GLASWELT – Herr Blepp, Sie haben sich Gedanken um den Fenstermarkt 2025 gemacht – wird sich in den nächsten fünf Jahren so viel bewegen?
Christoph Blepp – In der Tat werden sich in den kommenden Jahren große Umwälzungen im Markt einstellen, welche die Branche an vielen Stellen grundlegend verändern werden. Dabei haben sich all diese Themen seit Jahren angekündigt. Die Digitalisierung der Gebäudehülle führt zu komplexeren, vernetzten Produkten, die Produkte aus Osteuropa werden qualitativ immer hochwertiger und erhöhen somit den Preisdruck im hochwertigeren Segment. Viele Hersteller entlang der Wertschöpfungskette werden diesem Druck mittelfristig nicht mehr standhalten können. Und dabei sprechen wir nicht nur von den Fensterherstellern.
GLASWELT – Besser oder billiger – wo geht die Reise der Branche hin?
Blepp – Ich denke, die Herausforderungen sind vielschichtiger. Einerseits sehen wir durch die Themen Digitalisierung oder klimaneutrales Bauen ganz klar steigende Anforderungen an das Fenster und alle darin enthaltenen Komponenten. Gleichzeitig werden vor allem im Projektgeschäft Einbindungen in Gebäudenetze zum Standard. Zudem wird vom Produktmanagement und Vertrieb immer mehr technisches Anwendungswissen verlangt. Ein reiner „Billiganbieter“, der auf tiefe, großvolumige Sortimente spezialisiert ist, kann hier kaum bestehen. Dennoch nimmt die Vergleichbarkeit im Zeitalter von BIM und Omnichannel-Vertrieb immer mehr zu und damit auch der Preisdruck. Das bedeutet, dass Hersteller sowohl ihre Vertriebs- und Preisstrategie als auch ihre Time to Market und Logistikprozesse im Griff haben müssen.
GLASWELT – Glauben Sie an eine kritische Größe bei den Unternehmen – und wenn ja, wie stellt sie sich dar?
Blepp – Im PVC-Bereich ist es bei Profilgebern und Fensterbauern natürlich so, dass eine bestimmte Größe vorteilhaft ist, denn nur dann kommen die Skaleneffekte zum Tragen. Aber auch ein kleiner Spezialist kann sein Geschäftsmodell sinnvoll durch Akquisitionen von Technologie- oder Digitalkompetenzen erweitern und sich so abschirmen.
GLASWELT – Der Spezialist wird also auch in Zukunft sein Geschäft machen?
Blepp – Es gibt überall auch heute noch attraktive Nischen, die oftmals nicht produktseitig, sondern kundenseitig definiert sind. Hersteller, die ihre Kundengruppen glasklar segmentieren, deren Bedarfe erkannt und ihre eigene Fähigkeitenarchitektur darauf ausgerichtet haben, erzielen einen Wettbewerbsvorteil, den man nicht ohne Weiteres kopieren oder aufholen kann. Das klingt erst einmal einfach, erfordert aber eine sehr fokussierte Strategie und den Willen, den ein oder anderen attraktiven Auftrag auch bewusst liegen zu lassen, um nicht auf zu vielen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen und so die eigene Durchschlagskraft zu gefährden.
GLASWELT – Hat die Fenster- und Fassadenbranche die Schnittstelle zu den anderen Gewerken im Griff? Oder besteht die Gefahr, dass andere Branchen sich unserer Themen annehmen?
Blepp – Das ist in der Tat ein kritischer Punkt. Mir fällt hier das Thema Gebäudeautomation und Building Intelligence ein. Die Installation eines Fenster- oder Türantriebes erfolgt meist über den Elektroinstallateur, in der Planung ist dies auch eine offene Flanke der Branche. Hier muss einerseits von Vertriebsseite eine aktive Bearbeitung der Installateure und Planer erfolgen und gleichzeitig auch in der Produktentwicklung bereits an diese Anwender gedacht werden. Ansonsten läuft die Branche Gefahr, zum reinen Element- bzw. Komponentenlieferanten degradiert zu werden.
GLASWELT – Glauben Sie an den mehrstufigen Vertriebsweg? Wo werden sich Lücken auftun?
Blepp – Auf jeden Fall. Eine Welt ohne den Handel wird es nicht geben. Es herrscht hier jedoch eine hohe Unsicherheit sowohl beim Handel als auch bei Herstellern. Wer keine Direktbelieferung anbietet, wird von den großen Projekten, welche in Zukunft weiter zunehmen werden, ausgeschlossen sein. Viele Händler bäumen sich hier auf und versuchen einen eigenen Projektvertrieb aufzubauen, was die Marge jedoch noch weiter unter Druck setzt. Die Konsolidierung der Fensterhersteller verstärkt diesen Trend natürlich weiter, denn die Großen wollen verständlicherweise die Marge des Handels einsparen. Die Lücken tun sich da auf, wo Hersteller und Händler einen gemeinschaftlichen, strategisch festgelegten Weg beschreiten. Hersteller können dem Handel durch Tools, Pull-Effekte beim Anwender und Kunden-Know-How bei der Bearbeitung der B- und C-Kunden helfen, welche auch weiterhin über den Handel beziehen müssen. Durch gemeinsame Plattformen, Konfiguratoren, Online-Drop-Shipment-Lösungen können beispielsweise auch Geschäftsmodelle erweitert oder komplett neu geschaffen werden. Gleichermaßen muss der Handel einsehen, dass das größere Projektgeschäft an ihnen vorbeigeht.
GLASWELT – Sind die Anforderungen an die steigende Komplexität der Produkte und Kosten für Logistik und Produktion überhaupt noch zu handhaben und vermittelbar? Sind das andererseits nicht auch die Pfunde, die deutsche Hersteller in die Waagschale werfen können im Vergleich zum osteuropäischen Anbieter?
Blepp – Das ist ganz klar die zentrale Aufgabe für die Zukunft. Wer hier fokussiert aufgestellt ist und das eigene Portfolio und die Marktbearbeitung auf die wirklich attraktiven Kundengruppen ausrichtet, hat es hier leichter. Und genau hier kann dann eine Differenzierung zu den osteuropäischen Anbietern geschaffen werden, die eher auf den breiten Massenmarkt ausgerichtet und auf eher generalistische Marktbearbeitungsstrategien angewiesen sind.
GLASWELT – Welche Handlungsempfehlungen können Sie geben?
Blepp – Mittlere und kleinere Spieler haben vereinfacht gesagt die Wahl, selbst aggressiv zu konsolidieren und damit die Verhandlungsmacht aber auch die Ressourcen für Entwicklung und Vertrieb zu steigern. Oder sie positionieren sich spitzer und richten ihre eigene Fähigkeitenarchitektur auf die attraktiven Kunden aus. Dafür ist ein hohes Verständnis der Kundenbedarfe erforderlich und auch die Bereitschaft, mit der ein oder anderen Tradition zu brechen. Neue Marktbearbeitungsansätze, digitale Tools für die Anwender oder Plattformlösungen mit Wettbewerbern, Händlern oder Anwendern sind nur einige wenige Möglichkeiten, sich differenzieren zu können.
GLASWELT – An welcher Schnittstelle kommen Sie ins Spiel, was ist Ihr Beratungsansatz?
Blepp – Das ist immer auf die individuelle Ausgangssituation unserer Kunden zugeschnitten. Oftmals diskutieren wir gemeinsam mit den Kunden die zentralen Herausforderungen des Geschäftsmodells und leiten daraus die Fragestellungen im Markt, Wettbewerb und Kundenumfeld ab, die wir dann eingehend analysieren. Unser Beratungsansatz ist dabei sehr umsetzungsorientiert. In der Vergangenheit haben wir beobachtet, dass sogenannte Strategien meist in der Schublade landen und nicht umgesetzt werden, weil die Mitarbeiter auf sämtlichen Führungsebenen nicht mitgenommen werden und die Strategie selbst nicht auf die Kultur des Kunden ausgerichtet war.
GLASWELT – Herr Blepp, besten Dank für Ihre Auskünfte.
Das Gespräch führte Chefredakteur Daniel Mund auf den Rosenheimer Fenstertagen.