Glaswelt – Herr Dr. Zoggolis, wie beurteilen sie den Status quo im Bereich Smarthome?
Dr. Konstantin Zoggolis – Der Markt ist auf jeden Fall dynamisch und wächst sehr erfreulich. Er ist jedoch gekennzeichnet von unterschiedlichen Entwicklungen. Auf der Verbraucherseite steigt die Akzeptanz und die Nutzung von smarten Produkten enorm. Dass das Zuhause der Zukunft smart sein wird, steht bereits fest. Damit einher geht der Wunsch der Bewohner nach einem vollvernetzten Heim, das alle Geräte von Gebäudetechnik bis Unterhaltungselektronik verbindet.
Auf der Angebotsseite ist der Smarthome-Markt aber leider nach wie vor durch wenig Miteinander und viel Gegeneinander gekennzeichnet. Kaum Regeln und ein technischer Flickenteppich vieler konkurrierender Insellösungen und, ich nenne sie mal, Pseudo-Standards, die entgegen ihrer Bezeichnung nicht zu einer Vereinheitlichung beigetragen haben. So kann und wird es nicht weiter gehen. Das gibt uns schon der Markt, die Bedürfnisse der Konsumenten, vor: Sie wollen ihre Geräte einfach marken- und gewerkeübergreifend mit den modernen Smart-Gadgets vernetzen. Der technische Unterbau interessiert sie wenig. Inkompatibilitäten werden heute als wichtige Ausschlusskriterien beim Kauf wahrgenommen.
Glaswelt – Und wie wirkt sich das auf das Marktsegment Haus- und Gebäudetechnik aus?
Dr. Zoggolis – Die Hersteller von Gebäudetechnik haben das Problem schon seit längerem erkannt und wissen, dass sie an der Smartifizierung ihrer Kernprodukte nicht mehr vorbeikommen. Doch die Smarthome-Technik ist von ihren originären Kernkompetenzen recht weit entfernt. Die typisch heterogen geprägte Infrastruktur von Gebäuden und Geräten, mit einer Mischung von verdrahteten und drahtlosen Technologien unterschiedlichster Provenienz, macht es nur noch schwieriger, den Anspruch der Verbraucher nach einer ganzheitlichen Lösung zu erfüllen. Die Folge ist: Viele Hersteller schaffen zwar digitale Steuerungslösungen für ihre Produkte und postulieren grundsätzliche Offenheit; von einer universellen Vernetzbarkeit und Automatisierung im Sinne der Verbraucheranforderungen ist das jedoch in der Realität meilenweit entfernt. Standardisierung im Sinne von Homogenisierung wäre zwar wünschenswert, ist aber aktuell definitiv Fehlanzeige und auch in der nahen Zukunft eher nicht zu erwarten.
Glaswelt – Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die bestehenden Standards?
Dr. Zoggolis – Für den Konsumenten zählt nur das Ergebnis: Kann er alle seine Geräte miteinander vernetzen und automatisieren oder nicht. Alle derzeitigen Standards, sei es Z-Wave, KNX oder auch ZigBee, um nur ein paar zu nennen, konnten diesen Anspruch nicht erfüllen. Untereinander sind sie schlicht inkompatibel. Wir gehen davon aus, dass die erwähnten Standards zwar noch einige Zeit Verwendung finden, aber über kurz oder lang weiter stark an Bedeutung verlieren werden.
Ein in Europa mit ca. 50 Millionen installierten Endgeräten sehr weit verbreitetes und marktführendes System wie Homematic IP kommt diesem Anspruch wegen seiner Marktdurchdringung da viel näher, ohne per Definition ein Standard zu sein.
Glaswelt – Was ist die Konsequenz aus diesen Zuständen?
Dr. Zoggolis – Wir setzen als einzigen echten Standard für den technologischen Unterbau auf das Internet Protokoll (IP), d. h. IPv6. Denn die Zukunft basiert in jedem Fall auf IP, egal ob drahtlos oder über Kabel angebunden. Lösungen, die auf IP aufsetzen, breiten sich unaufhaltsam aus und sind schon überall im Hintergrund präsent, z. B. wenn im Komfortbereich Clouddienste wie Alexa und Co und im industriellen Bereich IoT-Lösungen verwendet werden. Auch ist davon auszugehen, dass in Zukunft die permanente Internetanbindung, analog zur Stromversorgung, quasi immer verfügbar sein wird.
Das zeigen auch Initiativen wie CHIP (Anm. d. Red.: „Connected Home over IP“, die die Notwendigkeit zur Homogenisierung erkannt haben und grundsätzlich auf IP setzen. Dahinter steckt eine enorme Marktmacht, da u. a. die US-Techgiganten Amazon, Apple und Google vertreten sind. Auch in der Thread Group sind diese Unternehmen engagiert (Anm. d. Red.: Gründungsmitglieder der „Thread Group“ sind u. a. Google Nest, Osram, Samsung und Apple). Schon allein deswegen ist mit Thread zu rechnen, das technisch einige Vorteile bietet. So arbeitet es wie WLAN und ZigBee auf dem 2,4 GHz Frequenzband, benötigt jedoch weit weniger Energie als WLAN. Darüber hinaus nutzt es die Mesh-Technologie und basiert im Gegensatz zu ZigBee auf IP. Immerhin scheint Apple auf Thread zu setzen, was in puncto Verbreitung ein gewichtigeres Argument ist. Es wird interessant sein, wie Amazon sich hierzu positioniert, das bei Lichtsteuerung bislang ZigBee nutzt.
Glaswelt – Wo positioniert sich dann mediola bei diesem Strauß an Standards?
Dr. Zoggolis – Bislang haben wir Standardisierungsinitiativen keine ernsthafte Bedeutung beigemessen, doch für Thread sehen wir Potenzial und sind deshalb als Mitglied beigetreten. Wir rechnen mittel- bis langfristig schon mit fortschrittlichen Lösungsansätzen rund um Thread. Was aber sicher bleibt, ist IP und ein universeller Application Layer als verbindendes Element.
Glaswelt – Aber IP gibt es doch schon länger und es hat trotzdem nicht dafür gesorgt, dass alle Geräte miteinander interagieren können?
Dr. Zoggolis – Direkt zwar nicht, aber über offene und universelle Plattformen wie mediola schon. Das macht Plattform-Anbieter wie uns für Hersteller von Produkten für den Smarthome-Markt und die Marktentwicklung selbst so wichtig. Denn nur über eine Plattform als universelle Verbindungsinstanz lässt sich auch für alle Haushalte der Wunsch nach einem voll integrierten Smarthome in die Praxis umsetzen. Gerade Nachrüstung und Erweiterbarkeit ist im Smarthome-Markt ein wichtiges Thema und bringt fast zwangsläufig eine große Markenvielfalt mit sich. Über viele kleine technische Brücken verbinden wir die verschiedenen Marken und Geräte mit unserer IP-basierten Plattform. So wird alles interoperabel und kann vom Benutzer bedient werden, als wäre es ein homogenes System. Für den Anwender ist das gefühlte Standardisierung.
Und für die Hersteller von Gebäudetechnik bietet das einen unschlagbaren Mehrwert, können sie doch auf diese Weise ihre älteren, bestehenden Produkte mit den neu entwickelten Generationen nahtlos verbinden. Insofern ist hier IP als Standard schon essenziell.
Glaswelt – Und was, wenn die Initiative CHIP oder die Thread Group einen eigenen Standard entwickelt? Sind dann Ihre Brücken nicht überflüssig geworden?
Dr. Zoggolis – Sollte sich in der Zukunft über CHIP, Thread oder was auch immer ein echter universeller Standard herausbilden, so würde das zwar das Vernetzen definitiv vereinfachen. Auf absehbare Zeit wird aber das Brückenbauen im Rahmen einer universellen Plattform nicht überflüssig. Dazu bleiben die Marktkräfte und die Interessen der entscheidenden Player doch zu unterschiedlich.
Glaswelt – Brückentechnologien als Vernetzungsgarant, das ist nicht wirklich neu. Was macht mediola anders, was macht es einzigartig?
Dr. Zoggolis – Für die Konsumenten zählt schlicht das Ergebnis. Wie es funktioniert, eine Brücke zu einer Marken-Cloud, einem Smart-Gadget, einer Funk-Technologie oder einem verdrahtetem System zu bauen, ist dabei zweitrangig. Wichtig ist, dass Brücken zu allen für die Haushalte relevanten Marken zur Verfügung stehen. So bieten wir bspw. mit unserem AIO Gateway eine Multifunktions-Brücke zu einer großen Zahl unterschiedlicher Funk-Protokolle – in einem einzigen Gerät. Darunter auch das marktführende System für Whole-Home-Lösungen von Homematic IP. Außer den eigenen Zentralen von Homematic IP, kann das sonst niemand im Markt. Ob EnOcean, Z-Wave oder ZigBee, ob KNX oder moderne Cloud-Systeme – im Grunde ist uns das völlig egal. Über unsere offene mediola Plattform kann man alles miteinander kombinieren und wir entwickeln bereits eine Thread Border-Router-Lösung für unsere Gateways. Das ist auch so eine Brückentechnologie. Sie wird Thread mit dem gesamten mediola Öko-System verbinden. Die flexible Plattform-Technologie von mediola macht uns und unsere Kunden – Endverbraucher wie OEM-Partner – von den Initiativen und Standards unabhängig. Damit bieten wir maximale Zukunftssicherheit.
Glaswelt – Was würden Sie also einem Hersteller von Fensterantrieben, Rollladenmotoren oder Außenhautsensorik empfehlen, der gerade eine neue Produktgeneration plant?
Dr. Zoggolis – Auf jeden Fall sollten die Produkte ein Funkprotokoll verwenden, das auf IP basiert. Das ist das Wichtigste. Darüber hinaus muss man differenzieren. Für am Permanentstrom angeschlossene Produkte wie Antriebe, wäre WLAN prinzipiell eine gute Wahl. Insbesondere dann, wenn eine weltweite Vermarktung geplant ist. Bei Großobjekten mit sehr vielen Geräten wird WLAN durch die IP-Konfiguration jedes Einzelgerätes jedoch etwas unkomfortabel. Für die Vermarktung an die DIY-Zielgruppe wäre wiederum Bluetooth aufgrund der einfachen Anbindung vorzuziehen.
Bei batteriebetriebenen Geräten wie Sensoren, sieht es etwas anders aus. WLAN ist hier wegen des zu hohen Energieverbrauchs aus dem Rennen. Als fortschrittlichste Variante würde ich Thread bevorzugen, es wären aber auch Bluetooth und in Europa 868 MHz Funk durchaus empfehlenswert. Thread und Bluetooth hätten den Vorteil der grundsätzlichen Kompatibilität zu Apple Homekit. Sie sehen also, wie vielschichtig die Thematik bleibt. Genauso wenig wie es DEN Standard gibt, gibt es auch nicht DIE Lösung. Es gilt, die Anforderungen der anvisierten Zielgruppe und den Vertriebskanal genau zu berücksichtigen und vor allem die übergreifende Vernetzbarkeit im Auge zu behalten.
Mediola bietet für alle genannten Varianten Lösungen mit Brückentechnologien über eigene Multiprotokoll Gateways und IoT-/ Funk-Module. Besonderer Mehrwert für Hersteller ist bei der universellen mediola Plattform die nahtlose Kombinierbarkeit älterer Produktvarianten mit den neuesten Generationen und Technologien in einer umfassenden Gesamtlösung.
Glaswelt – Vielen Dank für Ihre weitreichenden Informationen!
Die Fragen stellte Chefredakteur Daniel Mund.
Was ist IPv6?
Das Internet Protocol Version 6 (IPv6), früher auch Internet Protocol next Generation (IPng) genannt, ist ein von der Internet Engineering Task Force (IETF) seit 1998 standardisiertes Verfahren zur Übertragung von Daten in paketvermittelnden Rechnernetzen, insbesondere dem Internet.