_ Das Bauen hat sich in vielen Bereichen grundlegend verändert. Eine weithin sichtbare Veränderung sind immer größer werdende Glasflächen im modernen Neubau oder die Vergrößerung von Fensteröffnungen bei der Sanierung im Bestand (Bild 1). Dabei werden oft auch sogenannte absturzsichernde Fensterelemente eingesetzt, die zusätzlich die Funktion einer absturzsichernden Umwehrung, wie z. B. ein Geländer, übernehmen.
Im Folgenden wird der aktuelle Stand zu dieser Thematik zusammengestellt und auf die Verbindung der Absturzsicherung (absturzsichernde Verglasung) mit dem Bauwerk eingegangen.
Aus TRAV wurde DIN 18008, Teil 4
Bis zur vollständigen bauaufsichtlichen Einführung von DIN 18008-4 [2] im Jahr 2015 galten die bauaufsichtlich eingeführten „Technischen Regeln für die Verwendung von absturzsichernden Verglasungen“ (TRAV) in der Fassung vom Januar 2003 [9]. Gegenüber den TRAV wurden in dem Normteil weitergehende Regelungen aufgenommen, so zum Beispiel, dass auch Horizontalverglasungen mit Scheibenneigung zur Angriffsseite hin oder punktförmig gelagerte Verglasungen der Kategorie A verwendet werden können.
Allgemein ist nach der Musterbauordnung (MBO, § 38) eine Umwehrung (als Absturzsicherung) erforderlich, wenn ein festgelegter Höhenunterschied zwischen Verkehrsflächen besteht. Verkehrsflächen sind solche Flächen, auf denen sich Personen (sowohl in öffentlichen als auch in privaten Bereichen) aufhalten können. Der Höhenunterschied zwischen diesen Verkehrsflächen, ab dem Umwehrungen vorzusehen sind ist, mit Ausnahme von Bayern*, in allen Bundesländern mit > 1 m definiert.
Glasausfachungen von Fensterelementen sind als absturzsichernde Verglasungen zu behandeln, wenn die betreffende Verglasung unterhalb der nach Landesbauordnung vorgegebenen Umwehrungshöhe (Holmhöhe) zum Einbau kommt.
Erforderliche Holmhöhe
Die erforderliche Holmhöhe wird in den Landesbauordnungen (LBO) als Mindesthöhe über der jeweiligen Verkehrsfläche angegeben. Bei absturzsichernden Fensterkonstruktionen beträgt die erforderliche Höhe des lastabtragenden Holmes bzw. Querriegels 0,9 m bis zu Absturzhöhen von 12 m. Bei größeren Absturzhöhen sind 1,1 m einzuhalten (neben den bauordnungsrechtlichen Vorschriften sind, sofern es sich um Arbeitsstätten handelt, auch die Technischen Regeln Arbeitsstätten ASR A2.1 zu beachten. Hier ist die Holmhöhe bis zur Absturzhöhe von 12 m mit 1,0 m festgelegt).
Nachweis der Tragfähigkeit von absturzsichernden Verglasungen
DIN 18008-4 fordert, genau wie davor die TRAV, dass für absturzsichernde Verglasungen immer zwei Nachweise zur Tragsicherheit zu führen sind:
- Nachweis der Tragsicherheit für <b>statische</b> Einwirkungen wie, z. B. Wind, Klima, horizontale Nutzlast (oder kurz „Holmlast“, vgl. Bild 2)
- Nachweis der Tragfähigkeit für <b>stoßartige</b> Einwirkungen aus Personenanprall.
Verglasungen der Kategorie C1, C2 und C3, die im Innenbereich verwendet werden, erfordern nur den Nachweis der Tragfähigkeit für stoßartige Einwirkungen.
Für den „Nachweis der Tragfähigkeit für stoßartige Einwirkungen aus Personenanprall“ gibt es nach DIN 18008-4 verschiedene Alternativen:
- Nachweis der Stoßsicherheit von Verglasungen mittels Bauteilversuch (Anhang A der Norm)
- Einhaltung konstruktiver Bedingungen (Anhang B der Norm)
- Nachweis der Stoßsicherheit von Glasaufbauten durch Berechnung (Anhang C)
ETB-Richtlinie: Bauteile, die gegen Absturz sichern
Die im Jahre 1985 veröffentlichte ETB-Richtlinie „Bauteile, die gegen Absturz sichern“ ist bis heute, d. h. über 30 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, eine eingeführte technische Baubestimmung und damit noch immer unverändert gültig. In der Muster-Liste der Technischen Baubestimmungen bzw. in den Listen der eingeführten technischen Baubestimmungen der Bundesländer finden sich dafür „aktuelle“ Hinweise, die bei der Anwendung dieser technischen Regel zu beachten sind.
Die ETB-Richtlinie gilt für nichttragende Bauteile, die außer ihrer Eigenlast nur auf ihre Fläche wirkende Lasten aufnehmen und auf andere Bauteile übertragen. Diese Bauteile haben darüber hinaus die Aufgabe, einen von ihnen umschlossenen Raum oder Raumabschnitt so zu sichern, dass Personen und Gegenstände, die auf diese Bauteile einwirken, nicht gefährdet werden (Sicherungsfunktion gegen Absturz).
Die Richtlinie ist bei Bauteilen anzuwenden, die einen Höhenunterschied zwischen Verkehrsflächen von mehr als 1 m sichern. Für Bauteile, die aus Erfahrung als ausreichend sicher beurteilt werden können, braucht ein Nachweis der Stoßbelastung gemäß der Richtlinie nicht geführt zu werden.
Dabei unterscheidet die ETB-Richtlinie zwei Einbaubereiche für raumabschließende Bauteile, Brüstungen, Umwehrungen und dergleichen:
- Wohnungen, Hotel- oder Büroräume usw. mit geringer Menschenansammlung.
- Größere Versammlungsräume, Schulräume usw. mit großen Menschenansammlungen.
Weiterhin unterscheidet die Richtlinie bei der Belastung der Bauteile, die gegen Absturz sichern, zum einen in „horizontale, statische Lasten“ und zum anderen in „stoßartige Belastungen“.
Für den „Einbaubereich 1“ sind als horizontale Last (Linienlast) 0,5 kN/m und für den „Einbaubereich 2“ 1,0 kN/m in einer Höhe von 90 cm über dem Fußboden anzusetzen. Bei Geländern ist die Last auf Holmhöhe anzusetzen, auch wenn die Holmhöhe von 90 cm abweicht. Die Windlasten sind mit diesen Lasten zu überlagern.
Stoßartige Belastung
Für die Differenzierung der Personen und Gegenstände, die auf absturzsichernde Bauteile einwirken, unterscheidet die ETB-Richtlinie den „weichen Stoß“ und den „harten Stoß“: Für die Befestigung am Bauwerk braucht der harte Stoß nicht nachgewiesen zu werden. Für baupraktische Fälle genügt der Nachweis des weichen Stoßes. Dadurch wird nachgewiesen, dass das Befestigungselement für diesen Fall eine größere Widerstandskraft besitzt als 2,8 kN. Als Widerstandskraft darf die Kraft angesetzt werden, bei der ein Versagen gerade noch nicht eintritt.
Anmerkung: In Montageleitfaden der RAL wird die genannte „Widerstandskraft“ als Bruchlast definiert und gefordert, dass das Befestigungsmittel eine statische Tragfähigkeit aus Versuchen von mind. 2,8 kN je Befestigungspunkt aufweist.
Befestigung am Bauwerk
Es sollte selbstverständlich sein, dass bei der normativen Forderung eines Standsicherheitsnachweises für die Verglasung eines Fensters auch die Weiterleitung der zu verankernden Lasten im tragenden Verankerungsgrund (Bauteil) nachzuweisen sind. Für DIN 18008-1 wurde eine ähnliche Formulierung wie in der TRAV gewählt; dort heißt es in Abschnitt 8.1.1 wie folgt: „Für die Nachweise der Glasbefestigung, Unterkonstruktion, Befestigung am Gebäude, usw. gelten die einschlägigen technischen Regeln.“
Der Leitfaden zur Montage, Abschnitt 5.3.2 stellt in Bezug auf absturzsichernde Elemente ebenfalls klar: „Die Lastableitung muss vom absturzsichernden Bauteil bis in den tragenden Baugrund nachgewiesen werden.“ Weiter wird definiert, dass „Befestigungssysteme […] mit allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassung zu verwenden sind, die die tatsächliche Einbausituation und den Anwendungsfall abdecken. Alternativ kann der Nachweis im Rahmen einer Zustimmung im Einzelfall geführt werden (ZiE).“
Für die Lastabtragung von absturzsichernden Fensterelementen in den tragenden Baukörper, i. d. R. die Gebäudeaußenwand, kommen daher nur Dübelsysteme in Frage, die über eine Zulassung geregelt sind – da es nur für diese Systeme bauaufsichtlich eingeführte Bemessungsregeln für einen entsprechenden Nachweis gibt – oder über die bereits angesprochene Zustimmung im Einzelfall.
Auch die Bemessung der Verglasung nach DIN 18008-4 [2] impliziert, dass man den Lastfluss der Einwirkungen auf die absturzsichernde Verglasung im Prinzip von der Einwirkungsstelle der Stoßlast bis in den tragenden Baugrund verfolgen und nachweisen muss und dass man nicht einfach bei der Nachweisführung der Befestigung unterbrechen bzw. abbrechen darf. Statisch bemessen werden können aber nur – wie bereits im Absatz zuvor erwähnt – zugelassene Befestigungs- bzw. Dübelsysteme bzw. solche, die über eine Zustimmung im Einzelfall geregelt werden. Bei Baukörperanschlüssen aus anderen Baustoffen sind die Nachweise gemäß den eingeführten Technischen Baubestimmungen, z. B. im Stahlbau nach DIN EN 1993 [7], zu führen.
Nachweisführung der Befestigung
Mit Schreiben vom 02.12.2014 [19] wurde von der Bauministerkonferenz dargestellt, wie die Verankerung am Gebäude (vgl. Bild 3) zu planen ist. Dort heißt es wörtlich: „Die Standsicherheit von Bauteilen, die gegen Absturz sichern, ist mittels technischer Baubestimmungen nachzuweisen. Abschnitt 6.4 der Norm DIN EN 1991-1-1/NA:2010-12 enthält Angaben zu Horizontallasten zur Absturzsicherung. Die Abtragung der Horizontallasten, die gegen Absturz sichern, in die tragenden Bauteile des Tragwerks ist nachzuweisen. Dafür kommen nur geregelte Bauprodukte und Bauprodukte mit allgemeinem Verwendbarkeitsnachweis in Betracht. Es wird noch darauf hingewiesen, dass die ETB Richtlinie neben dem o. g. Nachweis […] noch ergänzende Nachweise gegenüber stoßartigen Belastungen vorsieht.“
Eine Möglichkeit die Forderungen in [19] zu erfüllen sind im System zugelassene Befestigungslösungen wie z. B. die „Fenstermontagekonsole W-ABZ“ (vgl. Bild 4). Dieses System verfügt über eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung [10], die sowohl die Schiene selbst als auch die Befestigung am Stahlprofil des Kunststoff-Fensterrahmens und die Verwendung der Dübel im Verankerungsgrund bauaufsichtlich regelt. In diesem System können für diese besondere Anwendung auch Kunststoff-Rahmendübel mit einer Zulassung für Mehrfachbefestigungen von nichttragenden Systemen verwendet werden, da die Systemzulassung die Anwendung in diesem Sonderfall neu regelt.
Nachweis der horizontalen, statischen Belastung
In der ETB-Richtlinie [8] wurden die horizontalen Linienlasten für die Einbaubereiche 1 und 2 differenziert. In der modernen Normung ist für die „Bereichseinteilung“ DIN EN 1991-1-1:2010-12 [5] mit dem zugehörigen nationalen Anhang DIN EN 1991-1-1/NA:2010-12 [6] maßgebend.
Neben den bauordnungsrechtlichen Vorschriften sind, sofern es sich um Arbeitsstätten handelt, wiederum auch die Technischen Regeln Arbeitsstätten ASR A2.1 [16] zu beachten. Hier ist für Umwehrungen für den allgemeinen Fall immer eine horizontale Nutzlast von 1,0 kN/m anzusetzen. Für die Kategorie B1, z. B. Büro-Flure (= Arbeitsstätte), stehen damit [6] mit 0,5 kN/m und [16] mit 1,0 kN/m als horizontale Linienlast im Widerspruch. Hier sollte daher bis zu einer Abstimmung beider Regelwerke auf der sicheren Seite mit qk = 1,0 kN/m gerechnet werden.
Überlagerung von horizontaler Linienlast und Windlast
Bei absturzsichernden Verglasungen wird es sich in den meisten Fällen um Außenfenster handeln, die zusätzlich zu den horizontalen Linienlasten auch durch Windlasten beansprucht werden. Die Windlasten und die horizontalen Linienlasten sind zu überlagern. Das vorgestellte System W-ABZ kann nach der Zulassung [10] auch für Windlasten bemessen werden, d. h. das entsprechende absturzsichernde Element kann umlaufend mit dem System befestigt werden, wobei die Befestigungselemente dann entsprechend nachzuweisen sind. Dabei kann es durchaus erforderlich werden, dass zur Aufnahme der horizontalen Nutzlast vier Konsolen (zwei je Seite) auf Holmhöhe erforderlich werden (Bild 5). Diese Konsolen sollten dann symmetrisch zum Holm bzw. der angenommenen Höhe der horizontalen Nutzlast angeordnet werden.
Verwendung von Kunststoffdübeln
Die Verwendung des Systems W-ABZ ist u. a. auch mit dem Kunststoff-Rahmendübel W-UR 8 nach [12] geregelt. Ohne diese Regelung nach [10] können Kunststoff-Rahmendübel mit einer europäischen technischen Zulassung/Bewertung, die nur für Mehrfachbefestigungen von nichttragenden Systemen zugelassen sind, in dieser Anwendung nicht ohne Weiteres verwendet werden. Weitere Regelungen zur Verwendung dieser Art von Dübelsystemen enthält beispielsweise das Handbuch der Dübeltechnik [20].
Bei Kunststoff-Rahmendübeln muss zusätzlich z. B. im Verankerungsgrund Mauerwerk ein Achsabstand von mindestens 25 cm (vgl. [12]) zwischen den Konsolen eingehalten werden, um jeden Dübel (und damit jede Konsole) mit der vollen Dübeltragfähigkeit ausnutzen zu können. Nur in Beton sind kleinere Achsabstände zum Ansatz von Einzeldübeln möglich.
Soll ein absturzsicherndes Fensterelement z. B. in Lochziegelmauerwerk befestigt werden, kann das System W-ABZ mit einer „Querplatte“ verbunden werden und die Last aus einer Konsole auf 2 Dübel verteilt werden. Damit kann die Holmlast insgesamt auf bis zu vier Kunststoff-Rahmendübel verteilt werden.
Für den Fall, dass die Dübeltragfähigkeiten für das entsprechende Mauerwerk noch immer nicht ausreichen, kann es in Mauerwerk sinnvoll sein, Injektionssysteme mit europäischer technischer Zulassung/Bewertung nach [14] zur Verankerung in Betracht zu ziehen.—
Die Literaturliste aus dem Beitrag haben wir hier hinterlegt unter www.glaswelt.de/Service/Downloads
Fußnoten
* In der Bayerischen Bauordnung (BayBO, Artikel 36) sind „Flächen, die im Allgemeinen zum Begehen bestimmt sind und unmittelbar an mehr als 0,50 m tiefer liegende Flächen angrenzen“ zu umwehren, d. h. mit einer Absturzsicherung zu versehen.
Die Autoren
Dr.-Ing. Dipl.- Wirt.-Ing. (FK) Jürgen H. R. Küenzlen M. A. ist Projektleiter im Bereich der Befestigungstechnik bei Adolf Würth GmbH & Co. KG.
Dipl.-Ing. (FH) Eckehard Scheller ist Projektleiter Technisches Marketing Befestigungstechnik bei Würth.
Dipl.-Ing. Hermann Hamm ist Inhaber des Ingenieurbüros für Baustatik Glas und Stahlbau.