Zwar kann heute noch nicht zuverlässig davon ausgegangen werden, dass eine Wohnungslüftungsanlage zwingend vorgeschrieben ist, doch birgt die Alternative, den vorgeschriebenen Luftaustausch allein der zusätzlichen Fensterlüftung der Bewohner zu überlassen, erhebliche rechtliche Risiken.
Die Ergebnisse der Untersuchung im Einzelnen: Sowohl die geltende Energieeinsparverordnung (EnEV) als auch die DIN 4108-2 (Wärmeschutz und Energieeinsparung in Gebäuden, Teil 2: Mindestanforderungen an den Wärmeschutz) bestimmen, dass die Gebäudehülle dauerhaft luftundurchlässig abgedichtet sein muss. Gleichzeitig schreiben beide Regelwerke
einen ausreichenden Luftwechsel vor.
Das soll verbrauchte Atemluft, also eine erhöhte Kohlendioxid-Konzentration, zu hohe Raumluftfeuchte und dadurch begünstigte Schimmelbildung sowie eine zu hohe Schadstoffbelastung durch Ausdünstungen aus der Wohnungseinrichtung verhindern.
Wie aber kann gleichzeitig luftdicht und hinreichend luftdurchlässig gebaut werden? Den erforderlichen Luftwechsel sieht die DIN gewährleistet, wenn alle zwei Stunden die Luft einmal ausgetauscht wird (Luftwechsel•= 0,5 h-1). Bei der geforderten Luftdichtheit der Gebäudehülle wäre unter Standardannahmen ein kompletter Luftaustausch nur über Gebäudeundichtheiten frühestens nach mehr als 3 Stunden (n = 0,3 h-1), bei sehr gut abgedichteten Häusern sogar erst nach zehn Stunden (n = 0,1 h-1) gegeben.
Dies ergibt sich auch aufgrund des Lüftungskonzepts, wie es nach dem neuen Entwurf der
DIN 1946 Teil 6 (Dezember 2006) - ein wichtiges Hilfsmittel für Planer zur Bewertung und Nachweis des notwendigen Luftaustausches – für Wohngebäude vorgesehen ist.
Der Planer muss also dafür sorgen, dass der notwendige Luftaustausch anders als durch Leckagen in der Gebäudehülle erreicht wird. Bauausführende und Vermieter stellen sich hierbei gerne auf den Standpunkt, dass die Bewohner über die Fenster lüften müssen. Doch ist das realistisch?
Regeln der Technik schützen nicht
Die Minimalforderung von Raumhygieneexperten sind vier bis sechs Stoßlüftungen am Tag durch das Öffnen der Fenster für ca. zehn Minuten. Viele gehen sogar noch weiter. Ihrer Ansicht nach müssen die Fenster alle zwei Stunden geöffnet werden – auch nachts.
Dies ist einem Mieter nicht zuzumuten, so die meisten einschlägigen Gerichtsurteile: Eine Wohnung müsse so beschaffen sein, dass bei einem üblichen Wohnverhalten die erforderliche Raumluftqualität ohne besondere Lüftungsmaßnahmen gewährleistet ist.
Auch wenn aus den allgemein anerkannten Regeln der Technik das Erfordernis lüftungstechnischer Maßnahmen derzeit noch nicht zwingend abgeleitet werden kann, nützt es dem beklagten Planer oder Bauausführenden wenig, wenn er nachweisen kann, sich an diese gehalten zu haben. Für die Frage der Haftung kommt es nämlich entscheidend darauf an, welche Beschaffenheit unter Umständen auch stillschweigend vorausgesetzt wurde und ob sich das Gebäude für die beabsichtigten Wohnzwecke auch eignet.
Vertragliche Vereinbarung treffen
Ist dem Auftragnehmer zum Beispiel bekannt, dass sein Kunde berufsbedingt zwölf Stunden am Tag nicht zu Hause ist, entspricht eine Wohnung, die alle zwei Stunden gelüftet werden muss, nicht den beabsichtigten Wohnzwecken.
Lässt sich der erforderliche Luftwechsel nur durch Lüftungsmaßnahmen erreichen, die von der Beschaffenheitsvereinbarung abweichen, liegt ein Werkmangel vor, für den der Planer bzw. der Unternehmer einzustehen hat. Wurde keine Vereinbarung darüber getroffen, dass der nach den technischen Regelwerken zu gewährleistende Luftwechsel ohne kontrollierte Lüftung nur durch zusätzliche Lüftungsmaßnahmen des Nutzers erreicht werden kann, ergibt sich hieraus ein beträchtliches Haftungsrisiko.
Will der Leistungserbringer sich dem entziehen und trotzdem auf eine kontrollierte Lüftungsanlage verzichten, muss er eine vertragliche Vereinbarung mit dem Nutzer treffen, die den Umfang der notwendigen Lüftungsmaßnahmen ausführlich beschreibt.
So ist nach dem Autor und Gutachter Rechtsanwalt Dietmar Lampe die aktuelle Rechtslage. Schon heute könne in Zweifel gezogen werden, ob die Sicherstellung des notwendigen Luftaustausches nur über Fensterlüftung noch den Regeln der Technik entspricht. Hier bewegt sich die Baubranche derzeit noch in einer rechtlichen Grauzone. Das sei insofern problematisch, als der Auftragnehmer zum Zeitpunkt der Abnahme ein mangelfreies Werk schulde, die Regeln der Technik sich aber im Laufe des Bauvorhabens ändern können. Nach Lampes Einschätzung werden kontrollierte Lüftungsanlagen schon im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen dichter Gebäudehülle und Raumklima zukünftig zunehmend mehr anerkannt und als notwendig erachtet werden.
Zu diesem nicht näher zu bestimmenden Zeitpunkt werden sie im Wohnungsbau zu den anerkannten Regeln der Technik gehören und somit schon nach allgemeinen Grundsätzen vorzusehen sein. Diesen Zeitpunkt sollten die Bauausführenden nicht verpassen.|
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Das Ergebnis kurz und knapp
Planer und Bauausführende, die bei Neubau oder Renovierung eines Wohnhauses auf eine kontrollierte Lüftungsanlage verzichten, setzen sich Haftungsrisiken aus. Zwar kann heute noch nicht zuverlässig davon ausgegangen werden, dass eine Lüftungsanlage zwingend erforderlich ist, doch birgt die Alternative, den vorgeschriebenen Luftaustausch allein der zusätzlichen Fensterlüftung der Bewohner zu überlassen, erhebliche rechtliche Risiken.
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Gutachten anfordern
Wer Genaueres wissen will, kann das Gutachten beim VFW anfordern. Infos hierzu gibt es auf der Homepage https://wohnungslueftung-ev.de/ oder bei:
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