichtungen für Demenzkranke, Blindenwohnheim, etc.) zusätzliche oder andere Anforderungen notwendig sind.
Arbeitsstätten wurden aus dem Anwendungsbereich der DIN 18040-1 – anders als bei der Vorgängernorm DIN 18024-2 – gestrichen. Anforderungen bezüglich Barrierefreiheit werden in den künftigen Arbeitsstättenrichtlinien (ASR) getroffen – ein durchaus sinnvoller Schritt, da es sich bei behinderten Arbeitnehmern um „bekannte Nutzer“ handelt, bei welchen individuelle Lösungen anzustreben sind.
Erstmalig definiert die Norm klare Bestimmungen für Sicherheitsmarkierungen an Ganzglastüren und großflächig verglasten Türen. Sie müssen
- über die gesamte Glasbreite reichen,
- visuell stark kontrastreich sein,
- jeweils helle und dunkle Anteile (Wechselkontrast) enthalten, um wechselnde Lichtverhältnisse im Hintergrund zu berücksichtigen;
- in einer Höhe von 40 cm bis 70 cm und von 120 cm bis 160 cm angeordnet werden.
Als Beispiellösung wird eine Sicherheitsmarkierung in Streifenform mit einer durchschnittlichen Höhe von 8 cm und einzelnen Elementen mit einem Flächenanteil von mindestens 50 Prozent des Streifens genannt (siehe Bild). Das Kennzeichnen von Glasflächen ist dabei keine Erfindung der DIN 18040. Dies ist eine Forderung aus der Bauordnung. DIN 18040 definiert nunmehr, wie diese Kennzeichnung auszusehen hat.
Die Norm ist immer dann zugrunde zu legen, wenn in öffentlich-rechtlichen Vorschriften (Verordnungen) darauf Bezug genommen wird, z.B. für Gebäude des Bundes gemäß Behinderten-Gleichstellungsgesetz (BGG § 8), gemäß der Liste der Technischen Baubestimmungen (LTB) oder wenn die Einhaltung der Normen privatrechtlich vereinbart wurde.
Fazit
Mit der steigenden Bedeutung des barrierefreien Bauens als einer zentralen Aufgabe der Bauwirtschaft und dem damit einhergehenden Übergang ins alltägliche Baugeschehen steigt naturgemäß auch die Nachfrage. Für den Markt folgt daraus die Aufgabe, die entsprechenden Produkte in ausreichender Stückzahl und Qualität bereitzustellen. Wünschenswert ist, dass diese „barrierefreien Komfort-Produkte“ zur Selbstverständlichkeit werden und standardmäßig bei Anfragen angeboten werden.
Nicht nur entsprechende Produkte sind maßgeblich für die zukünftige Umsetzung barrierefreien Bauens: Auch die Bereitschaft von Planern und Investoren, sich auf die Möglichkeiten und Vorteile dieser Idee einzulassen, spielt eine große Rolle. Dies beginnt bereits in der Ausbildung und setzt sich nach dem Studium fort: „Barrierefreiheit“ steht nicht für eine besondere Planungsaufgabe, sondern durchzieht jeden Entwurf gleichermaßen. Die Suche nach geeigneten Lösungen kann sich auf eine breite Nutzerschaft beziehen, etwa in öffentlich zugänglichen Gebäuden. Im Privatbereich hingegen stehen oftmals sehr individuelle Lösungen im Vordergrund.
1 Anm. d. Redaktion: Universelles Design ist ein internationales Design-Konzept, welches Produkte, Geräte, Umgebungen und Systeme derart gestaltet, dass sie für so viele Menschen wie möglich ohne weitere Anpassung oder Spezialisierung nutzbar sind
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Fördermöglichkeiten nutzen
Auch die KfW unterstützt die barrierefreie Wohn-Umgestaltung durch eine Reihe von Förderbausteinen. Unabhängig von der Frage, ob es sich um ein selbst genutztes oder vermietetes Gebäude handelt, richtet sich die Förderung an alle Haus- und Wohnungsbesitzer . Das schließt auch Wohnungsgenossenschaften, Gemeinden und Kreise ein, denn Barrierefreiheit bedeutet für jeden Bürger eine Erleichterung – für das junge Paar mit dem Kinderwagen ebenso wie für den Mittvierziger, der dank eines Aufzugs keine schweren Lasten nach oben tragen muss, oder für den in seiner Beweglichkeit bereits eingeschränkten älteren Menschen. Dazu zählen insbesondere alle Maßnahmen zur Barrierereduzierung in der Wohnung, im Wohngebäude und im Wohnumfeld. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen, dass vor allem ältere Menschen lange in ihrem gewohnten Umfeld leben können.
Vom verbreiterten Gebäudezugang mit Handläufen und Rampen über den Umbau von Sanitärräumen bis zur leichtgängigen Bedienung von Fenstern werden dabei die unterschiedlichsten Maßnahmen gefördert. Finanziert werden bis zu 100 % der Umbaukosten, maximal jedoch 50000 Euro pro Wohneinheit. Die für ihre günstigen Zinssätze bekannten KfW-Kredite laufen wahlweise zwischen zehn und 30 Jahren.
Seit Mai 2010 gibt es zudem ein Förderprogramm mit dem Titel „KfW-Programm 455 – Altersgerecht Umbauen – Investitionszuschuss“. Hier sind Bar-Zuschüsse bis 2500 Euro möglich.
Nähere Details sind in entsprechenden Merkblättern auf der Website der KfW zu finden. https://www.kfw.de/microsites/Microsite/kfw-chancen.de/
Der Autor
Knut Junge ist am ift Rosenheim Leiter der „Technischen Auskunft“. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule Rosenheim für den Bereich Barrierefreiheit und langjähriges Mitglied in Normausschüssen für das barrierefreie Bauen.