Die thermische Sanierung spielt eine wichtige Rolle wenn es darum geht, den Energieaufwand im Gebäudesektor zu begrenzen. Speziell bei denkmalgeschützten Bauten können solche Sanierungsmaßnahmen allerdings in Konflikt mit dem Fassadenschutz und anderen Vorgaben geraten. Oft werden solche Gebäude daher beispielsweise von innen gedämmt, um die Ästhetik der Gebäudehülle nicht zu beeinflussen. Ähnlich verhält es sich mit Fenstern, welche zwar einen wichtigen Beitrag zur thermischen Leistungsfähigkeit der Gebäudehülle liefern, allerdings nicht mit Dämmungen aufgedoppelt werden können. Der Austausch gegen moderne Kunststoff-, Alu- oder Holzfenster ist in vielen Fällen aus rechtlichen und/oder ästhetischen Gründen nicht realisierbar.
Eine Möglichkeit, diese Objekte auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen besteht darin, lediglich die Einfachverglasung gegen moderne zwei- oder dreifachverglaste Scheiben auszutauschen. Aufgrund der Heterogenität historischer Fenster ist jeder Prozess aber oft mit einem beträchtlichen Anteil manueller Arbeit und somit hohen Kosten verbunden.
Die in Basel (CH) ansässige Quadra Ligna AG ist ein Unternehmen, das sich seit über 40 Jahren auf die Renovierung historischer Fenster spezialisiert. Für das Einsetzen von Isoliergläsern werden dabei die bestehenden Rahmen aufgefräst und auf der Außenseite mit Leisten aufgedoppelt. Schließlich wird noch zum besseren Abdichten gegen den Rahmen eine Dichtung um den gesamten Fensterflügel angebracht. Die schematische Darstellung eines sanierten Fensterflügels ist in Abbildung 5 dargestellt. Dergestalt sanierte Fenster bieten gegen innen ein unverändertes Bild und gegen außen kann die Optik einfach angepasst werden.
Eine betriebsinterne Analyse ergab, dass der manuelle Prozess der Entnahme des alten Glases und das Auffräsen des Fensters für rechteckige Fenster etwa 45 min in Anspruch nimmt. Fenster mit Bögen und anderen Formen benötigen noch länger, stellen allerdings nur einen geringen Anteil (~20 %) der Produktion dar.
Die Problematik des Ausglasens
Der nicht wertschöpfende Prozess des Ausglasens bringt noch weitere Herausforderungen mit sich: Die Einfachverglasung alter Fenster wird oft mit einem asbesthaltigen Kitt im Rahmen gehalten. Wird ein solcher Kitt manuell von einem Fenster entfernt, stellt dieser Prozess ein gesundheitliches Risiko für die ausführende Person dar. Zuletzt darf auch nicht vergessen werden, dass das Herauskratzen eines Kitts eine Arbeit darstellt, die von Tischlern (deren Kompetenzen im weiteren Renovationsprozess gebraucht werden) schlichtweg ungern ausgeführt wird.
Ausgehend von dieser Analyse lancierte Quadra Ligna in Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule ein Innovationsprojekt, um die angesprochenen Defizite zu beseitigen.
Material und Methoden
Die hier beschriebenen Versuche wurden in den Laboren der Berner Fachhochschule in Biel/Bienne (CH) durchgeführt. Als Testmaterial dienten rechteckige Fenster mit unterschiedlicher Sprossenanzahl und -Position, die von der Quadra Ligna AG bereitgestellt wurden. Für die Bearbeitungen wurde ein Kuka-Knickarmroboter eingesetzt. Dieser verfügt über eine für Industrieroboter gängige sechsachsige Kinematik. Der Roboter verfügt zusätzlich über einen Drehtisch. Der Antrieb der Werkzeuge erfolgte mit einer Spindel (HSD e919) mit 9.5 kW Nennleistung. Die Umdrehungszahl für sämtliche Bearbeitungen mit Werkzeugen bis 85 mm Durchmesser erfolgte mit der Maximaldrehzahl der Spindel von 24 000 RPM (siehe Abb. 1).
Zum Spannen wurden die Fenster direkt am Glas mithilfe von Vakuumsaugern gehalten (Abb. 4).
Schnitte neben dem Kittfalz bringen den Erfolg
Bereits in einer frühen Projektphase wurde deutlich, dass das explizite Entfernen des Kitts nicht sinnvoll automatisiert werden konnte. Daher wurde das in Abbildung 2 dargestellte Verfahren vorgeschlagen. Da möglichst wenig Material vom Rahmen entfernt werden sollte, kamen Fingerfräser für die Bearbeitung nicht in Frage. Mit Kreissägeblättern können zwar sehr dünne Schnittfugen erzeugt werden, allerdings bedingt die Sägegeometrie, dass Schnitte – wie auf der Oberseite in Abbildung 2 dargestellt – nicht exakt bis zum Endmaß geführt werden können. Entweder bleibt Material auf der Unterseite, welches anderweitig entfernt werden muss, oder der Schnitt muss zu weit geführt werden.
Nach Diskussion mit dem Industriepartner stellte sich heraus, dass zu weit geführte Schnitte ohnehin in einem Folgeprozess von Leisten abgedeckt und somit nicht sichtbar werden. Da auch keine strukturellen Bedenken in Bezug auf die Eigenschaften des Rahmens geäußert wurden, entschieden wir schließlich, die Schnitte etwas weiter als notwendig zu führen. Das Ergebnis einer
solchen Bearbeitung ist in Abbildung 3 dargestellt.
Es ist besonders erwähnenswert, dass die hier vorgestellte Schnittführung den Kitt nicht berührt. Das vermeidet komplett das Entstehen potenziell asbesthaltigen Staubes.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass der Kitt tatsächlich nur in seltenen Fällen und nur über sehr kurze Strecken zerspant wird. Da beim Zerspanen alter Farben ebenfalls gesundheitsgefährdender Staub entstehen kann, wurde die gesamte Anlage eingehaust und mit einer leistungsstarken Absaugung ausgestattet. In Summe konnte so die gesundheitliche Gefährdung für Mitarbeitende minimiert werden.
Eine weitere Herausforderung im Design des Bearbeitungsprozesses stellte die Werkzeugaufnahme dar. Wie in Abbildung 2 am Schnitt von unten ersichtlich, wird das Blatt – ebenfalls um den strukturellen Eingriff in den Fensterflügel minimal zu halten – möglichst nahe am Glas geführt. Das stellte spezielle Anforderungen an die Werkzeugaufnahme und konnte mit einer klassischen Fixierung auf einer Nabe nicht umgesetzt werden. Die entwickelte Lösung ist in Abbildung 1 dargestellt. Die mittige Bohrung des Sägeblattes wurde für das Zentrieren des Werkzeuges auf einer maßgefertigten Nabe benutzt. Die eigentliche Fixierung erfolgte mit vier M3 Senkkopfschrauben, für die entsprechende Bohrungen in das Blatt gemacht wurden.
Ausgiebige Versuche haben gezeigt, dass die konstruierte Blattaufnahme ausreichend stabil ist und es waren keine exzessiven Vibrationen am Blatt festzustellen, was zu einer guten Schnittqualität führte.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in einem Holzfenster metallische Fremdkörper enthalten sind. Diese können Glaserecken oder dünne Nägel sein. Die schließlich verwendeten Sägeblätter konnten mit dieser Situation allerdings gut umgehen. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass Glaserecken und Nägel bis etwa 1 mm Durchmesser nicht zu nennenswerten Problemen führen. Während sie den Verschleiß zwar beschleunigen, können die Werkzeuge noch lange für Bearbeitungen genutzt werden, bevor die Schnittqualität deutlich degradiert. In keinem Fall kam es zu Schäden an den Holzrahmen, da sich der Werkzeugverschleiß akustisch ankündigt und an der Schnittqualität gut erkennbar ist.
Automatisiertes Ausglasen mithilfe eines Roboters
Der Prozess musste für eine volle Automatisierung auf eine Werkzeugmaschine übertragen werden. In der konkreten Anwendung sind die Ansprüche an die Toleranzen mit +/- 1 mm gering und es entstehen bei der Bearbeitung mit den verwendeten Werkzeugen nur geringe Schnittkräfte. Ebenfalls sind die jährlich verarbeiteten Fenstermengen gering. Aufgrund dieser Umstände wurde ein robotisches System von Anfang an als Alternative zu einer CNC-basierten Lösung betrachtet. Die Entscheidung zugunsten eines Roboters für die Bearbeitung wurde schließlich aufgrund der Platzverhältnisse und Kosten gefällt.
In Anbetracht dieser Entscheidung wurde eine prototypische Anlage zum Entglasen von Fenstern an der Berner Fachhochschule umgesetzt. An diesem System konnten sämtliche Komponenten entwickelt werden. Die so entwickelten Lösungen wurden nach Ende des Projektes von einem Systemintegrator beim Industriepartner installiert.
Eine weitere Herausforderung in der mechanischen Umsetzung der Anlage war das Positionieren und Spannen der Fenster. Eine Positionierung gegen mechanische Anschläge konnte nicht realisiert werden. Zum einen wurden die Außenkonturen der Fensterflügel nicht vermessen, da für die Renovierung lediglich das Glaslichtmaß ausschlaggebend ist. Doch selbst mit einer zusätzlichen Messung wären Anschläge an der Außenseite des Fensters nicht praktikabel. Ungenaue Konturen, Rahmenverzug und unterschiedlich positionierte Beschläge würden das exakte Platzieren eines Fensters gegen mechanische Anschläge stören.
Wir beschlossen daher, eine optische Positionierhilfe zu verwenden. Ein fest verbauter Laser projizierte ein Laserkreuz auf den Nullpunkt des Koordinatensystems der Bearbeitung (vgl. Abbildung 4, links). Für eine exaktere Positionierung wurde ein weiteres Laserkreuz mit dem Roboter auf die schräg gegenüberliegende Ecke des Fensters projiziert.
Deutliche Zeitersparnis beim Ausglasen
Ein wesentlicher Entwicklungsaufwand wurde schlussendlich in ein Programmierinterface für die robotische Bearbeitung investiert. Das Ziel war es, dass Mitarbeitende der Quadra Ligna AG einfach und effizient Pfade für den Roboter generieren können. In der Umsetzung wurde gefordert, dass auch Fenster mit Sprossen, welche unterschiedlich breit sind, horizontal und vertikal verlaufen und in beliebiger Anzahl und Abständen vorhanden sein können, abgedeckt sein müssen. Für diese deutlich komplexere Aufgabe wurde ein anwendungsspezifisches CAM-System umgesetzt.
Nach der Implementierung beim Industriepartner konnte dank dem hier vorgestellten Prozess das Ausglasen und Auffräsen eines (rechteckigen) Fensterflügels in nur 10 min, anstatt von 45 min erledigt werden.
Digitalisierung der Datenflüsse
Weiteres Optimierungspotenzial wurde beim Datenaufnahmeprozess des Unternehmens gesehen. Die groben Fensterlichtmaße für die Angebotserstellung sowie die detaillierten Glaslichtmaße für die Bearbeitung und Glasbestellung wurden mithilfe von Excel-Tabellen ausgeführt. Während die erste Vermessung von einer Person durchgeführt werden konnte, erforderte die detaillierte Aufnahme zwei Personen – eine für die Vermessung mittels Maßbandes und eine zweite für den Übertrag der Daten. Speziell der letzte Prozess benötigte unnötig hohe personelle Ressourcen und die Kommunikation der Daten führte immer wieder zu Eingabefehlern.
Das entwickelte CAM-System benötigt konstant formatierte Daten für einen reibungslosen Ablauf. Neben der Digitalisierung der Maßaufnahme war ein entscheidender Aspekt dieser Entwicklung die Einbindung in die bestehenden betrieblichen Prozesse des Unternehmens. Als Kleinunternehmen (mit etwa einem Dutzend Mitarbeitender) wickelt die Quadra Ligna AG einen Großteil ihrer Tätigkeiten über Excel-Tabellen ab. Für die Gewährleistung der Kompatibilität mit diesen bestehenden Prozessen erlaubte unsere anwendungsspezifische Lösung jederzeit den Export bestehender Datensätze in Excel-Tabellen. Ein Rückimport in die zentrale Datenbank wurde nicht implementiert. Damit konnten Prozesse, wie die Erstellung von Angeboten (Offerten) und die Bestellung von Gläsern, wie gewohnt abgewickelt werden, ohne die Stammdaten zu gefährden.
Dieser Datenfluss wurde mithilfe einer selbst entwickelten Applikation umgesetzt. Die rechte Seite in Abbildung 6 stellt die angedachte Benutzung der Applikation dar. Mit einem am Handgelenk befestigten Mobiltelefon kann die Eingabemaske einhändig benutzt werden und die Maßaufnahme kann beidhändig erfolgen, ohne das Mobiltelefon ablegen zu müssen.
Dank der Implementierung des hier vorgestellten digitalisierten Datenflusses und der Datenaufnahme konnten die Personalaufwände bei der Detailvermessung von Fenstern um 50 % reduziert werden.
Die Ergebnisse aus diesem Projekt zeigen, dass Digitalisierung und Automatisierung für administrative Prozesse genauso wie für die Fertigung genutzt werden können und auch für kleine Unternehmen leistbar sind und Verbesserungen bringen.