Länder wie Dubai, China oder Russland, wo das Bauen boomt, fordern moderne im Internationalen Stil entworfene Gebäude mit hochverglasten Fassaden. Dies ermöglicht es Architekten, ihre Leistung zu exportieren und neue Märkte zu erschließen. Dieses Know-how basiert auf unserem gemäßigten Klima, und lässt sich nicht direkt auf eine andere Klimazone übertragen. Das Bauen in anderen Teilen der Welt erfordert Kenntnis über die lokalen Wettergegebenheiten und das Klima. Fließt dieses Wissen nicht bereits in die erste Planungsphase ein, kann häufig nur der massive Einsatz von Haustechnik zum komfortablen Betrieb eines Gebäudes führen.
Aktuelle Doppelfassaden beispielsweise, die die eigene natürliche Lüftung über einen längeren Zeitraum im Jahr ermöglichen, lassen sich nicht ohne weiteres an jedem Standort der Welt errichten, auch wenn der Look einer hochtechnisierten Gebäudehülle gewünscht wird. Die Umsetzung solcher gestalterischen Anforderungen erfordert meistens ein Vielfaches an Energie, die in extremen Klimazonen eingesetzt werden muss, um durch Klimaanlagen und weiteren haustechnischen Komponenten einen komfortablen Gebäudebetrieb zu ermöglichen.
Als Forschungsvorhaben an der TU Delft analysiert die Facade Research Group die jeweiligen klimatischen Gegebenheiten aller Klimazonen der Erde anhand von acht ‚Boomtowns‘. Ziel der Arbeit ist die Aufstellung von Anforderungen an die Gebäudehülle am jeweiligen Standort. Bereits in der frühen Planungsphase soll den planenden Architekten ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, mit dem sich sinnvolle Kombinationen von Fassadentechnologien und haustechnischen Komponenten ablesen lassen.
Die Gruppe versteht sich in Teilen als Vermittler zwischen Architekt und Bauphysiker- bzw. Klimaingenieur, deren Wissen häufig erst in den späteren Planungsphasen „mit an Bord“ genommen wird. Den Architekten fällt es schwer eine Unzahl an Diagrammen und Wetterstatistiken richtig zu interpretieren und diese in einen Entwurf zu überführen, der nicht gegen sondern mit dem „Klima“ arbeitet.
Diagramme als Werkzeuge
Als erstes anschauliches Ergebnis der Arbeit kann die Verwendung des Mollier Diagramms genannt werden. In der Bauphysik und in der Klimatechnik ist das Mollier Diagramm oder h-x Diagramm bestens bekannt. Mit Hilfe des Diagramms lassen sich die zur Klimatechnik gehörenden Luft-Zustände sowie die Zustandsänderungen grafisch darstellen und berechnen. Im Internationalen Gebrauch wird es als Carrier-Diagramm oder so genanntes Psychrometric Chart mit vertauschten Achsen verwendet.
Auf der x-Achse dieses Charts ist die Temperatur in°C angegeben und auf der y-Achse die absolute Feuchte in Gramm pro kg trockene Luft eingetragen. Verfolgt man die Zustandsänderungen der Luft, die man mit Hilfe dieses Charts eintragen kann, lassen sich eindeutige Richtungen ablesen, wenn die Luft hinsichtlich Ihrer Eigenschaften und Parameter verändert werden soll. Bild 1 zeigt die möglichen Zustandsänderungen denen die Luft unterzogen werden muss oder kann, um sie den Anforderungen anzupassen. So ist beispielsweise die trockene Zufuhr von Wärme als Heizvorgang von links aus niedrigeren Temperaturen parallel zur x-Achse zu verzeichnen. Sobald Temperatur und Feuchte reguliert werden müssen, verlaufen die Zustandsänderungen in diagonaler Richtung, wie die Grafik leicht verständlich darstellt.
Neben den Zustandsänderungen der Luft, lässt sich ebenfalls die thermische Behaglichkeit, die den Komfort eines Menschen in einem Raum beschreibt, in das Diagramm eintragen. Die thermische Behaglichkeit lässt sich als umschriebenen Bereich von Temperatur, absoluter sowie relativer Feuchte beschreiben. Grundlage dieses Komfortbereichs sind die Festlegungen nach ASHRAE ( American Society of Heating, Refrigeration and Air-Conditioning Engineers ), die als internationale Komfortparameter anerkannt sind. Solange sich die Temperaturen und Luftfeuchten in diesem Behaglichkeitsbereich befinden, fühlt sich der Nutzer wohl.
Klimaanalysen
Ausgehend von langjährigen Wettermessungen sind Testreferenzjahre verfügbar, die das Klima einer Stadt oder Region abbilden. Aus diesen Wetterdaten, die in stündlichen Messwerten vorliegen, lassen sich Temperaturverlauf und Feuchtegehalt der Luft entnehmen. Diese Wertepaare lassen sich dann als Koordinate aus Temperatur und absoluter Feuchte in das Chart (Bild 1) eintragen. Bild 2 zeigt die Testreferenzjahre von Abu Dhabi, Singapur und Berlin als Punktwolke. Diese Punktwolke ist wie der Fingerabdruck einer Stadt charakteristisch und lässt auf die Klimazone und die vorherrschenden Klimakonditionen schließen.
Jede Klimazone hat ihre spezielle typische geometrische Ausdehnung. Überlagert man nun diese Punktwolken mit der Grafik in Bild 1, lassen sich die Luftkonditionierungsmaßnahmen aufzeigen, die man vornehmen muss, um die Behaglichkeitszone zu erreichen. Hier am Beispiel Singapur lässt sich einfach ablesen, das die Gebäudehülle und Haustechnik die Funktionen Kühlen und Entfeuchten erfüllen muss.
Es ist geplant, aus den Erkenntnissen der Forschungsarbeit ein Tool in Zusammenarbeit mit Transsolar/Stuttgart zu entwickeln, dass das Planen in anderen Klimazonen von Beginn an unterstützt, um die jeweiligen Anforderungen an Fassade und Haustechnik für das jeweilige Klima leicht und verständlich ablesen zu können. Dem Architekten soll somit die Auswahl sinnvoller Kombinationen in Abhängigkeit der Klimazone aufgezeigt werden, um Gebäude in Zukunft besser optimieren zu können. Produzenten und Systemlieferanten kann dieses Wissen helfen, neue Märkte und Potenziale aufzuzeigen, um für die jeweiligen Klimata zugeschnittene Lösungen anbieten zu können. Der Kurs ist gesteckt, die Bordkarten sind aktualisiert – auf zu neuen Ufern. —
Der Autor
Der Architekt Marcel Bilow ist seit 2002 am Lehrstuhl von Prof. Dr. Knaack (FH Lippe/Höxter) als Projektleiter Forschung und Entwicklung tätig. Seit 2006 ist er Mitglied in der Facade Research Group der TU Delft und arbeitet dort am Thema „International Facade“. 2008 gründete er sein eigenes Fassadenplanungsbüro „imagine envelope bv“ in Den Haag.