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Interview mit DGNB-Präsident Prof. Manfred Hegger

Wie wird Nachhaltigkeit beurteilt?

Prof. Manfred Hegger ist Präsident der DGNB und Leiter des Fachgebiets Entwerfen und Energieeffizientes Bauen an der TU Darmstadt. Das Interview für die GLASWELT führte Jörg Pfäffinger.

GLASWELT: Wie können Bauprodukte Eingang in eine DGNB Zertifizierung finden?

Manfred Hegger: Um Planenden und Zertifizierenden die Arbeit zu erleichtern, richten wir gerade eine internetbasierte Datenbank für Bauprodukte ein, den DGNB Navigator. Er liefert unter https://www.dgnb-navigator.de/ Informationen über wesentliche Eigenschaften von Bauprodukten in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit. Dies betrifft beispielsweise ökologische Aspekte, aber auch Fragen des Gesundheitsschutzes und der Lebenszykluskosten. Diese Eigenschaften von Bauprodukten fließen über verschiedene Kriterien in die Zertifizierung eines Gebäudes ein. Ein wichtiger Bestandteil des DGNB Systems ist die Ökobilanzierung des gesamten Bauwerks. Sie beschreibt, welche ökologischen Auswirkungen ein Gebäude über seinen ganzen Lebenszyklus hinweg hat, also von der Gewinnung der Rohstoffe für Bauprodukte über die Errichtung des Gebäudes und den Betrieb bis zum Rückbau. Diese Beschreibungen der Nachhaltigkeits-Eigenschaften von Bauprodukten sind aber auch unabhängig von einer Zertifizierung von großer Bedeutung. Sie dienen im Planungsprozess als wichtige Entscheidungsgrundlage.

GLASWELT: Bei Gebäuden welcher Größenordnung werden künftig Nachhaltigkeits-Zertifikate vorzulegen sein?

Hegger: Wir sind der Auffassung, dass Nachhaltigkeitszertifikate grundsätzlich freiwillig sein sollen. Jeder Bauherr oder Investor soll selbst darüber entscheiden, ob er zum Nachweis der Qualität seines Objektes ein DGNB Zertifikat präsentieren möchte oder nicht. Bei der Größenordnung der Objekte gibt es nach oben wie nach unten keine Grenzen. Die DGNB bietet Nutzungsprofile für kleinere Wohngebäude ebenso an wie für komplexe Bauvorhaben, etwa für Shopping Center, Industriebauten oder Büro­gebäude.

GLASWELT: Wie viel Zertifikate wurden von der DGNB bis heute ausgestellt?

Hegger: Seit dem Startschuss vor zwei Jahren haben wir über 180 Vorzertifikate und Zertifikate verliehen. Vorzertifikate werden auf Basis von Planungen ausgestellt und unterstützen den weiteren Realisierungsprozess eines Objekts. Zertifikate weisen die Qualität des fertig gestellten Gebäudes nach.

GLASWELT: Werden durch die Einführung des Nachhaltigkeitszertifikats besonders die kleineren und innovativen Betriebe im Wettbewerb benachteiligt, weil sie aus Kostengründen für ihre Produkte keine Zertifikate bringen können?

Hegger: Zunächst einmal gilt festzuhalten, dass die DGNB keine Zertifikate für Bauprodukte ausstellt, sondern nur für Gebäude – hier gibt es manchmal noch Missverständnisse am Markt. Auch die EPDs, auf die Sie vielleicht anspielen, sind keine Zertifikate. Es sind sogenannte Umwelt-Produktdeklarationen, die Hersteller freiwillig auf der Grundlage von ISO-Normen entwickeln. Hersteller können mit EPDs die Umweltleistung ihrer Produkte deutlich machen. Deshalb erleichtern EPDs den Zertifizierungsprozess bei der DGNB, sie enthalten relevante Umweltinformationen. Ich denke, dass sich gerade auch kleinere Unternehmen mit diesem Instrument einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Die Kosten für EPDs sind meistens überschaubar, vor allem, weil mittlerweile viele Ökobilanzdaten von Vorprodukten verfügbar sind. Interessant für kleine und mittlere Unternehmen ist es, Fördermöglichkeiten im Auge zu behalten – in Kürze etwa über das EU-Programm GreenConserve, bei dem die DGNB Konsortialpartner ist.

Gerade beim Einsatz von neuen Produkten sollte jeder Architekt und jeder Ingenieur darauf achten, dass er sich mit ihnen keine zukünftigen Altlasten – kurze Lebensdauern oder andere Probleme – einbaut. Er sollte sorgfältig wählen und er sollte durchaus grob abfragen, was für Vorprodukte in den vorgesehenen Produkten enthalten sind, die möglicherweise für die spätere Nutzung, für den Gebrauch, für die Dauerhaftigkeit oder auch für die Umweltbelastungen in den Räumen problematisch werden können. Hier können EPDs eine wichtige Entscheidungshilfe sein.

GLASWELT: Was würden Sie einem Komponentenhersteller – beispielsweise einem Fensterhersteller – in Bezug auf die DGNB und seine EPD-Verpflichtung raten?

Hegger: Grundsätzlich ist es ja so, dass auch ein mittelständischer Fensterhersteller mit Vorprodukten Dritter arbeitet. Er kann von seinem Lieferanten die entsprechenden Deklarationen einfordern, dies wird zunehmend gebräuchlich. Und EPDs sind keine Auflage der DGNB, sondern eine internationale Beschreibungsnorm für Produkte. Die DGNB fordert nicht zwingend EPDs, sondern kann auch andere Typen von Deklarationen aufnehmen. Die entsprechenden Daten werden für die Ökobilanzierungen und Dauerhaftigkeitsnachweise eingesetzt. Allerdings denke ich, dass ein Unternehmen, das für seine Produkte nicht über eine EPD verfügt, auf lange Sicht ein Problem am Markt haben könnte. Ähnliches gilt heute schon für die chemische Industrie, die für die Vorproduktkette die entsprechende Deklaration der Europäische Union erfüllen muss.

GLASWELT: Also ist die EPD ein Dokument, das als Pflicht angesehen werden muss?

Hegger: Ganz unabhängig von der DGNB nimmt die Bedeutung von EPDs kontinuierlich zu. Aber abgesehen davon: Für Unternehmen ist es in der Regel sehr aufschlussreich, eine EPD zu entwickeln. Der Prozess legt meistens Optimierungsmöglichkeiten in der Produktion und auch Möglichkeiten für Innovation und Marketing offen. Ich betrachte die EPD deshalb als Innovationsmotor – in Bezug auf eine Veränderung der Produktionsbedingungen und auch der Produktqualität, was dessen gesamten Lebenszyklus angeht.

GLASWELT: Glauben Sie, dass sich in Zukunft ein einheitlicher Standard für den Nachweis der Nachhaltigkeit durchsetzen wird?

Hegger: Es gibt immer regionale oder nationale Spezifika, auf die man ­Rücksicht nehmen muss, etwa auf Klimazonen, Umweltbedingungen, rechtliche Rahmenbedingungen etc. Die deutsche EnEV ist etwas anderes als Schweizer Standards wie Minergie oder Minergie-P Eco, und die Schweizer Standards sind wieder anderes als das Klimahaus in Südtirol, usw. ­Dennoch sollte meiner Ansicht nach langfristig ein Kernbereich der Systematik ermöglichen, dass man mit den gleichen Fragestellungen an die Nachhaltigkeitsbewertung herangeht, aber eben immer spezifisch auf die Region bzw. das Land bezogen. Genau diese Aspekte berücksichtigt die DGNB. Die Basis bildet ihr neu geschaffenes internationales Zertifizierungssystem. Gemeinsam mit Partnerorganisationen in anderen Ländern wird das System an die jeweiligen Bedingungen vor Ort angepasst.

GLASWELT: Die Amerikaner haben das LEED, die Engländer BREEAM – ist das vergleichbar mit dem, was Sie in Deutschland machen?

Hegger: Das DGNB System ist jünger und entsprechend weiter entwickelt. Es wird als ein System der zweiten Generation betrachtet, unter anderem, weil es die Ökobilanzierung und die Lebenszyklusbewertung integriert. Außerdem orientiert sich das DGNB System nicht an einzelnen Maßnahmen, die abgefragt werden, sondern es bewertet die Leistungsfähigkeit des Gesamtgebäudes. Während der Schwerpunkt angelsächsischer Systeme auf ökologischen Fragen liegt, verfolgt das deutsche System einen ganzheitlichen Ansatz. Es bezieht ökonomische Aspekte gleichberechtigt ein. Zugleich werden Gesundheit, Wohlbefinden und Nutzerkomfort im Gebäude ebenfalls sehr stark gewichtet. Darüber hinaus legt die DGNB größten Wert auf Objektivierung, d.h. wir arbeiten grundsätzlich mit nachvollziehbaren Daten und Benchmarks. —

DGNB Navigator für Bauprodukte

Die Nachhaltigkeit eines Gebäudes hängt nicht zuletzt von der Qualität und Leistungsfähigkeit der verwendeten Produkte ab. Aktuell wird eine Online-Datenbank für Bauprodukte entwickelt – der DGNB Navigator. Die Marktversion soll im Juni an den Start gehen.

In Anlehnung an den Kriterienkatalog ihres Zertifizierungssystems werden hier relevante Informationen über technische Eigenschaften sowie über ökologische, ökonomische und gesundheitsrelevante Aspekte von Bauprodukten zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus stehen Lebenszykluskosten zu Bauprodukten bereit und auch detaillierte Ökobilanzdaten, etwa aus Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declaration EPD).

Die Informationen der Online-Datenbank stammen von Produktherstellern. Vor einer Veröffentlichung führt die DGNB eine Prüfung der Daten durch und sorgt für die Qualitätssicherung.

Allen Herstellern bietet der DGNB Navigator die Chance, die Qualität ihrer Produkte unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit darzustellen und ihre Zielgruppen mit diesen Informationen optimal zu erreichen. Zugleich liefert ihnen der DGNB Navigator eine Orientierung, welche Informationen über ihre Produkte für das Zertifizierungssystem der DGNB relevant sind – und wie sie aufbereitet sein müssen, um eine Zertifizierung optimal zu unterstützen.

Mehr Infos https://www.dgnb-navigator.de/

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