_ Mit dem Parametric System habe man den Entwurf und die Realisierung von Freiform-Fassaden in einen in sich geschlossenen, durchgängig abgestimmten Prozess überführt, der durch ein Höchstmaß an Effizienz, qualitativer Wertigkeit und Flexibilität überzeuge, so die Entwicklungsingenieure des Bielefelder Systemhauses.
Von zentraler Bedeutung für individuelle 3D-Fassaden mit dem Parametric System ist dabei die durchgehende Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette, vom ersten Entwurf über die konkretisierende Planung bis zur Realisierung in der Produktion und auf der Baustelle. Das binnen zwei Jahren zur Serienreife gebrachte System stellt dazu eine Bibliothek „intelligenter“ Fassadenmodule als Plug-Ins für CAD-Programme bereit. Diese Elemente können in der Entwurfsphase beliebig kombiniert und parametrisch gestaltet werden.
Plausibilitätskontrolle schon in der Entwurfsphase
Die Erstprüfung der technischen Machbarkeit erfolgt parallel, also bereits in den ersten Entwurfsschritten. Die Fassadenmodule können dabei mit unterschiedlichen Funktionen ausgestattet werden: Transparente oder opake Füllungen, die Integration von Photovoltaikelementen oder weitere ästhetisch gewünschte Veränderungen – der Architekt hat bei allen kreativen Freiheiten die technische Plausibilitätskontrolle immer im Modell inklusive. Die Module lassen sich einzeln oder vernetzt als Gesamtfassade im 3D-Modell parametrisieren. Über Simulationswerkzeuge kann die Fassade darüber hinaus mit zusätzlichen Informationen aufgeladen werden. Sie gewinnt so durch mögliche funktionelle und ästhetische Optimierungsprozesse einen technologischen Mehrwert, der Architekt Planungssicherheit.
Diese „Intelligenz“ der Module zahlt sich für alle Beteiligten in der Prozesskette aus: Durch die vollständige und lückenlose digitale Datenkette entfallen in der Übergabe ab sofort für Planer, Verarbeiter und Monteure die typischen Schnittstellen-Problematiken. Der zu jedem Fassadenmodul hinterlegte 3D-Datenbestand schließt fehlerhafte Auffassungen von Entwurfs- oder Detaillierungszeichnungen zuverlässig aus.
Es bleibe zudem transparent, welche Kosten in der Fertigstellung entstehen und wie sich eventuelle Änderungen preislich auswirken. So überblicken alle Beteiligten jederzeit nicht nur die technische, sondern auch die wirtschaftliche Machbarkeit.
Fertigungskompetenz inklusive
Die ersten Planungsdaten implizieren bereits die Maschinencodes für entsprechende CNC-Bearbeitungsmaschinen. Eine separate Programmierung der einzelnen Profilzuschnitte entfällt – und damit auch Fehlerquellen und Kosten.
Der Moduldatenbestand enthält die praxistaugliche Codierung jedes einzelnen Profils und Bauteils. Während der Bearbeitung werden diese Codes auf den Bauteilen dauerhaft angebracht, sodass die Zuordnung und Fügung der Bauteile im Element und an der Fassade unverwechselbar sind. Das erhöht sowohl die Effizienz im Bauablauf als auch die Montagesicherheit.
Mit Parametric System sei für Freiform-Fassaden die kundenspezifisch individualisierte Massenproduktion realisiert worden. Das System kombiniert dazu die wirtschaftlichen Vorteile industrieller Serienfertigung mit dem Wunsch der Kunden nach individuellen und exklusiven Produkten und Lösungen. Der komplett digitalisierte Prozess sei damit ein Paradebeispiel für die „Industrielle Revolution 4.0“ aktueller Expertendiskussionen.—
Die GLASWELT sprach mit Dipl.-Ing. Architekt Andreas Fuchs, der Professor für Baustofflehre, Baukonstruktion und Entwerfen an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden ist. Weiterhin ist er Gründer der unabhängigen Forschungsplattform FAT LAB in Stuttgart und mit diesem Team unter anderem aktiv an der Entwicklung von Schüco Fassadensystemen beteiligt.
Glaswelt – Herr Prof. Fuchs, Sie sind Gründer der Forschungsplattform FAT LAB in Stuttgart. Was ist die Idee hinter dieser Plattform?
Prof. Andreas Fuchs – Das FAT LAB ist eine unabhängige Forschungsplattform im Bereich der Architektur und Baukonstruktion. Wir arbeiten an Produkt- und Konzeptentwicklungen mit dem Ziel, Innovationen im Rahmen von Forschungs- und Realisierungsprojekten zu suchen, diese prototypisch umzusetzen und so neue Lösungsansätze für die Architektur anzubieten. Ausführliche Recherchen und Analysen der Architekturtendenzen und das fundierte Wissen über neuartige Konstruktionsansätze, Materialien, komplexe 3D Werkzeuge und Fertigungstechnologien stellen die Basis dar. Unsere Auseinandersetzung mit Lösungen im Bereich der Gebäudehülle und Tragwerksstrukturen beschränken sich nicht auf limitierende Spezialisierungen. So konnten wir in den letzten Jahren mit Firmen, wie z. B. Schüco, Seele, Max Bögl, Okalux oder Sto, zu unterschiedlichsten Fragestellungen zusammenarbeiten.
Glaswelt – Gebäudefassaden haben wir bisher als ebene Flächen wahrgenommen und weniger als räumliche Gestaltungsgebilde. Sind diese 3D-Gestaltungsoptionen ein Trend avantgardistischer Architektur oder werden künftig auch einfachere Gebäude Freiformfassadenelemente bekommen?
Prof. Fuchs – Die aktuelle Tendenz in der Architektur von ebenen, rechtwinkligen Formen hin zu oft doppelt gekrümmten Freiformen, welche nicht mehr durch planare, rechtwinklige Flächen dargestellt werden können, stellt die nunmehr über 100 Jahre alte Curtain-Wall Technologie tatsächlich vor eine schwierige Aufgabe. Diese wurde vor dem Hintergrund der industriellen Serienfertigung für ebene Flächen entwickelt und basiert auf der Addition rechtwinkliger und meist gleicher Module. In Verbindung mit der oftmals kubischen Architektur machte dies hinsichtlich der Kosten und dem überschaubaren Planungsaufwand durchaus Sinn, limitiert die geometrischen Möglichkeiten für den architektonischen Entwurf jedoch erheblich. Aktuell weichen allerdings immer mehr Entwürfe, unabhängig von ihrer Projektgröße, von diesem Vorgehen ab. Dabei kann man viele Projekte in Deutschland noch als „konservativ“ bezeichnen. Im internationalen Kontext ist die Tendenz zu spektakulärer Architektur mit komplexen Formen viel deutlicher.
Glaswelt – Ist der Trend in der Architektur, Gebäude im 3D-Modell zu planen auch wirklich beim Hersteller angekommen? Ist der dafür nötige Datenaustausch gelebte Praxis?
Prof. Fuchs – Genau hier setzt das Projekt „Parametric System“ an. Aufgrund des Fortschrittes moderner parametrischer 3D-Planungswerkzeuge in Verbindung mit Building Information Modeling (BIM) werden zukünftig die 3D-Daten vom Planer über den Systemgeber zu den ausführenden Firmen eine durchgängige Kette bilden. Bei der Realisation der Prototypen für die BAU wurde ein 3D-Modell, vom Entwurf bis zur Ausführung, als zentrales Element verwendet. In Zukunft werden Firmen wie Schüco genau diesen Prozess aktiv mitgestalten und unterstützen so die Planer als auch die ausführenden Firmen. Ist es nicht selbstverständlich, dass wir heute als Architekten z. B. nahezu alle Möbel als 3D Elemente von den Herstellern zur Verfügung gestellt bekommen und diese in der Planung implementieren?
Glaswelt – Wie werden kleinere Bauelemente-Zulieferer in das Konzept integriert?
Prof. Fuchs – Aus unserer Sicht ist dies weniger eine Frage der „Größe“ als vielmehr der Bereitschaft, sich komplexeren Fragestellungen zu stellen. CNC gesteuerte Maschinen besitzt heute nahezu jeder verarbeitende Betrieb und die Vernetzung und der Umgang mit digitalen Daten ist Standard. Die komplexen Werkzeuge für die sichere Planung, Kalkulation und Erstellung von Ausführungsdaten kann und soll jedoch nicht von jedem Verarbeiter individuell erzeugt werden. Aus meiner Sicht ist es genau der richtige Weg, dass sich darum der Systemgeber mit seinem Know-how und den notwendigen Ressourcen kümmert, denn darin steckt die Komplexität und das größte Fehlerpotenzial.
Glaswelt – Mit dem Parametric System wird die Losgröße 1 zum Standard. Werden damit nicht auch die Prozesskosten in die Höhe getrieben?
Prof. Fuchs – Wir müssen uns langsam von dem Gedanken der Industrialisierung und der damit verbundenen „Massenproduktion“ verabschieden. Die Zukunft gehört mit Sicherheit einer individualisierten Produktion, der Begriff Mass Customization wird nicht nur die Architektur dieses Jahrhunderts maßgeblich prägen, sondern hat bereits unsere Industrie maßgeblich verändert. Wenn wir den Prozess des simplen Zuschnittes eines Aluminiumrohres zwischen einer Säge und einem Rohrlaser vergleichen, sind der Unterschied und die damit verbundenen Möglichkeiten fundamental. Die Säge längt das Rohrprofil eben ab, die Komplexität steigt mit unterschiedlichen Winkeln. Für den Laser macht es keinen Unterschied ob er entlang einer Schnittebene oder wesentlich komplexere Linien wie z. B. Kurven, Verzahnungen und Unterbrechungen schneidet. Für dieses Werkzeug ist vielmehr von Bedeutung, wie es automatisiert seine Produktionsdaten bekommt.
Glaswelt – Wir leben in einer Zeit, in der größere Objekte entweder extrem lange gebaut werden oder/und deutlich teurer werden als geplant. Lassen sich mit einem solchen System diese Prozesskosten und -zeiten besser in den Griff bekommen?
Prof. Fuchs – Es gibt bisher kaum bekannte Systeme für komplexe Gebäude. Meistens werden verfügbare Standardkomponenten in die gewünschte Form gezwungen und dabei wird jedes einzelne Bauteil zum Prototyp. Das heißt, unsere „Bausysteme“ verlieren ihre ursprüngliche Funktion der typisierten Lösung. Der Wunsch nach „freien Formen“ macht also auch „freie Bauprodukte“ im Sinne von geometrisch adaptiven Systemen erforderlich. Dies ist ein wesentliches Ziel im Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Parametric System“. Die Objektgröße in der Architektur ist dabei zweitrangig. Ist die Komplexität in Form von Parametern erfasst, kann die Planung automatisiert werden und individuelle Entwürfe erfordern keinen „zusätzlichen“ Aufwand.
Glaswelt – Was ist Ihre Vision von der Fassade der Zukunft? Ist die Farbgestaltung durch die Freiform-Optionen in den Hintergrund getreten?
Prof. Fuchs – Mein Wunsch ist es Technologien zu entwickeln, die mehr Freiheiten für den Planer und die Architektur bieten. Wie Stahl und Stahlbeton die Ära der Industrialisierung und Moderne prägen konnten, so wird die parametrische Planung in Verbindung mit neuen Materialien und Fertigungstechniken die Architektur des digitalen Zeitalters prägen. Aus welchem Grund sollen wir uns auf 90°, ebene Flächen und wiederholende Elemente beschränken? Dies steht keineswegs einer ambitionierten Farbgestaltung entgegen. Wenn Sie sich beispielsweise das Projekt KFW Westarkade von Sauerbruch Hutton anschauen, haben wir hier ein gelungenes Beispiel für komplexe Geometrie, abwechslungsreiche Farbgestaltung und dynamische Architektur. Aus meiner Sicht muss Architektur und die damit verbundene Industrie mehr bieten als einen nostalgischen Blick zurück in die Vergangenheit.—
Die Fragen stellte Chefredakteur Daniel Mund.