Glaswelt – Die Deutschen gehen mit einer neuen Regierung inklusive neuen Bauministerium in eine neue Legislatur. Wird jetzt alles besser im Bausektor in Deutschland?
Christoph Blepp – Ich wäre wirklich sehr überrascht, wenn jetzt alles besser wird. Der Bausektor ist komplex und ich hoffe eher, dass auf die Unternehmen nicht noch mehr Bürokratie und Regulatorik zukommt.
Glaswelt – Klara Geywitz von der SPD ist die neue Bundesbauministerin. Die Politikwissenschaftlerin ist ausgewiesene Kennerin des Politikbetriebes auf Landesebene und arbeitete ein gutes Jahr als Prüfgebietsleiterin im Landesrechnungshof Brandenburg. Hat sie mit dieser Vita damit den Ministerposten zu Recht inne?
Blepp – Während Ihrer Zeit im Landesrechnungshof und im Ausschuss zum BER Flughafen hat sie sicherlich erfahren, welche Auswirkungen die komplexen Planfeststellungsverfahren und Bauauflagen auf den Fluss im Bauprozess haben. Ob sie das Bauministerium ausfüllen und im Sinne der Industrie auch gestalten wird, bleibt abzuwarten.
Glaswelt – Kommt es überhaupt auf eine besondere Qualifikation in der Fachthematik eines Minister-Ressorts an oder muss ein Minister eher ein gutes Händchen in der Besetzung der Staatssekretäre und hochrangigen Beamten an den Tag legen?
Blepp – Ganz genau, denn die bringen den fachlichen Input und müssen die ministerialen Anweisungen in die Praxis umsetzen. Deshalb spielt der Apparat unterhalb der Ministerin eine wesentliche Rolle in der Frage, wie effektiv das Ministerium sein kann oder wird. Dennoch muss die Ministerin letzten Endes den Kopf für unbequeme Entscheidungen hinhalten und dafür eine gehörige Portion Beharrlichkeit an den Tag legen. Denn unbequeme Entscheidungen wird es in den kommenden Jahren genug geben.
Glaswelt – Welche Weichen müssen jetzt gestellt werden, damit die Bauindustrie im Allgemeinen und die Bauelementebranche im Speziellen erfolgreich wirtschaften kann?
Blepp – In erster Linie muus die Bürokratie abgebaut werden. Manche Unternehmen beschäftigen sich mit bis zu 30 Prozent ihrer Arbeitszeit mit der Bewältigung bürokratischer Auflagen und der Kommunikation mit den zuständigen Ämtern. Wir haben verlernt, bzw. uns selbst immer mehr darin blockiert, effektiv zu bauen und die Anforderungen jeder noch so kleinen Interessengruppe werden in Planungs- und Umsetzungsprozesse eingebunden. Das ist auf der einen Seite ein Thema der Politik, allerdings müssen sich wirtschaftliche Interessensverbände auch an der Nase packen. Viele Auflagen kommen natürlich auch über Zertifizierungen usw. in den Markt. Zudem wird sich die Personalknappheit immer weiter zuspitzen und gleichzeitig soll mehr gebaut und saniert werden, das kann nicht funktionieren. Im Bereich der Bauelemente bestehen bereits sinnvolle Ideen und Konzepte seitens der Industrie, welche man jetzt auch unbürokratisch entfalten lassen muss. Modularisiertes bauen und Modulbau, Montagehilfen, Effizienzsteigerungen durch Softwarenutzung sind nur einige Beispiele.
Glaswelt – Die alte Bundesregierung hat noch schnell ein Lieferkettengesetz verabschiedet. War das hilfreich für die Bauindustrie?
Blepp – Grundsätzlich ist es aus einer gesellschaftlichen Perspektive heraus normativ richtig, dass sich Unternehmen zu nachhaltigen und ethisch korrekten Lieferketten verpflichten. Allerdings beobachten wir, dass die Masse der Unternehmen dies schon länger so auch proaktiv umsetzt und pflegt. Die „schwarzen Schafe“ werden auch weiterhin Schlupflöcher finden, das sind dann aber meistens die größeren Unternehmen. Mittelständische Unternehmen werden eher wieder mit bürokratischen Auflagen belegt. Ob das hilfreich ist, muss man sich ernsthaft überlegen.
Glaswelt – Was sind die wichtigen Stellschrauben, damit die Hebel umgelegt werden, die Sanierungsquote steigen kann, damit auch die Gebäudehülle ihren wichtigen Beitrag in Sachen Klimawende leisten kann?
Blepp – Wenn wir uns anschauen, wieviel Personal in den kommenden Jahren aus dem Handwerk in Rente geht und wieviel an Nachwuchs nachkommt, dann wird mir angst und bange. Die Politik kann beim Fachkräftemangel zumindest durch gezielte Zuwanderungskonzepte und die Förderung der Ausbildung im Handwerk unterstützen, während das Handwerk bspw. gezielt Frauen anwerben könnte. Unternehmen in der Bauzulieferindustrie kommt eine entscheidende Rolle bei. Wie bereits beschrieben sind Montagehilfen und vor allem Vorkonfektionierung oder Modularisierung bedeutsame Hebel, um das Handwerk in der Sanierung zu entlasten.
Glaswelt – Sie haben sich in einer Studie mit dem Thema der CO2-Neutralität und den Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette im Hochbau befasst. Wie werden sich denn die CO2-Reduktionsanstrengungen auf die einzelnen Werkstoffströme und Hersteller auswirken? Werden Auftraggeber auf klimaneutral produzierende Lieferanten Wert legen?
Blepp – In der Tat wird dies sehr spannend. Der CO2-Preis wird sich massiv auf die Bauindustrie auswirken, da Gebäude eine vergleichsweise tiefe Wertschöpfung aufweisen und jede Stufe einen CO2-Aufschlag setzen wird. Wir sehen bereits jetzt, dass sich größere Entwickler, Generalunternehmer oder Systemgeber das Ziel gesetzt haben, bis 2030 klimaneutral zu sein und die Anforderung entsprechend nach unten in die Wertschöpfungskette drücken. Es ist auch nur eine Frage der Zeit, bis die CO2-Bilanz bei öffentlichen Ausschreibungen ein ganz zentrales Steuerungselement sein wird. Das fällt bei Holz leichter, bei PVC und Stahl wird beispielsweise die Recyclingquote und hier und da ggf. Substitution wichtiger werden. Bis beispielsweise der Volumenmarkt mit preiswertem grünen Stahl komplett beliefert werden kann, gehen noch einige Jahre ins Land – und damit denke ich eher an 30 Jahre als an 10.
Glaswelt – Der ift-Institutsleiter Jörn Lass formulierte es kürzlich so: „Wir müssen die gesamte Lieferkette auf den Prüfstand stellen“ und am Ende die Ersparnis bei der CO2-Emission eines Gebäudes herausstellen. Das „CO2-Äquivalent ist der neue U-Wert“. Stimmen Sie dem zu?
Blepp – Absolut. Geschlüsselt in Prozessemissionen und Nutzungsemissionen, und da wird es spannend im Bereich Fenster und Fassade. Klimaneutrale Fenster zu produzieren ist heute erst einmal sehr teuer, gleichzeitig brauche ich aber eine Gebäudehülle, die keine oder kaum Wärme-/ Kältebrücken aufweist und damit die entsprechenden Bauelemente und somit eine ganzheitliche Bilanzierung der jeweiligen CO2-Effekte. Das aber genau zu quantifizieren und aufrechnen zu können, um dann eine Prozess- und Nutzungsbilanz in einem Topf für eine Produktgruppe betrachten können, wird die Herausforderung sein.
Glaswelt – Wir beobachten anhaltende Konsolidierungsaktivitäten auf dem Bausektor – insbesondere im Fenster- und Fassadenbau. Sind die lukrativen Einstiegsmöglichkeiten für die Investoren nach wie vorhanden? Was hören Sie in dem M&A-Thema?
Blepp – Das Thema PVC-Fenster ist für deutsche Private Equity Investoren nachhaltig verbrannt in Deutschland, da traut sich so bald niemand mehr ran. Wir bemerken aber gerade, wie größere ausländische Fonds und Investoren aber auch europäische Mid-Cap Investoren den Markt für nachhaltige Bauelemente sondieren. Der Markt für nachhaltige Bauprodukte, welche einen Beitrag zur Klimaneutralität leisten können, ist für sie hochattraktiv. Hier werden wir schon sehr bald den einen oder anderen spannenden Deal sehen. Gleichzeitig bedeutet das Thema Klimaneutralität auch erst einmal Investitionen. Größere Gruppen können diese oftmals besser stemmen, auch dieser Umstand wird die Konsolidierung weiter treiben.
Glaswelt – Besten Dank für das Gespräch und Ihnen alles Gute für 2022!
Die Fragen stellte Chefredakteur Daniel Mund
Studie zur Zukunft der Bauindustrie
Christoph Blepp und das S&B Strategy-Team haben eine eine neue Studie herausgebracht. Zentrale Fragestellung war dabei, wie sich die CO2-Reduktionsziele auf die einzelnen Werkstoffströme und Hersteller in der Bauindustrie auswirken werden und was die Handlungsfelder für die nächsten Jahre sind. Bei Interesse wenden Sie sich an Christoph Blepp.
Blepp@sandb-strategy.com