Glaswelt – Der Coronavirus wirbelt alle Gewissheiten durcheinander. Was sollten Unternehmen jetzt tun, um diese Krise zu überstehen?
Prof. Lass – An erster Stelle muss der Arbeitgeber alle organisatorischen Maßnahmen treffen, um die Gesundheit von Mitarbeitern und Kunden, und damit den Fortgang der betrieblichen Aktivitäten zu sichern. Dazu gehören eine IT-Technik für Homeoffice und Videokonferenzen, die Verstärkung der Reinigungsmaßnahmen, persönliche Schutzausrüstung, die Einhaltung der 2-m-Regel sowie eine sofortige Reaktion bei Kontakt zu Infektionsfällen, damit sich das Virus nicht auf weitere Mitarbeiter überträgt und den ganzen Betrieb lahmlegt.
Dr. Peichl – Ich rechne damit, dass wir gerade die Abstandsregeln solange befolgen müssen, bis wir einen Impfstoff bekommen. Außerdem muss jeder Betrieb auf die Kosten achten. Die Mitarbeiter wissen meistens sehr genau, welche Ausgaben für das operative Geschäft notwendig sind. Eine frühzeitige Information über die Regularien staatlicher Unterstützungen wie Kurzarbeitergeld, Überbrückungsgelder oder Steuerstundungen ist wichtig, um sofort Mittel zur Stabilisierung der Liquidität zu erhalten. Dennoch sollten auch wichtige Zukunftsinvestitionen getätigt werden, z. B. in die Verbesserung der Effizienz oder in die Entwicklung neuer Produkte.
Prof. Lass – Der enge Kundenkontakt ist ebenfalls wichtig. Im Dialog können Lösungen entwickelt werden, um Aufträge zu bearbeiten und neue zu erhalten. Auch hier hilft eine digitale Kommunikation, um Planer, Bauherren, andere Gewerke und Lieferanten zu erreichen. Dies wird zu ganz neuen Dienstleistungen führen, die es vor der Pandemie nicht gegeben hat.
Glaswelt – Wie sieht die Welt aus, wenn wir wieder zu einem Alltagsbetrieb zurückkehren?
Dr. Peichl – Ich bin mir sicher, dass in den meisten Betrieben die digitale Kommunikation und Online-Services (Online-Bestellungen/Schulungen, Netzwerke, virtuelle Produktpräsentationen etc.) genutzt und damit „normal“ werden. Das ist quasi ein Turbo für die Digitalisierung. Manager machen jetzt die Erfahrung, dass sich Besprechungen gut per Video organisieren lassen und sich so viel Reise-Zeit sparen lässt. Das wird zu einer neuen Meetingkultur führen und auch Konzepte für Messen, Kongresse und Weiterbildungen beeinflussen.
Prof. Lass – Betriebe, die digital weiterdenken, werden erfolgreich aus der Krise hervorgehen, denn die Digitalisierung bietet große Potenziale für neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle. Ich habe hier einen Gerüstbauer im Sinn, der nun als neues und lukratives Geschäftsmodell für andere Betriebe per Drohne das Aufmaß für Gerüstbauten macht und maßgenaue digitale 3D-Modelle von Gebäuden erstellt.
Dr. Peichl – Die Krise hat gezeigt, dass schnelle und konsequente Entscheidungen sowie vorrausschauendes Handeln die beste Medizin sind – das zeigen die Beispiele Taiwan und Südkorea. Im Betrieb ist das genauso, denn wer vor der Krise bereits in Technik für Homeoffice und Videokonferenzen investiert hat, der konnte schnell „umschalten“.
Prof. Lass – Ein weiterer Aspekt: Vor allem Menschen in Städten machen nun die Erfahrung, dass eine Verringerung des Verkehrsaufkommens zu sauberer Luft und weniger Lärm führt und so die Lebensqualität erhöht. Das wird klimafreundliche Investitionen fördern, aber auch Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation haben. Zudem ist dies eine Chance, im Realversuch die Auswirkungen von weniger Verkehr auf den Energieverbrauch und die Luftqualität zu analysieren.
Dr. Peichl – Ich rechne auch mit einer verstärkten Besinnung auf mehr betriebliche Autonomie mit einer breiteren und tieferen Wertschöpfung. In vielen Betrieben haben ausfallende Lieferketten und fehlende Zulieferteile die Produktion gefährdet. Das hat uns gezeigt, in welchem Ausmaß wir von Lieferanten aus anderen Ländern abhängig sind. Niemand konnte sich bisher vorstellen, dass es Grenzschließungen sogar innerhalb des EU-Binnenmarktes geben wird.
Glaswelt – Was macht das ift, um diese Krise kurz- und mittelfristig zu bewältigen?
Dr. Peichl – Wir haben sehr schnell die Empfehlungen des RKI umgesetzt. Dabei kam uns zugute, dass im ift die Voraussetzungen für Homeoffice und Videokommunikation bereits vorhanden waren. Wir mussten dann „nur“ noch die Kapazitäten für Server und Softwarelizenzen aufstocken. Hilfreich sind auch Prüfungen mit Videobegleitung. Damit können wir unsere Dienstleistungen auch bei Transportbeschränkungen aufrechterhalten.
Prof. Lass – Wir werden verstärkt in den Ausbau digitaler Services investieren, z. B. Online-Schulungen, digitale Kongresse, Gutachten per Videoanalyse, Video-Audits bzw. Fremdüberwachung, und entwickeln gerade ein „Digi-Test-Verfahren“, mit dem wir Prüfungen auf firmeneigenen Prüfständen durchführen können, bei dem die ift-Prüfingenieure durch Videoüberwachung und digitale Analyseverfahren nicht vor Ort dabei sein müssen. Das neue Prüflabor für Bauakustik + Fassaden wird gleich so ausgerüstet, dass Kunden die Prüfung vom Büro aus begleiten können. Konzepte sind schon länger im ift in Arbeit, aber die Coronakrise hat auch uns gezwungen, diese schneller umzusetzen.