Gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als es beim feudalen Adel zum guten Ton gehörte, sich von einem versierten Baumeister wie Johann Balthasar Neumann oder Johann Fischer von Erlach eine mondäne Residenz, dazu vielleicht noch ein Lust- oder Jagdschloss mit barocken Stilmitteln errichten zu lassen, spielte das Fenster eine zunehmend wichtige Rolle in dieser Phase überschwänglicher Repräsentationsarchitektur.
Herübergeschwappt aus Italien, lösten nun auch in Deutschland plastische, weiche und mit verspieltem Zierrat versehene Fassaden die statisch ausgewogenen und sehr klar strukturierten Bauwerke der Renaissance ab.
Gebäudehohe Fensterachsen gliedern schmuckvolle Fassaden
Gemäß den tradierten Regeln antiker Formen und Proportionsgesetze ordnete sich im Barock zwar die Selbstständigkeit der einzelnen Bauteile dem Gesamteindruck einer Fassade unter, jedoch nutzten die Baumeister die stark auf die Vertikale ausgerichteten Fensteröffnungen dazu, die großen Fassadenflächen mit einer geschossübergreifenden Kolossalordnung zu gliedern. Säulen und übereinander angeordnete Fenster dienten ihnen als wichtiges Gestaltungselement, um Hauptachsen zu betonen und wichtige Gebäudeteile hervorzuheben.
Wo die Fenster nicht geschosshoch waren, halfen reich dekorierte und mit viel plastischem Schmuck verzierte Brüstungsfelder, die optischen Lücken in den vertikalen Achsen zu vervollständigen. Pfeiler, Pilaster und Gebälk in Dreiecks- oder Segmentform umrahmten die Fensteröffnungen. Während sich die Baumeister bei ihren betuchteren Auftraggebern bemühten, die schwülstige Pracht der Ornamentik immer weiter auf die Spitze zu treiben, indem sie zum Beispiel Dreiecks- oder Segmentgiebel an der Spitze optisch aufsprengten, begnügte man sich bei einfacheren Gebäuden mit glatten oder schlicht ptofilierten Fenstereinfassungen.
Der hölzerne Fensterstock ersetzt das Steinkreuz
Im Barock galt das Rechteckfenster als Normalfenster, in Varianten als Rund- oder Segmentbogenfenster ausgebildet. Längst befanden sich die von der Gotik bis in die Renaissance üblichen Steinstützenfenster auf dem Rückzug, um nun, im ausgehenden 17. Jahrhundert, endgültig dem hölzernen Fensterstock zu weichen. Fortan wurden die Flügel an Blend-, Block- oder Zargenrahmen angeschlagen, die in der Anfangsphase des Barock meist mittig durch ein Querholz unterteilt waren. Das vertikale Pendant zu dem sogenannten Kämpfer oder Riegel war das Setzholz oder der Pfosten – diese in der Regel mittige horizontale und vertikale Fensterteilung ließ das Mittelkreuzstockfenster entstehen.
Es gab jedoch auch die Variante mit zwei langgestreckten Flügeln ohne Kämpfer und Setzholz, die mit Überschlag in einem Schrägfalz oder Wolfsrachenprofil schlossen. Neben den Drehflügeln kannte man auch noch im Barock Schiebeflügel, die sich nach oben oder unten aufschieben ließen.
Profilierungen und Winterfenster schützen vor Wind und Kälte
Obwohl der Adel, die Fürsten und Könige es sich leisten konnten, ihre Fenster zu verglasen, war es in den Sälen und Gemächern in den kalten Wintermonaten noch immer bitter kalt. Ganz zu schweigen von den eisigen Temperaturen in den einfachen Holz- und Fachwerkhäusern ihrer Untertanen, die aufgrund der kleineren Räume zwar leichter zu beheizen waren, jedoch nach dem Erlöschen des Feuers rasch wieder auskühlten. Abhilfe und weniger Gänsehaut bei den luftig bekleideten Damen und Herren am Hofe versprachen die neuen Winterfenster, die fest mit Haken an der Außenseite des Blendrahmens gesichert wurden. Sofern sie über kleine Öffnungsflügel – meist in der Größe eines Glasfeldes – verfügten, waren diese nach außen drehbar angeschlagen oder als Schiebeflügel konstruiert. Sobald das Frühjahr anbrach, wurden die Winterfenster abgenommen und bis zum Herbst auf dem Dachboden verstaut.
Auch die Konstruktion des Hauptfensters wandelte sich. Allmählich verschwand – zunächst nur im unteren Teil des Kreuzstockfensters – das Setzholz, weil sich die ineinander schlagenden Flügel immer mehr durchzusetzen begannen. Die Fuge der überfälzten Flügel (Stulp) wurde von einer Schlagleiste verdeckt, deren Profilierung an das Setzholz erinnerte [1]. Anders als heute waren die Flügel nicht ringsum gleich verfalzt – während der Übergang zum Blendrahmen einen einfachen oder doppelten Falz aufwies, schloss der Flügel an der Bandseite entweder mit geradem Falz oder karniesförmig an. Die Fenster des Barock waren auch bereits mit einem Wetterschenkel ausgestattet, der mit dem unteren Flügelholz aus einem Stück geformt war.
Die zu jener Zeit üblichen rechteckigen oder wabenförmigen Butzenscheiben waren in ihrer Größe begrenzt, weshalb die Fensterflächen zunächst mit Bleisprossen, später dann mit Holzsprossen unterteilt werden mussten. Das typische Profil der barocken Holzsprosse im ausgehenden 17. Jahrhundert war entweder ein Viertelrundstab mit Kehle, ein Viertel- oder Halbrundstab mit flankierenden kleinen Rundstäben oder das gerne verwendete Karnies. Gleicherart waren auch die Kanten der Fensterrahmen geformt: handwerklich über Schlitz- und Zapfenverbindungen sowie Verblattungen gefügt und von Holznägeln gesichert.
Fortschritte in der Glaserzeugung
Während die handwerklichen Geschicke es erlaubten, die hölzernen Bestandteile des barocken Fensters immer weiter zu verfeinern, blieb die Qualität der Verglasung noch weit hinter den Fortschritten bei der Fensterkonstruktion zurück. Die kleinen, unebenen und ungeschliffenen Butzenscheiben ließen nur wenig Licht durch, und Glas war noch immer ein sehr kostbares Gut.
Erst ab dem 18. Jahrhundert setzte sich das im Zylinderverfahren hergestellte Tafelglas durch. Die rechteckigen und deutlich ebeneren Gläser ließen sich besser schleifen und polieren, erreichten so eine verbesserte Transparenz und mussten nicht mehr, wie die Bleiverglasungen, zusätzlich mit Windeisen gesichert werden [2]. Auch bei den Tafelgläsern war die Größe begrenzt, weshalb weiterhin Holzsprossen für die Verglasung nötig waren. Mit dem Aufkommen des Fensterkitts war es nun möglich, die Scheiben nachträglich über einen Kittfalz einzusetzen – die Nut in den Sprossen konnte entfallen und fortan konnten die Scheiben auch bei Bruch einfacher ausgetauscht werden.
Neben den Materialien Holz und Glas hatten inzwischen auch Metalle ihren festen Platz beim Bauteil Fenster: Beschlägen aus Eisen, Messing- und Bronzelegierungen kam die Aufgabe zu, die Befestigung, Verriegelung und Versteifung der Fenster zu optimieren. Die ersten Stangenverriegelungen aus verschiebbaren Triebstangen (Bascule-Beschlag) und Drehstangen (Espagnolette) gewährleisteten den sicheren Verschluss größerer Flügel. Aufgeschraubte Eckwinkelbänder verbesserten deren Stabilität und erleichterten das Einhängen in die Stützkloben.
Weder die verwöhnten Monarchen noch das gemeine Volk ahnten am Vorabend der Französischen Revolution, wie tief greifend sich die Gesellschaft in den nächsten Jahren verändern würde. Kein Tischler und kein Glaser konnte sich ein Bild davon machen, was für eine Zäsur die bevorstehende Industrialisierung für die Herstellung und technische Entwicklung des Fensters mit sich bringen sollte. —
[1] Gerner, Manfred, Dieter Gärtner, Historische Fenster – Entwicklung, Technik, Denkmalpflege, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 1996.
[2] Schittich, Christian et al.: Glasbauatlas, Institut für Internationale Architekturdokumentation, München, 1998.
Der Autor
Klaus Siegele war nach einer Schreinerlehre und dem Architekturstudium zehnJahre Redakteur bei der db deutsche bauzeitung und führt seit 2000 ein eigenes Architekturbüro. Er ist Fach- und Buchautor für Architektur, Bautechnik, Nachhaltigkeit und energieeffizientes Bauen und für viele Fachzeitschriften, u. a. den Gebäude-Energieberater GEB, tätig.